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Bewertung nach Tucholsky
22.03.2006 (GE 06/06, Seite 337) Seit Jahren befassen sich Fachjournalisten mit „Offenen Immobilienfonds„, seit der Schließung eines DB-Fonds auch die breitere Wirtschaftspresse und vor allem die Anleger. Man könnte glauben, letztere kämen alle aus dem Mustopf, denn anscheinend kriegen sie jetzt erst mit, daß die Bewertung von Immobilien so ein Thema für sich ist, daß es aber von eben dieser Bewertung abhängt, ob ein Anleger von Wertsteigerung oder Wertverlust seiner Beteiligung ausgehen kann.

Bewertung nach Tucholsky

Und in der Immobilie sah und sieht wohl die Mehrheit der Investoren immer noch die beste Möglichkeit, Rendite und Wertbeständigkeit frei von Problemen miteinander zu kombinieren. Im "Offenen Immobilienfonds" kommt dann die jederzeitige Kündbarkeit noch hinzu, verbunden mit der Flüsterparole, daß es bei Immobilien nur eine Bewegung gebe: die nach oben. Kurt Tucholsky läßt grüßen mit den Zeilen:
"Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehen –
aber abends zum Kino hast Du‘s nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit."
Ja, das könnte schön sein, wenn, ja, wenn da nicht die ekelige Bewerterei wäre, die in Zeiten der Stagnation und des wirtschaftlichen Rückschlags, bei Aufkommen demographischer und soziologischer Probleme, bei fortschreitender Entindustrialisierung und Globalisierung den Glanz eines objektiven Rechenvorgangs verliert und sehr schnell in den Geruch der reinen Kaffeesatzleserei geraten kann. Und in der Tat: Aller Formelkram, alle Bewertungsrichtlinien ändern nichts an der Tatsache, daß die Bewertung von Immobilien ein Blick in die Zukunft ist. Und wer hat den schon zuverlässig?
Nicht nur die Immobilienfonds kommen dahinter, daß es objektive Werte nicht gibt – die Banken müssen diese Erfahrung schon seit Jahren machen. Sie alle und wir alle müssen lernen, daß Märkte da, wo sie funktionieren, wo also Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen, Schwankungen mit sich bringen, Knappheit und Überangebot und Leerstände produzieren, daß Mieten schwanken, und zwar desto stärker, je kürzer die Laufzeiten der Mietverträge sind. Die Globalisierung spielt ebenso eine Rolle wie die aktuelle Wirtschafts- und Währungspolitik, wie Inflation und Deflation, wie Hartz IV und Arbeitslosigkeit.
Wichtiger als alle anderen Faktoren ist und bleibt bei der Immobilie – wie bei jedem wirtschaftlichen Unternehmen – der Mensch. Sind gute Mitarbeiter da, sind vernünftige Kapital- und Kreditgeber im Hintergrund, sind private und kommunale Dienstleister am Werke, die das Wort Dienstleistung als Dienst am Kunden interpretieren und nicht "Vorsicht Kunde" rufen, wenn ein solcher naht, sind schließlich die Geschäftsführungen ihren Aufgaben gewachsen – der Fisch beginnt bekanntlich am Kopf zu stinken –, dann wird der Wert eines Immobilienunternehmens zwar auch schwanken – aber weniger stark, weniger überraschend, weniger pleiteverdächtig.
Solange das Bundesaufsichtsamt und alle Kontrollgremien unisono der Bewertung das Wort reden, muß der Fonds, der Einzelkreditnehmer, die Immobilien-AG den Gutachter beschäftigen.
Nur gilt eben auch hier, was der gute Brecht im Hinblick auf die Planungen des Menschen so treffend auf den Punkt gebracht hat:
"Nun bilde einen Wert
und sei ein großes Licht
und bilde einen zweiten Wert,
geh‘n tun sie beide nicht."
Autor: Dietmar Otremba