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In der Not bringt der Mittelweg den Tod
13.09.2005 (GE 17/05, Seite 1001) Kürzlich sendete das Fernsehen die Antworten auf Fragen aus dem Bereich Allgemeinbildung, die man jugendlichen Erwachsenen gestellt hatte. Eine der Fragen war, wieviel Liter Blut den Körper eines erwachsenen Menschen durchfließe. Es gab drei Variationen zur Auswahl (ohne solche multiple Hilfe gäbe es vermutlich nur eine Antwort: "Weiß nicht"): 6, 150 oder 1.000 Liter. Keiner der fünf wahllos aus einer Fußgängerzone Herausgepickten entschied sich für die richtige Antwort. Eine junge Frau wählte sogar die Variante mit den 1.000 Litern.
Nun mag man durchs Leben kommen, selbst wenn man all diese Fragen nicht richtig beantworten kann, mag es einem auch schaudern bei dem Gedanken, bei einem Unfall auf das 1.000-Liter-Blut-Mädchen angewiesen zu sein, das auch nach drei Litern Blutverlust keinen akuten Handlungsbedarf sehen wird. Aber angesichts des an allen Ecken und Enden unseres Landes erkennbaren und pisabestätigten Bildungsnotstandes in Deutschland (!) drängt sich gerade vor der Bundestagswahl die Frage auf, wie man angesichts des grundgesetzlich garantierten allgemeinen Wahlrechts es schafft, nach dem 18. September über eine legitimierte Regierung zu verfügen, die das Land wieder vom Kopf auf die Beine stellt.
Deutschland hat heute eine Bevölkerung, die mehrheitlich in der Welt der Zahlen die Waffen streckt, wenn die Ebene der vier Grundrechenarten verlassen wird und selbst in diesem Elementarbereich bei größeren Zahlen scheitert, wenn der Strom ausfällt oder die Batterien alle sind. Neue wissenschaftliche, vor allem naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden nur noch von einem immer weiter schrumpfenden Teil der Bevölkerung aufgenommen. Bei den technischen Weiterentwicklungen geht der Blick nicht mehr durch die Oberfläche (neudeutsch: Benutzeroberfläche). Jahrtausende altes Wissen über den Menschen, in Sprichwörtern und Volksweisheiten geronnene Erfahrung, geht tagtäglich verloren.
Wie will man einer solchen Bevölkerung vermitteln, daß ein Steuerkonzept wie das von Paul Kirchhof mit einem einheitlichen Steuersatz und der Abschaffung aller Sonderprivilegien Wohltat für alle und gerechter ist als das verkommene und täglich verwirrender werdende Steuergestrüpp, in dem wir uns immer weiter verheddern?
Das Magazin "Der Spiegel" führte kürzlich ein Gespräch mit Paul Kirchhof über seinen von – so das Magazin – "vielen" als "ausgesprochen ungerecht" empfundenen Einheitssteuersatz. Kirchhofs Antwort: "Auf den ersten Blick sieht es dabei so aus, als ob alle Bürger einen gleich hohen Anteil Steuern zahlen sollen. Aber tatsächlich ergeben sich deutliche Unterschiede, und zwar, weil der Steuersatz von 25 % auf einen unterschiedlich großen Anteil des Einkommens angewendet wird. … Bei meinem Modell sind nicht die Sätze ausschlaggebend, entscheidend ist die Bemessungsgrundlage. Ob ich 50 % auf 100 anwende oder 25 auf 200, macht keinen Unterschied, das muß man den Menschen erklären."
Ist das nicht zum Weinen, daß ein Mann wie Kirchhof in einem Intellektuellenmagazin Grundschulwissen der vierten Klasse vermitteln muß? Daß – lassen wir mal Kirchhofs Grund- und Werbungskostenfreibetrag, der zusätzlich günstig für Geringverdiener wirkt, beiseite – bei einem einheitlichen Steuersatz jemand, der zehnmal so viel verdient wie ein anderer, auch zehnmal soviel Steuern zahlt, dem Volk der Dichter und Denker überhaupt erklärt werden muß (Kirchhof hat recht damit, man betrachte nur die Äußerung zu seinem Modell in der CDU), das macht so fassungslos.
Das Land braucht nach dem 18. September einen Neuanfang, der diesen Namen auch verdient. Nichts braucht es weniger, als eine Große Koalition, denn – der Volksmund weiß es oder wußte es jedenfalls – in der Not bringt der Mittelweg den Tod. Bevor Sie die Wahlkabine betreten, erinnern Sie sich an die Aufforderung Immanuel Kants an uns alle: sapere aude! Trau Dich, Deinen eigenen Verstand zu gebrauchen.
Und vielleicht gibt es nach dem 18. September – frei nach Hermann Hesse – den "Anfang, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben." Mit Bildung als erstem Ziel und einem Steuerrecht, das uns Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben läßt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Deutschland hat heute eine Bevölkerung, die mehrheitlich in der Welt der Zahlen die Waffen streckt, wenn die Ebene der vier Grundrechenarten verlassen wird und selbst in diesem Elementarbereich bei größeren Zahlen scheitert, wenn der Strom ausfällt oder die Batterien alle sind. Neue wissenschaftliche, vor allem naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden nur noch von einem immer weiter schrumpfenden Teil der Bevölkerung aufgenommen. Bei den technischen Weiterentwicklungen geht der Blick nicht mehr durch die Oberfläche (neudeutsch: Benutzeroberfläche). Jahrtausende altes Wissen über den Menschen, in Sprichwörtern und Volksweisheiten geronnene Erfahrung, geht tagtäglich verloren.
Wie will man einer solchen Bevölkerung vermitteln, daß ein Steuerkonzept wie das von Paul Kirchhof mit einem einheitlichen Steuersatz und der Abschaffung aller Sonderprivilegien Wohltat für alle und gerechter ist als das verkommene und täglich verwirrender werdende Steuergestrüpp, in dem wir uns immer weiter verheddern?
Das Magazin "Der Spiegel" führte kürzlich ein Gespräch mit Paul Kirchhof über seinen von – so das Magazin – "vielen" als "ausgesprochen ungerecht" empfundenen Einheitssteuersatz. Kirchhofs Antwort: "Auf den ersten Blick sieht es dabei so aus, als ob alle Bürger einen gleich hohen Anteil Steuern zahlen sollen. Aber tatsächlich ergeben sich deutliche Unterschiede, und zwar, weil der Steuersatz von 25 % auf einen unterschiedlich großen Anteil des Einkommens angewendet wird. … Bei meinem Modell sind nicht die Sätze ausschlaggebend, entscheidend ist die Bemessungsgrundlage. Ob ich 50 % auf 100 anwende oder 25 auf 200, macht keinen Unterschied, das muß man den Menschen erklären."
Ist das nicht zum Weinen, daß ein Mann wie Kirchhof in einem Intellektuellenmagazin Grundschulwissen der vierten Klasse vermitteln muß? Daß – lassen wir mal Kirchhofs Grund- und Werbungskostenfreibetrag, der zusätzlich günstig für Geringverdiener wirkt, beiseite – bei einem einheitlichen Steuersatz jemand, der zehnmal so viel verdient wie ein anderer, auch zehnmal soviel Steuern zahlt, dem Volk der Dichter und Denker überhaupt erklärt werden muß (Kirchhof hat recht damit, man betrachte nur die Äußerung zu seinem Modell in der CDU), das macht so fassungslos.
Das Land braucht nach dem 18. September einen Neuanfang, der diesen Namen auch verdient. Nichts braucht es weniger, als eine Große Koalition, denn – der Volksmund weiß es oder wußte es jedenfalls – in der Not bringt der Mittelweg den Tod. Bevor Sie die Wahlkabine betreten, erinnern Sie sich an die Aufforderung Immanuel Kants an uns alle: sapere aude! Trau Dich, Deinen eigenen Verstand zu gebrauchen.
Und vielleicht gibt es nach dem 18. September – frei nach Hermann Hesse – den "Anfang, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben." Mit Bildung als erstem Ziel und einem Steuerrecht, das uns Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben läßt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Autor: Dieter Blümmel