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Gegen überspitzte Anforderungen an Verkehrssicherung
Kein Sicherheitsglas in Zimmertüren bei Vermietung an Familien mit Kleinkindern
26.07.2006 (GE 14/06, Seite 880) Der Vermieter ist nicht verpflichtet, bei Zimmertüren mit Glasausschnitt Sicherheitsglas einzusetzen, wenn er an eine Familie mit Kleinkindern vermietet. Das entschied jetzt der VI. Senat des BGH.
Der Fall:
Die am 28. April 2001 geborene Klägerin nimmt den Beklagten als Vermieter der Wohnung ihrer Eltern auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Die Eltern der Klägerin waren mit ihren drei Kleinkindern seit 1. November 2001 Mieter einer 6-Zimmer-Wohnung in einem Anwesen des Beklagten, das im Jahre 1966 errichtet worden ist. Seit 1986 handelt es sich bei den Wohnungen um Sozialwohnungen im Sinne der §§ 4 und 5 des Wohnungsbindungsgesetzes, deren Bezug eine Personenzahl von 5 erfordert, damit von der Gemeinde ein entsprechender Berechtigungsschein ausgestellt wird. Am 22. März 2003 lief die Klägerin beim Spielen mit ihrer Schwester gegen eine in der Wohnung befindliche Kinderzimmertür. Die Tür war nicht aus Sicherheitsglas. Bei dem Unfall fiel die Klägerin mit Kopf und Schultern in die Scheibe. Dadurch gelangte ein winziges Teil aus der zerbrochenen und zersplitterten Scheibe in das linke Auge der Klägerin, wodurch die Klägerin die Sehkraft des linken Auges nahezu vollständig verlor.
Das Urteil:
Der BGH lehnte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Vermieter und damit auch eine Verpflichtung zum Schadenersatz ab. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasse diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, sei im praktischen Leben jedoch nicht erreichbar. Haftungsbegründend werde eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden. Es reiche daher anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise hier der Wohnungsvermieter für ausreichend halten darf, um andere Personen hier: Mieter und deren Kinder vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Voraussetzung für eine Verkehrssicherungspflicht ist, daß sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Komme es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mußten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muß der Geschädigte so hart dies im Einzelfall sein mag den Schaden selbst tragen. Er hat ein Unglück erlitten und kann dem Schädiger kein Unrecht vorhalten.
Das Berufungsgericht habe deshalb im Ergebnis mit Recht eine Haftung des Beklagten verneint. Baurechtliche Vorschriften, nach denen Zimmertüren mit Glasausschnitten in Wohnungen mit Sicherheitsglas ausgestattet werden müssen, existierten weder zum Zeitpunkt der Errichtung der Wohnungen im Jahre 1966, noch zum Zeitpunkt des Einzugs der Familie der Klägerin im Jahre 2001, noch zum Zeitpunkt des Unfalls im Jahre 2003. Entsprach nach den baurechtlichen Vorschriften die Mietwohnung im Hinblick auf ihre Ausstattung mit verglasten Wohnungsinnentüren der Normalbeschaffenheit, so oblag es den obhutspflichtigen Eltern der Klägerin zu entscheiden, ob sie unter den gegebenen Umständen eine solche Wohnung anmieten und für weitergehende (klein-) kindgerechte Schutzvorkehrungen sorgen wollten, wie sie auch in anderen Bereichen (z. B. Steckdosensicherungen, Schutzgitter, Kantenschutz etc.) üblich sind. Mieten die Eltern der Klägerin mit drei Kleinkindern eine Wohnung, die den geltenden baurechtlichen Sicherheitsvorschriften im Hinblick auf die Wohnungsinnentüren entsprach, so könne dies nicht dazu führen, daß sich die Verkehrssicherungspflichten des Vermieters dahingehend erhöhen, nunmehr besondere (klein-) kindgerechte Sicherheitsvorkehrungen einbauen zu müssen.
Anmerkung:
Das Urteil des VI. Zivilsenats des BGH ist vor allem deshalb überzeugend, weil es die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht von Vermietern klar aufzeigt und die obhutspflichtigen Eltern in die Pflicht nimmt. Grundsätzlich besteht eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber Erwachsenen und Kindern. Dabei muß der Verkehrssicherungspflichtige auch mit unbefugtem und nicht ganz fernliegendem mißbräuchlichen Verhalten rechnen. Allerdings können vom Vermieter keine Vorkehrungen gegen jede nur erdenkliche Gefahr erwartet werden. Insbesondere bei Kleinkindern muß ein Verkehrssicherungspflichtiger nicht mit einem Aufsichtsversagen der Eltern rechnen. Die Pflichten sind herabgesetzt gegenüber Gefahren, die jedem vor Augen stehen müssen, und vor denen man sich bei zumutbarer Vorsicht ohne weiteres selbst schützen kann. Eine solche lag aber im vorliegenden Fall gerade nicht vor. Manche Gefahren für Kinder lassen sich nur durch das verantwortungsbewußte Handeln der Erziehungsberechtigten ausschließen oder verhindern.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - VI ZR 189/05 - Wortlaut Seite 906
Die am 28. April 2001 geborene Klägerin nimmt den Beklagten als Vermieter der Wohnung ihrer Eltern auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Die Eltern der Klägerin waren mit ihren drei Kleinkindern seit 1. November 2001 Mieter einer 6-Zimmer-Wohnung in einem Anwesen des Beklagten, das im Jahre 1966 errichtet worden ist. Seit 1986 handelt es sich bei den Wohnungen um Sozialwohnungen im Sinne der §§ 4 und 5 des Wohnungsbindungsgesetzes, deren Bezug eine Personenzahl von 5 erfordert, damit von der Gemeinde ein entsprechender Berechtigungsschein ausgestellt wird. Am 22. März 2003 lief die Klägerin beim Spielen mit ihrer Schwester gegen eine in der Wohnung befindliche Kinderzimmertür. Die Tür war nicht aus Sicherheitsglas. Bei dem Unfall fiel die Klägerin mit Kopf und Schultern in die Scheibe. Dadurch gelangte ein winziges Teil aus der zerbrochenen und zersplitterten Scheibe in das linke Auge der Klägerin, wodurch die Klägerin die Sehkraft des linken Auges nahezu vollständig verlor.
Das Urteil:
Der BGH lehnte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Vermieter und damit auch eine Verpflichtung zum Schadenersatz ab. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasse diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, sei im praktischen Leben jedoch nicht erreichbar. Haftungsbegründend werde eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden. Es reiche daher anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise hier der Wohnungsvermieter für ausreichend halten darf, um andere Personen hier: Mieter und deren Kinder vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Voraussetzung für eine Verkehrssicherungspflicht ist, daß sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Komme es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mußten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muß der Geschädigte so hart dies im Einzelfall sein mag den Schaden selbst tragen. Er hat ein Unglück erlitten und kann dem Schädiger kein Unrecht vorhalten.
Das Berufungsgericht habe deshalb im Ergebnis mit Recht eine Haftung des Beklagten verneint. Baurechtliche Vorschriften, nach denen Zimmertüren mit Glasausschnitten in Wohnungen mit Sicherheitsglas ausgestattet werden müssen, existierten weder zum Zeitpunkt der Errichtung der Wohnungen im Jahre 1966, noch zum Zeitpunkt des Einzugs der Familie der Klägerin im Jahre 2001, noch zum Zeitpunkt des Unfalls im Jahre 2003. Entsprach nach den baurechtlichen Vorschriften die Mietwohnung im Hinblick auf ihre Ausstattung mit verglasten Wohnungsinnentüren der Normalbeschaffenheit, so oblag es den obhutspflichtigen Eltern der Klägerin zu entscheiden, ob sie unter den gegebenen Umständen eine solche Wohnung anmieten und für weitergehende (klein-) kindgerechte Schutzvorkehrungen sorgen wollten, wie sie auch in anderen Bereichen (z. B. Steckdosensicherungen, Schutzgitter, Kantenschutz etc.) üblich sind. Mieten die Eltern der Klägerin mit drei Kleinkindern eine Wohnung, die den geltenden baurechtlichen Sicherheitsvorschriften im Hinblick auf die Wohnungsinnentüren entsprach, so könne dies nicht dazu führen, daß sich die Verkehrssicherungspflichten des Vermieters dahingehend erhöhen, nunmehr besondere (klein-) kindgerechte Sicherheitsvorkehrungen einbauen zu müssen.
Anmerkung:
Das Urteil des VI. Zivilsenats des BGH ist vor allem deshalb überzeugend, weil es die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht von Vermietern klar aufzeigt und die obhutspflichtigen Eltern in die Pflicht nimmt. Grundsätzlich besteht eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber Erwachsenen und Kindern. Dabei muß der Verkehrssicherungspflichtige auch mit unbefugtem und nicht ganz fernliegendem mißbräuchlichen Verhalten rechnen. Allerdings können vom Vermieter keine Vorkehrungen gegen jede nur erdenkliche Gefahr erwartet werden. Insbesondere bei Kleinkindern muß ein Verkehrssicherungspflichtiger nicht mit einem Aufsichtsversagen der Eltern rechnen. Die Pflichten sind herabgesetzt gegenüber Gefahren, die jedem vor Augen stehen müssen, und vor denen man sich bei zumutbarer Vorsicht ohne weiteres selbst schützen kann. Eine solche lag aber im vorliegenden Fall gerade nicht vor. Manche Gefahren für Kinder lassen sich nur durch das verantwortungsbewußte Handeln der Erziehungsberechtigten ausschließen oder verhindern.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - VI ZR 189/05 - Wortlaut Seite 906
Autor: RA Detlef Manger, LL.M.