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Das ist die Berliner Luft
06.04.2005 (GE 07/05, Seite 377) Das scheint ein den Deutschen angeborener Reflex zu sein: Gibt es ein Problem, greift man als erstes einmal zu Verboten. Die lassen sich schnell umsetzen, brauchen wenig Kreativität, kaum Verstand, sondern nur ein gerüttelt Maß an Respekt vor der pickelhaubigen Obrigkeit. All das scheint reichlich vorhanden, wenn man sich die Reaktionen auf das neueste (das in Wirklichkeit so neu nicht ist) Brüsseler Geschenk für unser Wohlergehen anschaut: die Feinstaubrichtlinie. Deren Oberwerte dürfen an höchstens 35 Tagen im Jahr überschritten werden – andernfalls drohen Konsequenzen.
Die Anforderungen der Feinstaubrichtlinie liegen hoch, sehr hoch. Möglicherweise zu hoch, als daß man sie – weder in Deutschland noch sonstwo in Europa – in absehbarer Zeit einhalten könnte. Jedenfalls nicht in Ballungsgebieten. In Berlin beispielsweise wurden 2002 diese Grenzwerte in mehreren Stadtteilen an insgesamt 91 Tagen überschritten!
Wie üblich in Deutschland hat ein Zustand, in dem wir uns seit Jahren – übrigens ohne sichtbare Auswirkungen auf die Lebenserwartung – befinden, über Nacht zu einer regelrechten Hysterie geführt. Und wie bei den Pestausbrüchen im Mittelalter braucht auch der moderne Mensch einen Sündenbock, der die Schuld zu übernehmen hat. Den hat man im Dieselmotor gefunden oder zumindest in jenen, die solche in Autos ohne Feinstaubfilter verkaufen. Dabei liegt es nicht nur an den Autos.
Ob es „äußerst fragwürdige Messungen„ sind, die beispielsweise die Berliner IHK als Grund ausmacht, sei dahingestellt. Die an einigen Meßstellen registrierten Überschreitungen der Grenzwerte seien „offenbar auf Streugut des Winterdienstes zurückzuführen„, meint die IHK. Überhaupt komme der Feinstaubmix in Berlin zu 70 % von außerhalb und nur etwa 20 % der Staubpartikel stammten aus Auspuffanlagen von Diesel-Fahrzeugen. Sogar Sahara-Sand will man an der Spree schon im Feinstaubmix gefunden haben. Nicht so viel wie in Rom, wo angeblich der Scirocco für 30 % des Feinstaubes verantwortlich sei. Vielleicht sollten wir einmal daran denken, den Beduinen Pferde und Rennkamele wegzunehmen wenn man sich vorstellt, was die für einen Staub aufwirbeln.
Aber Sarkasmus beiseite: Man kann über Sinn und Höhe von Grenzwerten diskutieren. Darüber, daß Stoffe, die unserem Wohlbefinden abträglich oder gar eine Gefahr für die Gesundheit sind, möglichst vermieden oder reduziert werden sollten, besteht Einvernehmen. Die Frage ist nur: Was tun? Fahrverbote (auch noch sonntags, wo sowieso weniger gefahren wird!) oder – dasselbe in intelligenterer Form (weil der Bürger noch einmal abgegriffen werden kann) als City-Maut – bringen nichts. Gefragt sind viele kleinere intelligente Lösungen. Ab 2008 werden endlich auch die schlafmützigen deutschen Autohersteller Partikelfilter serienmäßig anbieten. Mehr Erdgasfahrzeuge kommen der Luft auch zugute – die BSR haben gerade 53 Sammelfahrzeuge mit Erdgas ausgerüstet, andere werden folgen.
Vielleicht ist jetzt auch die Zeit des „Gentlecars„ gekommen. Zwei Berliner Stadtplaner – Dr. Monika und Dr. Heinz-Jörg Reiher – beschäftigen sich damit seit Jahren, wenn auch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt: Nämlich der Verödung (die man durch Fahrverbote nur noch fördern würde) der Innenstädte entgegenzuwirken. Die Idee der Reihers ist ebenso einfach wie überzeugend. Sie sagen: Unsere Städte sind nicht zu eng, sondern die Autos sind zu groß, wenn man bedenkt, daß meist ein Insasse fünf Sitze durch die Gegend kutschiert. Mit kleinen Autos (Smart und Co.) würde man nicht nur große Parkflächen (und Baukosten) einsparen können, sondern auch für die Luft in den Innenstädten etwas tun. Die Leute würden zwar ihre Reisekutschen nicht abschaffen, aber viel öfter stehen lassen, um mit dem Kleinwagen einkaufen zu fahren. Wesentliche (und praktisch einzige) Vorbedingung: Man muß das Wechselnummernschild zulassen, mit dem man (neben der Familienkutsche) ohne zusätzliche Steuern oder Versicherungsprämien ein Drei-Liter-Stadtauto fahren kann. Der Konjunktur käme es auch zugute.
Übrigens: In der Schweiz und in Österreich gibt es das längst, das Wechselnummernschild.
Autor: Dieter Blümmel