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Selbstfindung bei der BSR
20.04.2005 (GE 08/05, Seite 448) Mit ungebrochener Fröhlichkeit und beneidenswertem Optimismus treiben die Berliner Stadtreinigungsbetriebe in ihrem Selbstfindungsprozeß weiter ihrem Ziel entgegen, das da heißt: Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit.
Seit nunmehr zehn Jahren dauert dieser Prozeß an, der 1995 am Rande einer Aufsichtsratssitzung der Berliner Stadtreinigungsbetriebe begann, wo sich der damalige Finanzsenator Elmar Pieroth vom BSR-Vorstand eine zweiseitige Zielvereinbarung unterschreiben ließ, wonach die BSR wettbewerbsfähig werden sollen. Freilich: Viel mehr als eine fröhliche, feuilletonistische Absichtserklärung waren die zwei Seiten nicht. Und so richtig ernstgenommen hat sie wohl auch keiner der Beteiligten. Anders schon die zweite Zielvereinbarung mit dem Land Berlin, die – neben einer Ausplünderung des Unternehmens zugunsten des Landeshaushaltes – jedenfalls konkrete Schritte (Effizienzsteigerungen, Kostensenkungen) vorsah, die zum Teil auch schon zurückgelegt worden sind. Nun befinden wir uns also im zehnten Jahr der Wettbewerbswerdung (in der Wirtschaft senken, wenn die Wettbewerbsfähigkeit verloren wurde und wiedergefunden werden soll, Börse und/oder Banken den Daumen spätestens nach zwei oder drei Jahren, wenn bis dahin der – so nennt man das heute – „Turn round“ nicht geschafft ist). Und nach Plan sollen weitere zehn Jahre vergehen, bis die Wettbewerbsfähigkeit schlußendlich erreicht ist. Wir feiern also Bergfest bei diesem Prozeß. Zur Feier dieses denkwürdigen Anlasses hat uns der Berliner Senat im vergangenen Jahr eine komplett neue Führungsmannschaft zur Verfügung gestellt, die auf die berühmte Frage von Wladimir Iljtsch Uljanow – besser bekannt als Lenin – „was nun tun?“ als erstes einmal ein Gutachten beim Wirtschaftsberater Kienbaum bestellte. Viel Neues soll dabei nicht herausgekommen sein. Immerhin sind ja Wirtschaftsberater auch eher dafür bekannt, daß sie die Welt beschreiben, aber nicht neu erfinden können. Es reichte für ein neues „Zukunftsprogramm“, das der BSR-Vorstand – der Vorstandsvorsitzende Gerhard Gamperl und seine Kollegen Vera Gäde-Butzlaff und Andreas Scholz-Fleischmann – unter dem Begriff „Kurs 2015“ kürzlich erst einmal mit den Führungskräften des Unternehmens erläuterte. „Kurs 2015“ – der Rückgriff auf die „Agenda 2010“ ist unverkennbar. Man beachte aber auch die dahinter steckende Bescheidenheit und den deutlichen Realitätsbezug. Gerhard Schröder wollte bis 2010 ein ganzes Land wettbewerbsfähig machen – das Scheitern seiner Agenda ist greifbar. Dem „Kurs 2015“ soll selbiges nicht passieren. „Wir wollen zum kommunalen Vorzeigeunternehmen Deutschlands werden“, das formulierte Gerhard Gamperl mit Wiener Hang zur Übertreibung. Die Kunden würden schon einen guten Mittelfeldplatz beklatschen. Und wie soll‘s gehen? Man stütze sich auf eine sogenannte Drei-Horizonte-Strategie (oh, oh: wenn das bei drei Horizonten keine Orientierungsschwierigkeiten gibt …): 1. Absicherung des hoheitlichen Geschäfts durch Tarifstetigkeit (war die Erhöhung zum 1. Januar der Beginn dieser neuen Stetigkeit – stetig nach oben?), 2. Ausbau des gewerblichen Geschäfts mit dem Ziel der vollen Wettbewerbsfähigkeit (Berlin-Recycling [ehemals BRS], Ruwe, FBS, bral und gbav, die Töchter, sind also noch nicht wettbewerbsfähig. Wer zahlt die Anlaufverluste?), 3. konsequentes Nutzen von Chancen für den Aufbau von neuen Geschäften (weh, weh, Schuster. An solchem Horizont haben sich schon ganz andere verhoben). Aus der Sicht der Kunden sieht man solche Sandkastenspielchen mit gemischten Gefühlen. Denn eigentlich ist das doch ganz einfach mit den BSR. Die Jungs verstehen ihr Geschäft sowohl bei der Straßenreinigung als auch bei der Müllabfuhr so, daß sie zumindest ein „befriedigend“ verdienen. Wer andere Metropolen dieser Welt kennt, weiß: Berlin ist eine relativ saubere Stadt, und mit der Müllabfuhr klappt‘s jedenfalls auch so, daß man nicht jedes Mal mit blutunterlaufenen Augen auf die Männer in Orange wartet. Sie sind nur zu teuer. Und woran das liegt, weiß doch jeder: am sogenannten Zusatztarifvertrag, der den Berliner Müllmännern und Straßenfegern ein um rund 35 % höheres Einkommen beschert als ihren westdeutschen Kollegen. Beseitigt man diesen Zusatztarifvertrag im Jahre 2005, haben die BSR die Wettbewerbsfähigkeit spätestens 2007 erreicht. Davor freilich stehen die Personalräte bei den BSR und ihre politischen Partner. Bestes Beispiel bietet die sogenannte „Zweite Lohn- und Leistungsschiene“ in der Straßenreinigung. Was hat es damit auf sich? Im vergangenen Jahr wurde dem damaligen Personalratsvorstand der Straßenreinigung vom BSR-Vorstand ein Angebot unterbreitet, 180 neue Straßenfeger einzustellen – allerdings unter veränderten Bedingungen. Zu gut deutsch: für weniger Geld bei mehr Arbeit. Die Bezahlung sollte nach dem Bundesmanteltarifvertrag (Lohngruppe 3) erfolgen, der Zusatztarifvertrag der BSR sollte nicht gelten, die sogenannte Gedingezulage (Leistungslohn) sollte nicht bezahlt werden. Der Personalrat stimmte zu, und schon im Dezember 2004 konnten die ersten 15 Straßenfeger neu eingestellt werden. Dann aber kamen Personalratswahlen und ein neuer Personalratsvorstand für die Straßenreinigung (Jürgen Baur und sein Stellvertreter Thomas Anders). „Durchgeboxt“, war zu hören, hat ihn der Gesamtpersonalratsvorsitzende Hans-Günter Zimmer. Der Personalrat für die Straßenreinigung hat seitdem alle Anträge auf Neueinstellungen nach der sogenannten Zweiten Lohn- und Leistungsschiene abgelehnt. Der BSR-Vorstand hat sich davon allerdings nicht beirren lassen und Leute trotzdem zu neuen Bedingungen, die gut 30 % Kostenersparung bringen, eingestellt. Ob der Personalrat rechtliche Schritte dagegen einlegt, ist offen. Ganz und gar nicht offen ist allerdings die Zukunft der BSR. Bei einer solchen Haltung der Belegschaftsvertretung werden die BSR niemals wettbewerbsfähig. Wirtschaftssenator Harald Wolf und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit haben das offenbar begriffen und stellen Überlegungen an, wie man die Macht der Personalräte in den öffentlichen Betrieben Berlins nachhaltig beschneiden kann. Aus Kundensicht kann man nur sagen: je schneller, desto besser.