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Die guten alten Dinge
20.04.2005 (GE 08/05, Seite 441) Es gibt sie noch, die guten Dinge. Eines davon hat der Bundesgerichtshof gerade wiederentdeckt: Juristen nennen es den "objektiven Empfängerhorizont". Aber der Reihe nach.
Wie kein anderes Gesetz hat das Gesetz zur Regelung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, das am 1. April 1977 in Kraft getreten und heute Bestandteil des BGB ist, die Rechtsbeziehungen zwischen Mietern und Vermietern verändert. Vor allem zweierlei brachte das – kurz so genannte – AGB-Gesetz: Deutliche Einschnitte in die Vertragsfreiheit und, was erst nach und nach erkennbar wurde, ein erhebliches Maß an Unsicherheit bei der Auslegung von Verträgen.
Während dem BGB die Grundvorstellung innewohnt, daß autonome Bürger auf gleicher Augenhöhe durch frei ausgehandelte Vereinbarungen in Vertragsbeziehungen zueinander treten, lag dem AGB-Gesetz die Vorstellung zugrunde, daß es beim Abschluß von Verträgen – um es plastisch auszudrücken – auf der einen Seite ein Dummerchen und auf der anderen Seite ein Cleverle gibt.
Das Cleverle ist nach dieser Grundüberzeugung derjenige, der mit einem vor- und ausformulierten Vertragswerk zu seinem Vertragspartner marschiert und dank seiner Marktmacht und intellektuellen Überlegenheit den Vertragspartner nur noch die Unterschrift unter das Kleingedruckte setzen läßt. Jener ist das Dummerchen, das schon damit überfordert ist, das vorgelegte Klauselwerk in Ruhe durchzulesen, geschweige denn zu verstehen.
Diesem Grundstrickmuster des alten AGB-Gesetzes entsprungen sind mehre Auslegungsgrundsätze für Vertragsklauseln.
Einer dieser Grundsätze lautet:
Es gilt das Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung einer Klausel. Ein Prinzip, das von nicht wenigen Gerichten gründlich mißverstanden worden ist. Vielfach nämlich wurde vorformulierten Vertragsabreden eine Bedeutung unterstellt, auf die nur – freundlich formuliert – die Phantasie eines kundigen Juristen (abfällig formuliert: das kranke Juristengehirn eines Winkeladvokaten) kommen kann – weitab dessen, was Vertragspartner, aber auch Formularhersteller hatten regeln wollen.
In einer neuen Entscheidung (sie ist im Wortlaut Seite 478 abgedruckt) hat der Bundesgerichtshof Fehlentwicklungen im Umgang mit dem Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung korrigiert. Wörtlich heißt es in der Entscheidung:
"Allgemeine Geschäftsbedingungen sind gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind."
Endlich wird wieder – bei Mietverträgen – die Sicht eines "objektiven, neutralen und verständigen Mieters" für maßgeblich erklärt oder das, was Juristen den "objektiven Empfängerhorizont" nennen.
Geurteilt hat der BGH übrigens über eine Schönheitsreparaturenklausel aus dem Mietvertragsformular des Grundeigentum-Verlages aus der Zeit Anfang der 90er Jahre, die – bis auf eine Winzigkeit – auch heute noch so in den Formularen enthalten ist. Vereinbart waren Regelfristen für Schönheitsreparaturen und darüber hinaus, daß erforderliche Arbeiten "unverzüglich" durchzuführen seien.
Einige Gerichte hatten die Klausel bei Vermietung einer unrenovierten Wohnung nach dem Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung für unwirksam gehalten, weil durch das "unverzüglich" in diesen Fällen eine Anfangsrenovierung vereinbart worden sei. Wir hatten daraufhin in der Klausel das "unverzüglich" unverzüglich gestrichen.
Hätten wir nicht zu machen brauchen. Der BGH hielt die gesamte Klausel für vollumfänglich wirksam, weil er sie aus der Sicht eines verständigen, juristisch nicht vorgebildeten Mieters interpretierte und genauso auslegte, wie das von den Formularmachern gemeint war.
Wer Formulare herstellt und vertreibt, darf ein wenig aufatmen: Er muß zur Prüfung seiner Klauseln nicht mehr genausoviel kundenfeindliche Auslegungsakrobatik entwickeln wie die versammelte Phantasie der deutschen Juristen.
Autor: Dieter Blümmel