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Regine Paschkes (VRi‘inLG) unjuristische Betrachtungen
Der durchschnittlich gebildete Mieter
10.03.2006 (GE 05/06, Seite 265) Da auch Juristenhirne nicht ganz frei von Phantasie sind, kommt es im Rahmen einer rechtlichen Erörterung zum Thema Betriebskostenabrechnung hin und wieder vor, daß ein(e) solche(r) im Geiste – leicht abschweifend – ein bestimmtes Bild auftauchen sieht, und zwar selbst dann, wenn im täglichen Leben Realität und Vorstellung durchaus auseinandergehalten werden können. Es sei hier verraten, daß dieses phantastische Bild ungefähr so aussieht:

Regine Paschkes (VRi‘inLG) unjuristische Betrachtungen

Ein 35 bis 55 Jahre alter Mensch, der in der Dienstleistungsbranche tätig ist und dort 3.261 € brutto monatlich verdient, sitzt am Glas-Couchtisch seiner 2-Zimmerwohnung, von der ihm – neben seinem Ehe- oder Lebenspartner – rechnerisch 41,6 m2 zur Verfügung stehen und für die eine Monatsmiete von insgesamt 408 € (ca. 5,29 €/m2) nettokalt zu zahlen ist. Der Fußboden im Wohnzimmer wird von Veloursteppichboden zum Preis von 12 €/m2, die Wände sind mit Rauhfaser-Tapete der Sorte „Erfurt Classico„ bedeckt.
Der männliche Vertreter ist etwa 1,78 m groß, hat mittelbraunes Haar und ein Körpergewicht von gut 84 kg. Das weibliche Pendant war bei der Geburt des ersten Kindes 29,6 Jahre alt und hat insgesamt 1,4 Nachkommen sowie eine Lebenserwartung von 82,46 Jahren. Der Gatte hat mit 32,4 Jahren seine Ehefrau geheiratet.
So oder so – beide wohnen in der geographischen Mitte des Landes in Niederaula im Landkreis Hersfeld-Rotenburg im Gebiet von Essen und haben vermutlich einen Hauptschulabschluß.
Er und/oder sie sitzen also auf braunem Ledersofa mit im Sekundentakt wechselnder Miene über mehrere Blatt engzeilig bedrucktem Papier gebeugt. Eben noch staunend, dann wieder skeptisch, jetzt aufs Höchste angespannt und zwischendurch der Verzweiflung nahe lesen sie ein von ihrem Vermieter erhaltenes Schreiben, dessen Inhalt sie zu verstehen versuchen. Wer – lieber Leser – sind also diese beiden Personen?
Natürlich: Es sind die „durchschnittlich gebildeten, juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieter„ (BGH VIII ZR 371/04 vom 20.7.2005 = GE 2005, 1118), die zwar „verständig„, aber im übrigen lediglich mit einem handelsüblichen Taschenrechner ausgerüstet sind, und die die jährlich erteilte Betriebskostenabrechnung ihres Vermieters nicht nur zu lesen, sondern auch zu verstehen versuchen.
Wenn ihnen das nicht gelingt, ist die Abrechnung – so mühevoll ihre Erstellung auch gewesen sein mag – das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben ist. Der Bundesgerichtshof erwartet von ihnen, daß sie „die Abrechnung gedanklich und rechnerisch nachvollziehen können …„, damit sie formell ordnungsgemäß ist. Das wissen die beiden und sind nach Kräften bemüht, Gehirn und Taschenrechner in Anspruch zu nehmen, um die ihnen vom obersten Zivilgericht auferlegte Aufgabe zu erfüllen.
Was die beiden nicht wissen: Sie sind der ängstlich beäugte Maßstab ihres Vermieters beim Zusammenstellen der Betriebskostenabrechnung, die unsichtbaren Dritten in der Praxis des Rechtsanwalts und nicht zuletzt die häufigen (gedanklichen) Begleiter des Richters, wenn sich dieser mit der Betriebskostenabrechnung beschäftigt – beim Amtsgericht, wo sie aus Zeitmangel meist nur „der durchschnittliche Mieter …„ genannt werden, ebenso wie beim Bundesgerichtshof, der sie akademisch genau wie oben in Kursivschrift beschrieben bezeichnet.
Mitunter sind sie – ohne es im Moment zu ahnen – sogar Gesprächsstoff zwischen Vermieter, Rechtsanwalt und Richter. Wenn nämlich letzterer den beiden ersteren im Gerichtssaal seine eingangs genannte Phantasie preisgibt und mit besorgtem Blick auf die ihm vorliegende Betriebskostenabrechnung die Frage aufwirft, ob diese Zusammenstellung wohl vom „verständigen, durchschnittlich gebildeten, juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieter … gedanklich und rechnerisch …„ nachzuvollziehen sei …? – dann herrscht für einen Moment nachdenkliches Schweigen im Gerichtssaal, und in mehreren Juristenhirnen taucht gleichzeitig folgendes Bild auf:
Ein 35 bis 55 Jahre alter Mensch, der in der Dienstsleistungsbranche ...
Autor: VRi’inLG Regine Paschke