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Von großen und kleinen Tieren
30.05.2005 (GE 10/05, Seite 561) Wenn Franz Münteferings Konzernschelten und Heuschrecken-Warnungen eines gelehrt haben, dann dies: Ernsthafte Debatten sind in diesem Land (noch?) nicht (mehr?) möglich. Daß Münteferings Kapitalismus-Kritik auf Stammtischniveau lag, wird man nicht ernsthaft bestreiten. Schließlich richtete sie sich an Stammtische, insbesondere jene in Nordrhein-Westfalen.
Und was den Heuschrecken-Vergleich betrifft: Die Namen von Tiergattungen zu verwenden, um Menschen zu charakterisieren, ist nichts Neues und nicht auf die SPD begrenzt. Man denke nur an die „Ratten und Schmeißfliegen„, die ein früherer bayerischer Ministerpräsident auf Schriftsteller münzte und in seinem Generalsekretär und heutigen Ministerpräsidenten einen fand, der diese Entgleisung auch noch verteidigte.
Dabei täte es uns allen gut, wenn wir uns mit dem berechtigten Kern der Münteferingschen Kritik auseinandersetzen würden.
Dabei geht es zum einen ganz grundsätzlich um unser Staatsverständnis. Da geht bei einigen einiges durcheinander.
„Das Primat der Ökonomie kommt vor dem Primat der Politik. Wer das anders sieht, verkennt die Realität„, sagte in dieser Diskussion einer der großen Wirtschaftsführer, dessen Name hier gnädig verschwiegen werden soll. Weil nämlich anzumerken wäre: Primat ist Primat, ihn (es) gibt es nur einmal. Bei zwei und mehr handelt es sich um Primaten – was auf Lebendiges gemünzt bestenfalls als Bezeichnung für jene Wirtschaftsführer dienen darf, bei denen man einen Rückfall in vorzivilisatorische Verhaltensweisen konstatieren muß.
Zu akzeptieren, die Wirtschaft – auch wenn sie „unser Schicksal ist„, wie Walther Rathenau es einmal formuliert hat – stehe über der Politik, hieße nämlich, die Demokratie als Staatsform abzuschaffen. Sogar unfähige Politiker haben allen Managern – den mittelmäßigen, den fähigen wie den unfähigen – eines voraus: Sie sind vom Volk gewählt. Und wenn Herrschaft weiterhin vom Volke ausgehen soll, muß man Äußerungen wie der zitierten unterstellen, Volksherrschaft (Demokratie) solle abgeschafft werden – oder sie sei gar bereits abgeschafft.
Wir tun alle gut daran, Wirtschaft als Mittel zum Zweck zu betrachten. Wohlstand für alle soll sie bringen, um Ludwig Ehrhardt zu zitieren, durchaus auch unterschiedlich viel Wohlstand. Jedenfalls muß die Wirtschaft nach der Pfeife der Gesellschaft tanzen und nicht umgekehrt.
Und in einem zweiten Punkt ist Münteferings Kritik im Kern berechtigt: Es kann nicht angehen, daß global tätige Konzerne – sei ihre Herkunft amerikanisch, japanisch, schwedisch oder deutsch – die freie Wahl haben, wo sie welche Gewinne zu welchen Konditionen versteuern, und zwar unabhängig davon, wo diese Gewinne erzielt worden sind.
Vereinfacht gesagt: Mehrwert, der in Deutschland mit Hilfe von hier und mit hiesigen Steuergeldern ausgebildeten Arbeitern, Facharbeitern und Akademikern erwirtschaftet und auf von mit Steuergeldern gebauten Straßen, Schienen und Kanälen befördert worden ist, hat gefälligst auch hier versteuert zu werden und nicht dort, wo irgendwelche staatlichen Abenteurer gerade die niedrigsten Steuersätze anbieten.
Man soll sich von der ganzen Globalisierungs-Angstmache aber auch nicht die Augen verkleistern lassen. Hochwertige Waren werden im Busch weder produziert noch dort abgesetzt.
Allerdings müssen wir soviel besser sein, wie wir teurer sind und wohlhabender sein wollen. Wie bei Immobilien der Grundsatz „Lage, Lage, Lage„ gilt, gilt in der Wirtschaft „Bildung, Bildung, Bildung„. Bildung ist, um Rathenaus Wort abzuwandeln, unser Schicksal. Sind wir nicht besser ausgebildet und leistungsbereiter als andere, so hilft es auf lange Sicht nicht, mit Gewerkschaftshilfe möglichst billigen Beelitzer Spargel mit noch billigerem Schweineschnitzel zu reklamieren und sich im selben Atemzug über polnische Spargelstecher oder Schlachttierzerleger aufzuregen. Dann muß man sich eben bescheiden. An diesem Naturgesetz ändert auch keine noch so aufgeregte Kapitalismus-Debatte etwas, und selbst Kritiker wie Müntefering wissen, daß der Kapitalismus zwar die schlechteste Wirtschaftsform sein mag – abgesehen allerdings von allen anderen.
Autor: Dieter Blümmel