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Von deutscher Reformsucht
20.11.2000 (GE 15/2000, 977) In Ländern, deren Bewohnern man ein gegenüber den Nord- und Mitteleuropäern „heißeres Blut” nachsagt, haben Revolutionen so eine Art kulturelle Tradition; nicht alle verlaufen gar so blutig, und bei nicht wenigen reichten ein paar Schüsse in die Luft, um die alten Machthaber zu vertreiben und die neuen zu installieren, was dann auch schon alles an Revolution war.
Revolution leitet sich bekanntlich aus dem spätlateinischen revolutio, dem das lateinische revolvere (umdrehen, umwälzen, zurückwälzen) zugrunde liegt, ab. Da wird also das Unterste nach oben gekehrt und vice versa.
Das ist nichts für die deutsche Seele, die Revolutionen fürchtet und sich bekanntlich Bahnsteigkarten kauft, bevor sie den Bahnhof stürmt, wie Lenin spottete. Nein, wir sind das Volk der Reformer, weshalb wir Martin Luther schätzen und verehren und Thomas Müntzer 1525 hingerichtet haben und heute nicht mehr kennen.
Reform leitet sich bekanntlich aus dem lateinischen reformare ab, das nicht die ganze, sondern nur die (höchstens) halbe Umdrehung meint, nicht umwälzen und auf den Kopf stellen, sondern nur umgestalten, erneuern, verbessern.

Aber irgendwie scheinen wir Deutschen mit der Reform, der blaßgesichtigen Schwester der Revolution, so unsere Schwierigkeiten zu haben. Denn selbst unsere größte Reform, die Reformation, führte nur zu einer religiösen Zweiteilung des Landes, zu nichts Ganzem, nur zu was Halbem.
So wie jetzt eine andere, zu der die Deutschen aufgerafft wurden, die Rechtschreibreform. Zwar hat die Lordsiegelbewahrerin der deutschen Sprache, die FAZ, jetzt für sich die Rechtschreibreform wieder rückgängig gemacht (ein Schritt, dem wir nicht folgen können, weil wir schon immer so gedacht haben wie die FAZ jetzt und deshalb die neue Rechtschreibung erst gar nicht eingeführt haben), was aber nichts daran ändern wird, eher wird es befördert, daß künftig jeder schreibt wie er will. So wird unsere Sprache bunter und weniger gräulich, aber greulich. Was man so in neuerer Schreibweise nicht mehr ausdrücken könnte.
Jetzt soll es noch eine Reform geben: nach Krankenkassen-, Krankenhaus-, Steuer-, Renten-, Währungs- noch eine Mietrechtsreform, bei der man sich leider nicht entscheiden kann wie bei der Rechtschreibreform, ob man mitmacht oder nicht.

Es ist nicht so, daß die Interessenverbände in ein großes Geheule ausbrechen müßten, weil sie nun so viele Nachteile zu erwarten hätten, denn es gibt für Mieter wie für Vermieter jeweils Verbesserungen und Verschlechterungen. Das hält sich die Waage. Aber der tatsächlichen materiellen Änderungen sind so wenige, daß jedes bisherige Änderungsgesetz der letzten 30 Jahre ein Mehr an materieller Reform mit sich gebracht hat, als diese. Dafür umgeht die „Reform” alles, was wirklich angepackt werden müßte: Die Integration der Sozialwohnungsvorschriften oder die Regelung der Schönheitsreparaturen, um nur zwei Bereiche zu nennen. Rudolf Beuermann hat kürzlich die Lücken beschrieben.
Und wo die versprochene Vereinfachung bleibt, weiß ich auch nicht. Das Reformwerk kommt in leichterem Gewande daher als das BGB-Deutsch, nähert sich mehr der Umgangssprache. Aber soll man das wollen? Es wird nur neue Auslegungsrätsel geben. Und ist das neue Recht kürzer? Im Gegenteil, es enthält mehr Paragraphen.
Niemand will die Reform. Die Mieter nicht, die Vermieter nicht, die Anwälte nicht, die Richter nicht, woraus unsere Bundesjustizministerin den überraschenden Schluß zieht, dann müsse sie wohl richtig liegen. Welche Logik! Meine Logik sagt mir, daß die Reform dann nur für einen Menschen gut sein kann. Und deshalb soll sie wohl auch gemacht werden.
Ich wähle künftig nur noch den, der mir verspricht, erst einmal keine Reformen zu machen.
Autor: Dieter Blümmel