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Kirchhöfe
28.10.2005 (GE 20/05, Seite 1201) Für den richtigen Berliner gab es früher keine Friedhöfe, sondern nur Kirchhöfe.

Kirchhöfe

Diese Benennung scheint auferstanden und in die Köpfe aller politischen Diskutanten eingezogen zu sein, denn der Kirchhof ist plötzlich den einen zum Leibhaftigen und den anderen zum rettenden Engel geworden, wenn die Zukunft des Landes erörtert wird. Sofern also Kirchhof und seine Vorschläge nicht demnächst auf einem Friedhof beerdigt werden sollen, über dessen Eingang die Worte "mutlos, kraftlos, aussichtslos" angeschlagen sind, bleibt nichts anderes übrig, als wenigstens sein Büchlein "Der sanfte Verlust der Freiheit" zu lesen. Das ist nun eine "Bibel", die die Grundlage für die Reform des Steuerrechts sein könnte, ja, sein müßte, gäbe es da nicht das Haifischbecken der Politik, durch das auch der tüchtigste Schwimmer nicht unverletzt hindurchkommt. Zitat: "Deswegen muß der deutsche Verfassungsstaat gerade im Steuerrecht beweisen, daß er seine Entscheidungs- und Erneuerungsfähigkeit nicht in Konsenszwängen verloren hat. Das prinzipienarme und in der Teilbarkeit seiner Tatbestände und Rechtsfolgen anfällige Steuerrecht darf nicht den Interessentengruppen ausgeliefert und nicht in den Kompromißzwängen einer Koalition zersplittert werden." Und weiter: "Ein nicht in der Wirklichkeit vorgefundenes, in der Vielfalt der Zahlenwerke variables Steuerrecht muß auf Prinzipien, langfristige Folgerichtigkeit und Vertrauen in den einsichtigen Belastungsgrund bauen."
Wie oberflächlich, wie ohne jede Ahnung dessen, was den "Professor aus Heidelberg" umtreibt, da polemisiert wurde, verschlägt einem selbst dann die Sprache, wenn man Wahlkampfbedingungen berücksichtigt. Ihm z. B. "soziale Kälte" zu unterstellen, ist so absurd wie die Annahme, die DDR habe die in der Französischen Revolution 1789 formulierten Menschen- und Bürgerrechte beachtet – dies den Linken ins Stammbuch. Zitat: "Der Steuergesetzgeber wahrt zu wenig die existenzsichernde Funktion des Einkommens, das der Erwerbstätige vor allem erwirbt, um daraus seinen Existenzbedarf und den seiner Familie zu finanzieren."
Es geht Kirchhof im Kern um die Wiederbeachtung des Grundgesetzes, um die Wiederherstellung der Handlungsfreiheit des Bürgers, des Freiberuflers, des Unternehmers durch ein reformiertes Steuerrecht.
Vor allem anderen aber geht es ihm um die Existenzgrundlage, die Zukunft unseres Landes. Zitat: "Die Zukunftsgefahr durch Kindermangel wird in der veröffentlichten Meinung vielfach mit Daten belegt, dann aber erstaunlicherweise auf die leichte Schulter genommen." Und weiter: "Deshalb ist der Zukunftswert der Familie wieder deutlich in das allgemeine Bewußtsein zu rücken. Das Arbeitsrecht muß eltern- und kindergerechte Bedingungen schaffen und dem erziehenden Elternteil nach Erfüllung des Erziehungsauftrags die Fortsetzung der Berufstätigkeit erschließen. Das Sozialversicherungsrecht muß vor allem die Eltern sichern, die den Generationenvertrag ermöglichen."
Muß Kirchhof auf den Friedhof, nur weil eine große Koalition dieses Land regieren wird? Wer diese Parole ausgibt, kann auch gleich die Auswanderung empfehlen. Denn Kirchhof und seine Vorschläge sind ja das Gegenteil dessen, was seine Gegner unterstellt haben – sind eine Anleitung zu sozialorientierter Steuerpolitik, die andererseits aber auch berücksichtigt, daß der Staat die Wirtschaft anregen muß, wenn Steuereinnahmen überhaupt fließen sollen.
Will man die Pferde wieder zum Saufen animieren, muß klares Wasser in die Tränke. Sauberkeit des Wassers aber ist nur erreichbar, wenn klare Grundsätze beachtet werden – eben jene, die Kirchhof formuliert hat.
Autor: Dietmar Otremba