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Nicht nur in Berlin laufen die Kosten aus dem Ruder
Deutscher Bundestag verabschiedet Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz
15.06.2006 (GE 11/06, Seite 668) Die jüngsten Änderungen an der Hartz-IV-Reform sind gerade erst beschlossen, da wird bereits über die nächsten Korrekturen gestritten. Es mehren sich die Stimmen, die eine Generalrevision der „Hartz-IV-Reform“ verlangen. Auch die vom Land Berlin finanzierten Wohnzuschüsse für die Bezieher von Arbeitslosengeld II explodieren – dennoch wurde erst ein Umzug wegen zu hoher Mietkosten angeordnet.
Vielleicht können sich einige noch an die Feier im Französischen Dom zu Berlin erinnern. Keine vier Jahre ist es her. „Job-Messias“ wurde er genannt. Heute klingt der Name Peter Hartz nur noch nach Affären und vielen Arbeitslosen.
Bereits Mitte Februar hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition Änderungen bei den Hartz-IV-Gesetzen beschlossen. So haben Arbeitslose unter 25 Jahren keinen Regelanspruch mehr auf eine eigene Wohnung. Wohnen sie weiter zu Hause, bekommen sie nur noch 80 % des bisherigen Hartz-IV-Satzes. Damit korrigiert die Regierung einen Fehlanreiz, denn in Familien wurde die gegenseitige Verantwortung für den Unterhalt vielfach aufgegeben. Immer mehr Volljährige zogen aus dem Elternhaus aus. Ihnen stand dann – ohne daß das Einkommen der Eltern angerechnet wurde – das volle ALG II zu. Zudem übernahm der Staat die Kosten für die Wohnung, spendierte sogar die Erstausstattung Möbel.
Nun hat der Deutsche Bundestag am 1. Juni 2006 mit dem Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz die nächsten Nachbesserungen an der mißglückten Reform vorgenommen. DAS GRUNDEIGENTUM gibt einen Überblick über zentrale Punkte des Gesetzes, das überwiegend in der zweiten Jahreshälfte 2006 in Kraft treten soll:
• Beweislastumkehr: Das ALG II wird an Antragsteller nur gezahlt, wenn auch der Lebenspartner nicht über ein ausreichendes Einkommen verfügt. Beide werden in einer Bedarfsgemeinschaft gemeinsam veranschlagt. Künftig wird die Beweislast bei eheähnlichen Gemeinschaften umgekehrt: Mußte früher der Staat nachweisen, daß eine solche Gemeinschaft vorliegt, so muß nun der Antragsteller nachweisen, daß dies nicht der Fall ist.
• Vermögen: Freibeträge für Erspartes sollen auf 150 Euro pro Lebensjahr (maximal 9.750 Euro) gesenkt und gleichzeitig der Freibetrag für Altersvermögen auf 250 Euro pro Lebensjahr (maximal 16.250 Euro) aufgestockt werden.
• Kontrollen: Arbeitslosen, die neu Arbeitslosengeld II beantragen, soll künftig möglichst sofort ein Jobangebot gemacht werden. Zudem sind härtere Sanktionen bei Pflichtverletzungen vorgesehen.
Vor allem in Berlin sieht die Lage düster aus: Seit Anfang Januar überprüfen die Berliner Jobcenter, ob die Bruttowarmmieten der ALG-II-Empfänger innerhalb der Richtwerte liegen. In mehr als 5.500 Fällen wurden diese Werte überschritten, so die Auskunft der Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Heidi Knaake-Werner (PDS). Wegen etlicher Härtefälle – Alleinerziehende mit Kindern, Behinderte – wurden schließlich 2.654 Haushalte aufgefordert, ihre Miete zu reduzieren. Das ist auf vielerlei Weise möglich: Untermieter können aufgenommen werden, der Betroffene kann die Differenz der teureren Wohnung zum Zuschuß zum Wohnen selbst bezahlen oder natürlich mit seinem Vermieter eine Reduzierung der Miete vereinbaren. Die Bilanz nach einem Jahr: In zwölf Fällen zogen die Betroffenen freiwillig um, lediglich einen einzigen (!!!) Umzug ordnete man in Berlin an.
Für dieses Jahr rechnet Sozialsenatorin Knaake-Werner mit Gesamtkosten von 1,3 Mrd. Euro, da schon in den ersten fünf Monaten Kosten in Höhe von 544 Mio. Euro entstanden sind. Auch in Berlin wird die rasante Zunahme der Bedarfsgemeinschaften als Hauptgrund für die gestiegenen Ausgaben gesehen.
Dabei erweisen sich die Berliner Jobcenter als unfähig, in ausreichendem Maß Kontrollen durchzuführen. Der Grund dafür ist einfach und hat einen Namen: A2LL, die Computersoftware der Jobcenter. Das Programm kennt keine Sanktionen und berücksichtigt Zuverdienste ebensowenig wie Leistungskürzungen für Jugendliche oder Erhöhungen für ostdeutsche Hartz-IV-Empfänger.
In den letzten Wochen hat nur eine Meldung Grund zur Zuversicht – jedenfalls für die Vermieter von privatem Wohnraum – gegeben. Mit dem Ersten Änderungsgesetz zum Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II,) das am 1. April 2006 in Kraft getreten war, hatte der Gesetzgeber noch eine Verweisungsnorm in SGB II gestrichen, infolgedessen für die Sozialhilfeträge keine Möglichkeit mehr bestand, für erwerbsfähige Personen, die keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, Mietschulden zu übernehmen. Nun wurde mit dem am 1. Juni 2006 in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf die Übernahme von Mietschulden durch die Träger der Sozialhilfe auch für Personen, die nicht Leistungsempfänger nach dem SGB II sind, wieder möglich gemacht.
Im Abgeordnetenhaus Berlin häufen sich die Kleinen Anfragen der Opposition zu den Kosten der Hartz-IV-Reform für das Land Berlin. Die Antworten der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz geben alle das gleiche einheitliche Bild ab: Trotz Ratlosigkeit, wie man die Probleme in den Griff bekommen kann, wird eine Reform trotzig verteidigt, über die das Urteil der Experten schon längst gefällt ist.
Autor: RA Detlef Manger LL.M.