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Sommerlöcher auf dem Kudamm
06.10.2000 (GE 11/2000, 689) Der Sommer kam in diesem Jahr schon Anfang Mai. Und mit ihm kamen die Sommerlöcher, allgemein auch „Saure-Gurken-Zeit” genannt. Und dazu will ich heute einmal aus der journalistischen Schule plaudern.
Ich kann mich noch gut an die Zeit meiner ersten publizistischen Gehversuche erinnern und an die hilfreichen Tips älterer Kollegen an uns Greenhorns. Einer dieser Tips war, daß es Themen gibt, die nie alt werden.

Um ein paar Beispiele zu nennen: Jedes Jahr ein paar Wochen nach Weihnachten und dann noch einmal zu Beginn der Ferienzeit schrieb man die Tränen-Tier-Geschichte.
Die Grundannahmen für dieses Thema sind einfach: Man weiß aus Erfahrung, daß vielen Kindern zu Weihnachten ein Tier geschenkt wird. Damit spielen manche der Beschenkten acht Tage, manche vierzehn Tage, dann haben sie keine Lust mehr, nicht zum Füttern, nicht zum Saubermachen. Auch die Eltern möchten sich nicht um die armen Kreaturen kümmern, folglich werden die Tiere ausgesetzt.
Nämliches passiert noch einmal vor den großen Ferien, wenn die braven Berliner ihre Hunde und Katzen aussetzen, die sie nicht mit in den Urlaub nehmen können.
Immer fand man jemanden, der gerne bestätigte, daß zu besagten Zeiten mehr Tiere ausgesetzt wurden als sonst im Jahr. Das bestätigte die Polizei oder auch das Tierheim Lankwitz, wo die meisten Viecher landeten. Und meistens lieferte die legendäre Vorsitzende des Tierheims, ich glaube, sie hieß Erna Graf, das entsprechende tränenreiche Zitat, denn schließlich wird sich auch das Spendenaufkommen für heimatlose Tiere nach solchen Zeitungsberichten kurzzeitig wieder erhöhen.

Eine andere Sau, die in flauen Zeiten durch das Dorf gejagt werden konnte, waren die hohen Kudamm-Mieten. Wenn man ausdauernd genug gestöbert hatte, wurde immer ein Laden gefunden, der ein paar hundert Mark pro Quadratmeter bezahlen mußte. Und jammernde Ladeninhaber, die ihre unsichere Existenz ausschließlich auf zu hohe Mieten zurückführten und natürlich nicht auf eigene Unvollkommenheit, fand man zuhauf.
Geändert hat sich in den letzten 30 Jahren nichts. Wieder einmal jammern ein paar Branchen-Protagonisten, die sich keineswegs selbst als Billig-Maxen verstanden haben oder verstehen - gleichgültig, ob es um das „Kopenhagen”, „Möhring”, „Lichthaus Mösch” oder „Leysieffer” geht.
Und kaum sind die ersten Berichte über angeblich ausufernde Mieten (die im übrigen am Kudamm schon deutlich höher waren als zur Zeit) in den Zeitungen erschienen, folgt auch sofort die zweite, publizistisch einkalkulierte Ebene: Der Einzelhandel, der seine Preise noch nie unter staatlich gesetzten Zwängen kalkulieren mußte, ruft nach Mietendeckelung, nach Revierschutz und die Politik zu Hilfe.
Die meldet sich prompt, diesmal in Person des früheren CDU-Generalsekretärs und jetzigen Staatssekretärs in der Wirtschaftsverwaltung, Volker Liepelt, dem aber auch nur der Ruf nach einem Runden Tisch und geringeren Parkplatzgebühren in der City einfiel (na, wer hat denn das kostenträchtige Parksystem eingeführt?). Und am Schluß jammern alle über den Niedergang des Kudamms. Und so jammern sie schon, seit ich in dieser Stadt bin. Und das sind immerhin schon über 30 Jahre.

Der Kudamm hat‘s übrigens überlebt; ich finde ihn deutlich attraktiver als vor 30 Jahren. Und wenn „Leysieffer” geht, vergrößert sich auf der anderen Seite „Gosch”, und Süßes soll ja ohnehin nicht so gesund sein. Jedenfalls sind bisher alle Versuche gescheitert, den Kudamm für tot und die Friedrichstraße für das brausende Leben zu erklären. Und das wird auch im nächsten Jahrhundert so bleiben.
Autor: Dieter Blümmel