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Die (un)endliche Geschichte
26.04.2006 (GE 08/06, Seite 457) Nun diskutieren sie wieder endlos: die, die Bescheid wissen, und die, die keine Ahnung haben; die Besserwisser, die Unwissenden, die Allwissenden und die Ahnungslosen. Nimmt man im Südosten Berlins und zumal in der Einflugschneise Schönefelds das Wort "Flughafen" in den Mund, dann löst das Reaktionen aus ähnlich denen, die Heinrich Heine in seinen Memoiren beschreibt, als er – ein Steppke noch – in seiner Schulklasse erzählte, sein Großvater sei ein kleiner Jude gewesen, der einen großen Bart hatte: "Die Kleinen sprangen über Tisch und Bänke, rissen von den Wänden die Rechentafeln, welche auf den Boden purzelten nebst den Tintenfässern, und dabei wurde gelacht, gemeckert, gegrunzt, gebellt, gekräht – ein Höllenspektakel".

Die (un)endliche Geschichte

Und warum das Ganze? Weil große Infrastrukturmaßnahmen in diesem Lande unverändert Reaktionen auslösen, die in den Medien zunächst mal negativ daherkommen – nicht nur weil Betroffene zitiert werden (das ist verständlich), sondern weil die intellektuellen Besserwisser und Berufsnörgler über Gebühr Gehör finden und die wirklichen Fachleute und Analytiker natürlich auch nur Prognosen nennen können, deren Essenz noch so sehr aus Erfahrungen an anderer Stelle abgeleitet sein mag, über die zu höhnen und zu witzeln jedoch so denkbar einfach ist.
Hat gar ein Planer oder – noch schlimmer – ein Politiker eine Vision, dann wird’s ganz schlimm: Visionär zu sein in diesem Lande – nein, dann schon lieber Hochstapler, Hellseher oder Heiratsschwindler, die werden ernster genommen in "Bild" und "Bunte".
Dabei sind die Verkehrsadern und Verkehrskreuze nun mal die Voraussetzung für Bewegung und Entwicklung, für Handel und Industrie, für Arbeitsplätze und Produktivität. Als die Magnetschwebebahn zwischen Hamburg und Berlin gebaut werden sollte und erheblich höhere Fahrgastzahlen die Rentabilität des Projektes prognostizierten, wurde das als Spinnerei abqualifiziert. Als dann nach dem klassischen Ausbau der Strecke die Fahrzeit auf eineinhalb Stunden sank (in Mauerzeiten waren es mehr als vier Stunden) und die Fahrgastzahlen tatsächlich in die Höhe schossen, so daß die Bahn inzwischen nicht nur im Stundentakt fährt, sondern den langen ICE mit 14 Wagen einsetzt, redete kaum noch jemand von den "Spinnern", die recht behalten hatten.
Und daß der Flughafen München entgegen allen Schwarzmalereien schon heute trotz miserabler Gleisanbindung ein gigantischer Erfolg ist, wird hier eher belächelt als bestaunt. Industrienahe Arbeitsplätze wie bei Airbus in Hamburg, für die die Stadt die infrastrukturellen Voraussetzungen jahrelang durchkämpfen mußte, sind und bleiben nun mal die Basis des Wohlstands. „Wir können nicht davon überleben, daß wir uns jeden Tag gegenseitig die Haare schneiden„ (Friedrich Merz).
Und weil mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht jeder alles erreicht hat, wird schon wieder gemeckert, daß die Philharmonie darüber erbeben und zur Disharmonie werden könnte. Was denn, teurer als geplant soll er auch werden? Na also, das klassische deutsche Totschlagsargument ist wieder ausgegraben und wird frisch geschwungen wie dereinst die Streitaxt in den Indianerkriegen. Daß Frankfurt teurer und teurer und größer und größer wurde und bis heute wird – und dennoch ein großer Gewinnbringer ist, von dem Hessen vor 40 Jahren nur träumen konnte –, welchen professionellen Nörgler interessiert das schon in Berlin und Brandenburg.
Nur gut, daß bisher noch alle Prognosen falsch waren – zu niedrig nämlich. Die Gutachter von 1996 lagen schief, die von 2000 lagen schief und die von 2004 liegen auch schon wieder schief. Der Schiefe Turm von Pisa ist gar nichts dagegen.
Autor: Dietmar Otremba