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Wilder Westen
04.05.2005 (GE 09/05, Seite 497) In der Auseinandersetzung um den Wegfall der Anschlußförderung im Sozialen Wohnungsbau hat das OVG Berlin ein bemerkenswertes Urteil gefällt. Es wird entweder in die Annalen der Rechtsgeschichte eingehen – sofern es vom Bundesverwaltungsgericht, vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof bestätigt wird. Oder es wird von eben diesen drei Obergerichten kassiert, weil es aus rechtlichen wie aus sachlichen Gründen als das bewertet wird, was es ist: Wilder Westen!
Denn das OVG hatte noch ein Jahr zuvor in gleicher Sache entgegengesetzt entschieden – allerdings war das, bevor zwei der drei Berufsrichter ausgewechselt wurden. Deren Auswechslung nun als Zufall zu bezeichnen, hieße wohl, die Intrigationsfähigkeit der Berliner Justizverwaltung zu unterschätzen.
In dem – neuen – Urteil findet sich folgende Passage: "Selbst wenn man unterstellte, mit dem Bewilligungsbescheid von 1987 habe der Beklagte (Anmerkung: das Land Berlin) entgegen der dargestellten Auffassung des erkennenden Senats eine Anschlußförderung dem Grunde nach rechtsverbindlich zugesichert, wäre der Beklagte an eine solche Zusicherung nicht mehr gebunden. Denn die maßgeblichen Verhältnisse auf dem Berliner Wohnungsmarkt und die Situation des Berliner Landeshaushalts haben sich seither in einer Weise geändert, die die Annahme rechtfertigt, der Beklagte hätte die Zusicherung bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung nicht gegeben oder aus rechtlichen Gründen nicht geben dürfen."
Bleibt dieser Rechtsgrundsatz bestehen, so kann vor jedweden Verträgen mit der öffentlichen Hand nur gewarnt werden. PPP-Verträge mit dem Bund über den Bau und die Finanzierung von Autobahnen wären ebenso betroffen wie der Bau und die Vermietung von Rathäusern und Ministerien. Stimmt die Miete nicht mehr wegen allgemein sinkenden Mietniveaus, wäre der Vertrag eben wegen dieser Änderung der Marktverhältnisse und zunehmender Überschuldung von Bund und Land in Gefahr: Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Daß diese Änderung der Geschäftsgrundlage jedoch vom Land Berlin ab 1991/92, also zwei Jahre nach der Wiedervereinigung, selbst herbeigeführt wurde, findet keine Beachtung. Im Lichte bereits erkannter und über Jahre hochgerechneter Etatdefizite (Bericht des Senats an das Abgeordnetenhaus von Berlin vom 10. April 1992) betrieb das Land Berlin eine expansive Wohnungsbaupolitik. Die Planung des Senats sah vor, "bis 1995 80.000 bis 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen auf den Weg zu bringen", um die Wohnungsnot zu bekämpfen.
Gilt für Richter und Politiker, was ein erfolgreicher Golfspieler von sich behauptet hat: Ich verdanke meinem Beruf alles. Nirgendwo sonst hätte ich mit meinem IQ so viel Geld verdienen (oder in unserem Falle: soweit nach oben klettern) können!?
Das OVG-Urteil liegt auf einer Linie mit der allgemeinen politischen Richtung: Man wurschtelt sich von einer Katastrophe in die nächste. Denn die Folgen des Urteils sind den Richtern natürlich egal – warum auch nicht, wenn sie schon dem Land Berlin egal zu sein scheinen. Berlin hat ja Garantien abgegeben ganz einfach in der Form, daß die nachrangigen Hypotheken, die jetzt nicht mehr mit Zins und Tilgung bedient werden können, verbürgt worden sind. Was also tun, wenn demnächst die Hypothekenbanken eben diese Bürgschaften präsentieren?
Nach dem zitierten Urteil ist die Antwort einfach: Auch nicht bezahlen! Auf die veränderten Rahmenbedingungen verweisen, Formfehler geltend machen, kurzum: sich der Verantwortung entziehen wie ein Vater, der seine Alimente nicht mehr zahlt.
Der Bürger muß sich warm anziehen – und zwar selbst dann, wenn er sein Erspartes in staatlichen Anleihen anlegen will. Er muß davon ausgehen, daß deren Verzinsung gefährdet ist. Nicht nur wegen der Steuern darauf –, sondern einfach deshalb, weil der wachsende Schuldenberg zum "Wegfall der Geschäftsgrundlage", nämlich der Zahlungsfähigkeit des Staates, führen wird. Das jedoch ist "Wilder Westen" in seiner übelsten Form.
Autor: Dietmar Otremba