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Immer noch Probleme bei Hartz IV
Bundesregierung und Berliner Senatsverwaltung ändern Leistungsbestimmungen für Unterkunft und Heizung
29.08.2006 (GE 16/06, Seite 1000) Zum 1. August sind zahlreiche Änderungen beim Arbeitslosengeld II (SGB II) in Kraft getreten, die von Bundestag und Bundesrat mit dem Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz bereits im April beschlossen worden waren. Der Berliner Senat hat deshalb die Berliner „Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung„ (AV Wohnen) an die neue Gesetzeslage angepaßt. Obwohl viele ALG-II-Empfänger eine Direktzahlung der Wohnungsmiete an ihren Vermieter wünschen, um nicht in die Versuchung zu geraten, das Geld für andere Zwecke auszugeben, sind nach wie vor nicht alle Berliner Job-Center bereit, eine Abtretungserklärung zu akzeptieren und somit Mietschulden bereits im Ansatz zu verhindern.
Wir berichteten bereits in GE 2006, 668 über Änderungen bei Hartz IV. Die folgenden Änderungen geben die Gesetzeslage zum 1. August 2006 wieder.

I. Änderungen beim SGB II
Geändert wurden vom Deutschen Bundestag insbesondere die Regelungen des § 22 SGB II bezüglich der Leistungen für Unterkunft und Heizung in folgenden Punkten:

1. Angemessene Leistungen
für Unterkunft und Heizung
(§ 22 Abs. 1 SGB II neu)
Nach wie vor sollen diese in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese angemessen sind. Wenn sich aber aufgrund eines nicht erforderlichen Umzugs die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen, so stellt der Gesetzgeber nun klar, daß die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht werden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II neu).
Zudem wird endlich die Problematik von Rückzahlungen aus Betriebskostenabrechnungen oder Mietkautionen gesetzlich geregelt. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB bestimmt nun, daß solche Gelder die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern. Aber: Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie (Heizung oder Warmwasser) beziehen, bleiben insoweit außer Betracht. Das heißt für die Praxis nichts anderes, als daß der Mieter selbst davon profitieren soll, wenn er Energie beim Heizen oder Duschen spart. Eine solche Regelung ist schon deshalb vernünftig, weil sie auch Hartz-IV-Mieter zum Energiesparen ermuntert.

2. Umzug und neue Unterkunft
(§ 22 Abs. 2 SGB II neu)
Die Regelungen zum Umzug von Hartz-IV-Empfängern bleiben identisch: Sie müssen wie bisher auch die Zustimmung des kommunalen Trägers vor Abschluß eines neuen Mietvertrages einholen. Neu ist, daß diese Entscheidung vom kommunalen Träger des bisherigen Wohnortes und dem des Ortes der geplanten neuen Unterkunft gemeinsam getroffen werden soll.

3. Neuregelung für Personen bis
25 Jahre (§ 22 Abs. 2 a SGB II neu)
Angesichts der häufigen Mißbrauchsfälle (vgl. GE 2006, 668) wurden die Leistungsansprüche von Personen bis 25 Jahren erheblich beschränkt. Ihnen stehen nach dem neuen § 22 Abs. 2 a SGB II bei einem Umzug Leistungen für Unterkunft und Heizung nur zu, wenn der kommunale Träger vor Abschluß des Mietvertrages über die Unterkunft solche auch zugesichert hat. Zur Zusicherung ist er verpflichtet, wenn
— der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
— der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
— ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Leistungen für Unterkunft und Heizung stehen Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht zu, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen. Rechtsmißbrauch wird also bestraft.

4. Umzugskosten und Mietkautionen
(§ 22 Abs. 3 SGB II neu)
Neu ist ferner, daß für die Entscheidung über die Übernahme der Mietkautionskosten der kommunale Träger des Ortes der neuen Unterkunft verantwortlich ist. Zudem sollen Mietkautionen nur noch als Darlehen ausgezahlt werden.

5. Direkte Zahlung der Miete an den
Vermieter (§ 22 Abs. 4 SGB II neu)
Zum Leidwesen aller Vermieter bleibt die direkte Zahlung der Kosten für Unterkunft und Heizung an den Vermieter der Ausnahmefall. Wie bisher soll eine solche nur erfolgen, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch den Mieter nicht sichergestellt ist.
Wieder einmal verkennt der Gesetzgeber die Realität. 2,2 Milliarden Euro Mietschulden sprechen eine eindeutige Sprache. Viele Berliner Job-Center akzeptieren eine Abtretungserklärung der Mieter zur Regelung der Direktzahlung der Leistungen an ihren Vermieter nur nach einer langwierigen Einzelfallprüfung oder gar nicht (siehe unten IV.).

6. Übernahme von Mietschulden als
Darlehen (§ 22 Abs. 5 SGB II neu)
Bezüglich der Übernahme von Mietschulden stellt der Gesetzgeber in der Neuregelung des § 22 Abs. 5 SGB II klar, daß das eigene Vermögens des Hartz-IV-Empfängers vorrangig einzusetzen ist. Außerdem soll die Schuldenübernahme nur dazu dienen, Obdachlosigkeit oder eine vergleichbare Notlage (z. B. Sperrung der Energie, Wasser- oder Heizungszufuhr) zu verhindern.

7. Verfahren bei Räumungsklagen
(§ 22 Abs. 6 SGB II neu)
Neu ist auch, daß bei einer Räumungsklage aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Mieters das Gericht dem örtlich zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unverzüglich
— den Tag des Eingangs der Klage,
— die Namen und die Anschriften der Parteien,
— die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
— die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung sowie
— den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist,
mitteilen muß.

8. Zuschuß für Auszubildende
(§ 22 Abs. 7 SGB II neu)
Außerdem erhalten Auszubildende in Zukunft einen Zuschuß zu ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Ist jedoch die Übernahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 2 a SGB II ausgeschlossen, ist ein Zuschuß nicht möglich.

II. Änderungen der Berliner
Ausführungsvorschriften
Ende Mai hat auch der Berliner Senat die Anpassung der Berliner Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung (AV Wohnen) an die veränderte bundesrechtliche Gesetzeslage beschlossen.

1. Umzug von Personen bis 25 Jahre
Wollen Personen umziehen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist die Zusicherung zur Übernahme der Kosten für Wohnung und Heizung durch die Berliner Job-Center nur zu erteilen, wenn
- der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
— der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
— ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt (z. B. bei Maßnahmen für betreutes Einzel- oder Gruppenwohnen gemäß SGB XII oder SGB VIII, die durch den Sozialhilfe- bzw. Jugendhilfeträger bewilligt wurden).

2. Mietkautionen und
Genossenschaftsanteile
Mietkautionen und Genossenschaftsanteile sollen auf der Grundlage des § 22 Abs. 3 SGB II nur als Darlehen erbracht werden, weil sie bei der Beendigung eines Mietverhältnisses vom Vermieter an den Mieter zurückgezahlt werden. Der Anspruch auf Rückzahlung einschließlich der Zinsen ist vom Mieter an das jeweilige Job-Center abzutreten.

3. Übernahme von Mietschulden
Bei der Übernahme von Mietschulden handelt es sich nach den Neuregelungen der Berliner AV Wohnen um eine Ermessensentscheidung, die den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen hat. Sie kann nur erfolgen, wenn bereits Leistungen für Wohnung und Heizung erbracht werden. Grundsätzlich sind bei der Ausübung des Ermessens auch Wirtschaftlichkeitsaspekte zu beachten. Eine Ermessenseinschränkung besteht dann, wenn nur durch die Übernahme der Mietschulden ein Räumungsurteil abgewendet oder eine drohende Räumung vermieden werden kann. Das heißt für die Praxis: In solchen Fällen kann sich sogar ein Anspruch des Hartz-IV-Empfängers ergeben. Aber: Für die Frage, ob die Hilfeleistung gerechtfertigt ist, sind auch das bisherige Verhalten der Hilfesuchenden sowie die Selbsthilfemöglichkeiten zur Beseitigung der Notlage (auch der vorrangige Einsatz geschützten Vermögens gemäß § 22 Abs. 5 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) zu beachten.
Nach den neuen Ausführungsvorschriften ist bei der Entscheidung über die Übernahme von Mietschulden zu beachten, daß die Übernahme der Mietschulden den Wohnraum tatsächlich sichern muß. Dies ist, wenn noch andere Kündigungsgründe vorliegen, in der Regel nicht möglich. Außerdem soll darauf geachtet werden, daß die Zusicherung des Vermieters zur Fortsetzung des Mietverhältnisses gegebenenfalls entscheidend für die Sicherung des Wohnraumes ist.

4. Rückzahlung der
übernommenen Mietschulden
Den bundesgesetzlichen Regelungen entsprechend soll die Übernahme von Mietschulden auf der Grundlage des § 22 Abs. 5 SGB II nur als Darlehen erfolgen. Bei der Festlegung der Rückzahlungsmodalitäten ist aber sicherzustellen, daß ein in Aussicht stehendes Beschäftigungsverhältnis durch die Rückzahlung nicht gefährdet wird.

III. Änderungen der
Ausführungsvorschriften
zum SGB XII
Mit Wirkung vom 1. April 2006 waren bereits die Ausführungsvorschriften über die Durchführung des Vierten Kapitels des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) geändert worden.
Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII haben über 65jährige sowie aus medizinischen Gründen dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen ab 18 Jahre, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten können.
Auf diesen Personenkreis sollen die Regelungen der Ausführungsvorschriften zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV Wohnen) ebenfalls angewandt werden. Es gelten daher die unter I. und II. dargestellten Regelungen.

IV. Übersicht über die Regelungen
der Berliner Job-Center
Ärgerlich ist, daß nach wie vor eine direkte Zahlung der Kosten für Unterkunft und Heizung an den Vermieter nur den Ausnahmefall darstellt. 2,2 Milliarden Euro Mietschulden sprechen eine eindeutige Sprache, und oftmals wünschen sich Hartz-IV-Empfänger selbst eine direkte Zahlung der Leistungen an ihren Vermieter. Mittels einer Abtretungserklärung können sie dieses regeln. Dieses Verfahren ist in Berlin aber nicht unumstritten, und vielfach fehlt es noch an der Einsicht der Job-Center, daß auf diese Weise Mietschulden und damit auch langwierige Räumungsprozesse von vornherein vermieden werden können.
Folgende Job-Center akzeptieren Abtretungserklärungen des Mieters zur Direktzahlung der Kosten für Unterkunft und Heizung ohne Vorbehalte:
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Lichtenberg
- Pankow
- Treptow-Köpenick
Akzeptanz erst nach umfangreicher Einzelfallprüfung:
- Reinickendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- Spandau
Generell keine Akzeptanz:
- Neukölln (ohne jede sachliche Begründung)
Noch unklar, Gespräche („Runder Tisch„ der Wohnungswirtschaft mit der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales) laufen:
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Marzahn-Hellersdorf
- Mitte
- Steglitz-Zehlendorf
Die neuen Vorschriften des § 22 SGB II und die veränderten Berliner Ausführungsvorschriften Wohnen (AV Wohnen Berlin) stehen auf der Internetseite des Grundeigentum-Verlages zum Download bereit.
Rückfragen zu den neuen Regelungen können bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Oranienstraße 106, 10969 Berlin, Tel. 030/90 28‑0, Telefax 030/90 28‑20 56 und unter der eMail-Adresse [email protected] gestellt werden.
Autor: RA Detlef Manger LL.M.