Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

Archiv / Suche


Regine Paschkes (VRi'inLG) unjuristische Betrachtungen
Sozialadäquate Nutzungsgeräusche
03.07.2006 (GE 12/06, Seite 729) Der streßgeplagte Großstadtmieter ist von Geburt an lärmempfindlich. Nicht daß ihn heulende Motoren, geplagte Getriebe, quietschende Reifen oder laut hupende Autofahrer störten – im Gegenteil: Der Urlaub in ländlicher Umgebung kann gerade deshalb irritierend sein, weil eben diese Geräuschkulisse fehlt. So mag das Gequake paarungswilliger Frösche entnervend ans Ohr dringen.

Regine Paschkes (VRi'inLG) unjuristische Betrachtungen

Es stört den Mieter der eleganten Doppelhaushälfte im allgemeinen auch nicht das Plopp-plopp der Bälle vom angrenzenden Tennisplatz, und wer zentral und in alter Berliner Mitte ein schickes Loft innehält, schätzt üblicherweise die vom Szene-Café ausgehenden Mahl- und Gurgellaute der Espressomaschine.
Ungewohnte Lärmbeeinträchtigungen können zwar den Mieter zur Minderung der Miete berechtigen, wenn sich die Quelle des Übels erst nach Abschluß des Mietvertrags einstellt und mit ihr damals auch noch nicht zu rechnen war. Sofern also plötzlich statt des Tennisplatzes ein Kinderladen nebst Spielplatz auftaucht oder das Szene-Café zur Teenie-Disco mutiert, kommt ein Mangel der Mietsache in Betracht.
Jedoch sind dem Ruhebedürfnis durchaus noch andere Grenzen gesetzt: Nicht alles, was sich als neu auftretender Lärm erweist, ist im Rahmen des Mietrechts von rechtlicher Relevanz.
Denn Lärm im Mehrfamilienhaus „… ist sowohl vom Vermieter als auch von der Gemeinschaft der Mieter zu tolerieren, soweit (er) … nicht die Grenzen des … Üblichen überschreitet, d. h. wenn die … Störungen sich bei vernünftiger Betrachtungsweise als Folge typischen, … und sozialadäquaten Verhaltens darstellen„ (LG Bad Kreuznach vom 3. Juli 2001 - 1 S 21/01 = WuM 2003, 328).
Das gilt nicht nur für Stuhl- und Sesselrücken im oberen Stockwerk, die als „sozial adäquate Geräuschbeeinträchtigungen … hinzunehmen„ sind und von denen der Richter hoffnungsvoll glaubt, daß sie „… ggf. durch gute nachbarschaftliche Beziehungen sogar noch vermindert werden …„(AG Charlottenburg vom 25. November 2004 - 211 C 476/02 = GE 2005, 1199), sondern auch für Kinderlärm, weil es sich nämlich bei der „… Verursachung von Lärm im Treppenflur durch Geschrei, Blubbern und Weinen … um den üblichen und normalen Ausdruck eines natürlichen Bewegungs-, Spiel- und Mitteilungsdrangs von Kleinkindern …„ handelt (LG Bad Kreuznach a. a. O.).
Zur Beantwortung der Frage, ob sich der Mietzins aufgrund der einen oder anderen Lärmquelle vermindert, haben sich also Mieter und Vermieter zunächst ein umfassendes Bild über das soziale Umfeld der betroffenen Wohnung zu verschaffen. Denn – auf den Punkt gebracht – es ist entscheidend, ob der vertragsgemäße Gebrauch der Wohnung durch den Lärm derart beeinträchtigt ist, daß auch unter Beachtung der Notwendigkeit gegenseitiger Rücksichtnahme vermeidbare Geräusche wahrzunehmen sind, die der verständige Durchschnittsmieter als solche empfindet.
Vermeidbarer – und damit sozial inadäquater – Lärm ist also im Randbezirk ein anderer als in der City, in Dahlem und in Weißensee mithin nicht derselbe wie in Mitte und Neukölln!
Es liegt auf der Hand, daß das Betriebsgeräusch eines elektrischen Rasenmähers in Kreuzberger Höfen – trotz des dortigen unzweifelhaften Vorhandenseins eines gewissen Grundgeräuschpegels – ebensolche Aufmerksamkeit der Bewohner auf sich zöge wie die oben beschriebenen – an sich verhaltenen – Töne geprügelter Tennisbälle, wenngleich sich beides in Dezibel gemessen aufs Höchste voneinander unterscheidet.
Der lärmgestörte Mieter kommt also nicht umhin, vor der Minderung in sich zu gehen und sich bange zu fragen, wo er wohnt, und damit auch ein wenig, wer er ist: kinderfeindlicher Schicki-Micki, umweltbewußter Öko-Spießer, bodenständiger Kleinbürger, weltläufiger Businesstyp oder idyllversessener Familienmensch … (die vorgenannten Attribute sind nach Bedarf austauschbar!).
Fazit: Für jeden gibt es den zur jeweiligen Wohnung passenden Lärm, den er letztlich hinzunehmen hat, weil er nun mal sozial adäquat ist.
"Es gibt vielerlei Lärme. Aber es gibt nur eine Stille." Kurt Tucholsky
Autor: VRi'inLG Regine Paschke