Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

Archiv / Suche


Roma locuta causa finita
10.06.2005 (GE 11/05, Seite 625) "Rom hat gesprochen, die Sache ist entschieden" – lautet ein viel zitiertes Wort des Kirchenvaters Augustinus und meint, wenn der Heilige Stuhl sich festgelegt hat, gibt es keine weiteren Diskussionen, mag die Entscheidung auch noch so haarsträubend sein.
Im Mietrecht ist der Bundesgerichtshof seit der Reform des Zivilprozeßrechts zum juristischen Rom geworden. Jüngst hat er einen Streit entschieden, um den viel Tinte geflossen ist: den um die Anwendung der Berliner Orientierungshilfe zum Mietspiegel, die es seit 1988 gibt.
Die Gretchenfrage bei streitigen Mieterhöhungsverfahren lautet: Ist jeder Mietwert in der Spanne ortsüblich, also jeder Wert zwischen Unter- und Oberwert? Oder setzt jetzt eine genauere Ermittlung ein? Und wie hat die Ermittlung zu erfolgen? Muß das Gericht ein Sachverständigengutachten einholen oder darf es selbst eine Einschätzung wagen? Und wenn es das darf, mit welchen Mitteln?
Die Berliner Rechtsprechung war über lange Jahre gespalten. Einige Gerichte holten Gutachten ein, andere wandten die sog. Orientierungshilfe an und erhielten jetzt dafür den Segen des BGH.
Recht hat der BGH mit dem Argument, daß man nicht eine der Parteien mit Gutachterkosten belastet, die in keinem vernünftigen Verhältnis zum erstrebten Ergebnis stehen – und meist ist das ja so, daß 2.000 Euro oder mehr aufgewendet werden müssen, um ein paar Euro mehr oder weniger im Monat zu erhalten.
Unhaltbar freilich ist der Heiligenschein, den der BGH der Orientierungshilfe verpaßt hat. Zwar sei sie nicht Teil des qualifizierten Mietspiegels, könne aber zur Schätzung herangezogen werden, weil ihr "wie dem Mietspiegel eine umfassende Datenmenge zugrunde liege" und es sich dabei "um Aussagen (handele), die vom umfassenden Sachverstand der an der Mietspiegelerstellung beteiligten Experten getragen werden".
Das sind nun gleich zwei Luftnummern. Der Orientierungshilfe lag niemals auch nur ein einziger Datensatz zugrunde, geschweige denn "eine umfassende Datenmenge", wie der BGH behauptet. Es ist sogar noch schlimmer: Seit die Wirkung der in den Orientierungshilfen enthaltenen Merkmale auf die ortsübliche Miete in der Befragung untersucht wurde, lautete das wissenschaftlich abgesicherte Ergebnis: Eine Wirkung läßt sich nicht nachweisen (vgl. GE 2003 [15] 1005 ff.).
Bleibt also noch der vom BGH rekurrierte Sachverstand der Experten in der Arbeitsgruppe Mietspiegel. Da hatten wir Vermutungen über die Wirkung von positiven und negativen Ausstattungs- und Umgebungsmerkmalen – harte Bestätigungen dafür gab es nicht – im Gegenteil (siehe oben).
Eine tragende Rolle spielten bei der Orientierungshilfe die Verbände der Mieter und Vermieter, die dort wie Tarifpartner agierten. Und da ging es zu wie auf dem Fischmarkt: Wenn der Mieterseite mal wieder ein neues Merkmal für die Negativliste eingefallen war, konterte die Vermieterseite mit einem Positivmerkmal – und wenn es eine Mopsfledermaus war. Es kann doch nicht verborgen geblieben sein, daß in den Merkmalgruppen auf der Negativseite genauso viele Merkmale stehen wie auf der Positivseite.
Merkmale, die in keinem Mietspiegel und keiner Orientierungshilfe auftauchen, haben dagegen wesentlichen Einfluß auf die ortsübliche Miete, wie wir seit langem aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen. Faktoren, die von Gesetzes wegen gar nicht berücksichtigt werden dürfen: die Wohndauer etwa (die relativ günstigste Miete zahlt der deutsche Dorfschullehrer, der als Referendar in die Wohnung einzieht und sie erst auf der Bahre wieder verläßt!), Sonderlagen (die Studentenmansarde gegenüber der Universität) und einiges mehr.
Das alles ist Schnee von gestern. Die BGH-Entscheidung stiftet Frieden zwischen Mieter und Vermieter, der auf lange Sicht wertvoller ist als ein paar Cent Miete mehr (oder weniger). Die Anwendung der Orientierungshilfe auf den Mietspiegel führt also zur Ermittlung der ortsüblichen Miete. Schon die Preußische Badeordnung bestimmte, weil es für Männlein und Weiblein streng getrennte Badebereiche mit wechselseitigem Zutrittsverbot gab, der Bademeister aber seine Arbeit in beiden Bereichen verrichten mußte: "Der Bademeister ist eine Frau im Sinne der Verordnung." Jeder wußte, daß das Quatsch ist. Aber es hat funktioniert.
Autor: Dieter Blümmel