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Weiter verkaufen oder Bestand halten?
Kommunale Wohnungsunternehmen als Instrument der Stadtentwicklung
14.12.2004 (GE 24/04, Seite 1558) Soll der Ausverkauf landeseigener Wohnungen an mehr oder minder gesichtslose Anlegergruppen weitergehen? Oder hat die kommunale Wohnungswirtschaft Berlins noch Aufgabe, Funktion, Chance, Zukunft? Kürzlich hat die stadteigene Gesellschaft DEGEWO über 2.500 Wohnungen an den Finanzinvestor „CERBERUS“ verkauft. Nachstehend begründet FRANK BIELKA, früherer Staatssekretär und heute einer der beiden DEGEWO-Geschäftsführer, warum weitere Wohnungsverkäufe seiner Ansicht nach in die Sackgasse führen.
Braucht Berlin noch eine kommunale Wohnungswirtschaft? Nein, sagen die Kritiker: Es gebe heute ausreichend Wohnungen, die Gesellschaften würden zu geringe Renditen abwerfen, Probleme in den Stadtquartieren löse das Quartiersmanagement. Also lautet die Forderung: Weg mit ihnen! Städtische Wohnungsbaugesellschaften seien überflüssig und unattraktiv für die Stadt, die Bevölkerung und den Eigentümer - sowohl wohnungswirtschaftlich als auch finanziell.
Die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum sei jetzt auch ohne sie gewährleistet. Eine Privatisierung bringe Geld in die leere Kasse des Landes Berlin, und darüber hinaus lasse sich die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen in leistungsstarker privater Hand verbessern.
Doch bei näherer Betrachtung ergibt sich ein ganz anderes Bild: Nie waren die städtischen Wohnungsbaugesellschaften so wichtig und wertvoll - für den Wohnungsmarkt von morgen und die Bewohner von heute, für das Land Berlin als Gesellschafter und für die gedeihliche Entwicklung vieler Stadtquartiere.

Gegen die Wohnungsnot von morgen
Heute scheint der Wohnungsmarkt entspannt; er ist es jedoch nur in manchen Stadtteilen und Segmenten. Und in den nächsten Jahren wird sich die Situation bei den preisgebundenen Wohnungen des unteren Segments verschärfen. Insgesamt läuft bis zum Jahr 2010 bei 40.000 der Wohnungen die Mietpreisbindung aus. Gleichzeitig wird mit einem leichten Anstieg der Zahl der Haushalte gerechnet, und der Wohnflächenkonsum pro Kopf wächst weiter. Doch Geschoßwohnungs-Neubau findet kaum noch statt.
Schrumpfendes Angebot und wachsende Nachfrage werden zu Versorgungsengpässen führen - gerade bei Bevölkerungsgruppen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind. Der Leerstand wird sich in den nächsten Jahren von derzeit über 100.000 Wohnungen aller Voraussicht nach auf 50.000 verringern, weniger als 3 % des Wohnungsbestands.
Dieser Anteil an Wohnungen wird jedoch für eine reibungslose Fluktuation benötigt. Von Angebotsüberhang kann dann keine Rede mehr sein.
Staatliche Wohnungspolitik wird auch künftig dafür sorgen müssen, daß bezahlbarer und zugleich qualitativ ansprechender Wohnraum zur Verfügung steht. Der Alternativvorschlag, Berlin könne ja Belegungsrechte für Wohnungen ankaufen, ist praxisfremd. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß Belegungsrechte - etwa in München - tatsächlich gekauft worden wären.

Erträge für den Landeshaushalt
Die städtischen Gesellschaften konnten in den vergangenen Jahren nur selten eine Dividende erwirtschaften. Wegen der politisch gewollten Wohnungsbauprogramme sowie der ebenfalls erwünschten Stadtentwicklungstätigkeit der 90er Jahre stieg ihre langfristige Verschuldung auf rund 70 % der Bilanzsumme und betrug im Jahr 2003 über neun Milliarden Euro.
Das berücksichtigt aber nicht den erheblichen Liquiditätsabfluß, der in den vergangenen Jahren von den Gesellschaften an das Land Berlin erfolgte. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beziffert diesen Abfluß durch In-Sich-Geschäfte, Grundstücksverkäufe und den Erwerb ehemaliger bezirklicher Wohnungsbestände in den Jahren 1991 bis 2001 mit rund 1,7 Milliarden Euro - mehr als dem Doppelten des Stamm- und Grundkapitals der Gesellschaften in Höhe von etwa 800 Millionen Euro oder mehr als 20 % dieses Kapitals pro Jahr. Die städtischen Gesellschaften haben also viel dazu beigetragen, daß die Haushaltskrise Berlins nicht noch gravierender ist.
Aber würde nicht ein Verkauf weiterer Gesellschaften den Berliner Haushalt noch viel stärker entlasten? Nein: In Berlin werden Erlöse aus Unternehmensverkäufen dem Landeshaushalt zur Deckung von Finanzierungslücken insbesondere im konsumtiven und personellen Bereich zugeführt. Das erlöste Geld wird nicht für eine wirkliche Haushaltskonsolidierung eingesetzt, sondern nicht selten für die Weiterfinanzierung aufgeblähter Konsumaufgaben. Der Verkaufserlös für die GSW dürfte gerade ausreichen, um Unwirtschaftlichkeiten im sozialen Bereich für ein Jahr zu finanzieren.
Das Ergebnis nach einem Jahr lautet dann: Das Vermögen ist verkauft, die Unwirtschaftlichkeit ist weiter gegeben und die Ausgabenüberhänge sind nicht dauerhaft finanziert. Die Stadt ist künftiger Wohnungsknappheit hilfloser ausgeliefert. Und nicht zuletzt fehlt der Politik ein Instrument, mit dem sie künftig hohe soziale Erträge erzielen und damit an anderer Stelle beträchtliche Haushaltsmittel sparen kann. Dieses Instrument wird im folgenden Abschnitt erläutert.

Stadtteil-Politik aus einem Guß
Die städtischen Gesellschaften erbringen für ihren Eigentümer und für die Bürger große gesellschaftliche Leistungen, etwa im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich. Sie entlasten das Land Berlin an anderer Stelle und tragen zum sozialen Frieden in den Quartieren bei. Eine Bewertung von Aktivitäten der DEGEWO, die unter dem Oberbegriff „soziales Management” zusammengefaßt werden können, ergibt für das Jahr 2003 eine Summe von rund 4,5 Millionen Euro.
Beispiele sind ein eigenes Quartiersmanagement im Brunnenviertel im Wedding und in der Gropiusstadt in Neukölln, die Unterstützung von Vereinen und sozialen Einrichtungen durch Überlassung von Räumen, Kultur-Sponsoring im Kiez, mietfreie Begegnungsstätten für Jugendliche, die Gründung und Unterstützung von Mieter- und Kinderbeiräten, Einrichtung von Computerarbeitsplätzen an Schulen sowie der Transfer von Know-how.
Doch das Engagement und die Wirkung der Gesellschaften kann über unmittelbare und punktuelle Aktionen weit hinausgehen - wenn die kommunale Wohnungswirtschaft als bedeutsames Instrument der Stadtentwicklung genutzt wird. Zwar gibt es schon heute gegen die „Verslumung” und Gettoisierung von Quartieren zahlreiche Impulse der Politik sowie staatlicher und privater Organisationen und Institutionen, doch diese Aktionen wirken teilweise hilflos und nicht zielführend. Oft fehlt auch die Kraft, so daß Akteuren nach einem oder zwei Jahren die Luft ausgeht.
Die städtischen Wohnungsgesellschaften können hingegen wirksam und dauerhaft auf ein Stadtgebiet einwirken, wenn ihnen das Quartier mehrheitlich gehört. Und dieses ist häufig der Fall - sowohl in jüngeren Siedlungsgebieten als auch in Innenstadtquartieren, in denen sie eine maßgebliche Rolle bei der Sanierung spielten. Hier ist eine vorausschauende Stadtteil-Entwicklung auch von größtem ökonomischen Interesse für die Unternehmen selbst.
Sie müssen sich dafür allerdings einen umfassenden Bewirtschaftungsbegriff zu eigen machen. Dieser muß das Stadtquartier mit seiner Angebots- und Versorgungsstruktur, seinen öffentlichen Räumen und Einrichtungen und seinem sozialen Gefüge mit all seinen Implikationen einbeziehen. Hier liegt künftig die gesellschaftliche Aufgabe und der gesellschaftliche Nutzen kommunaler Wohnungsbaugesellschaften. Hier können sie eine echte „Stadtrendite” erwirtschaften.
Alle Voraussetzungen sind dafür gegeben, daß kommunale Wohnungsbaugesellschaften die Rolle von Initiatoren, Akteuren und Moderatoren einer positiven Entwicklung einnehmen können: Sie sind gut informiert über Struktur und Entwicklung ihrer Bewohnerschaft. Sie haben einen intensiveren Zugang zu den Menschen „vor Ort” als viele andere. Bereits heute sind sie häufig Ansprechpartner für Probleme, die über das reine Mietverhältnis hinausgehen. Sie sind der ideale Partner einer Politik, die soziale Verwahrlosung und sozialen Abstieg nicht als unabänderliche Entwicklung akzeptieren will.
Erste Voraussetzung für eine erfolgreiche Quartierspolitik ist ein Vermietungskonzept mit dem Ziel, weitgehend stabile Hausgemeinschaften zu bilden. Auch Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe und Versorgungseinrichtungen sollten zielgerichtet angesiedelt werden - im Rahmen eines Gesamtkonzeptes, das auf das jeweilige Stadtquartier abgestimmt ist.
Ein weiteres Thema ist die Zusammenarbeit mit Vereinen und Initiativen, sozialen Einrichtungen, Verbänden und Unternehmen, mit Schulen und Kindertagesstätten. Entsprechend geschultes Personal der Wohnungsgesellschaft soll sich unter anderem darum bemühen, Arbeitsplätze im Quartier zu initiieren und zu sichern sowie Ausbildungseinrichtungen zu fördern.
Daneben ist an materielle, logistische und ideelle Unterstützung anderer Akteure zu denken, die sich um das Quartier kümmern. Ebenso sind Koordinations- und Managementleistungen sowie das Knüpfen und Nutzen von Netzwerken gefordert.
Grundsätzlich kann zwar jeder Eigentümer von großen Wohnungsbeständen eine solche Geschäftspolitik betreiben - ob privat oder staatlich. Gegenüber privaten Unternehmen, die sich bei entsprechender Größe eher an globalen als an lokalen Entwicklungen sowie an einer kurzfristigen Renditeplanung orientieren, bieten öffentliche Wohnungsunternehmen der Kommune jedoch viele Vorteile: Die Kommune hat mehrere Beziehungen zu ihrem Unternehmen. Sie ist in den Aufsichtsgremien vertreten, sie hat die Fachaufsicht. Sowohl Kommune als auch Unternehmen zielen auf dauerhaften Ertrag, von dem letztendlich eine erfolgreiche Stadtentwicklung abhängig ist. Im Idealzustand können die städtischen Unternehmen ökonomisch sinnvolle und stadtpolitisch wirksame Maßnahmen durchführen, die sich nahtlos in das Entwicklungskonzept der Kommune einfügen. Das sichert nicht zuletzt auch die langfristige Rendite von privaten Vermietern, die in solche Stadtentwicklungsprozesse ebenfalls einbezogen werden sollten.

Das Brunnenviertel:
Pilotprojekt der DEGEWO
Das gezeichnete Bild vom kommunalen Wohnungsunternehmen als künftigem Motor der Stadtentwicklung ist anspruchsvoll. Die DEGEWO wird Chancen und Risiken in einem Pilotprojekt im Brunnenviertel im Stadtbezirk Mitte/Wedding ausloten.
Gemeinsam mit dem Institut empirica erarbeitet die DEGEWO ein Stadtteilentwicklungskonzept für das Quartier. Es beinhaltet auch die Definition potentieller Zielgruppen:
1. Junge deutsche und gut deutsch sprechende Familien, die das preisgünstige und citynahe Wohnungsangebot schätzen. Sie legen Wert auf eine hohe Qualität von Kitas und Schulen.
2. Paare und Alleinstehende ab 50, die in der Nähe von Kindern und Enkeln sowie citynah wohnen wollen. Für sie zählen Sicherheit, Sauberkeit und gute Infrastruktur.
3. Jüngere Bewohner, die ein zentrumsnahes und zugleich preisgünstiges Quartier suchen. Im Zuge der „Retro”-Welle finden sie oft auch Wohnungen der 50er- bis 70er Jahre interessant, die bei anderen Gruppen teils weniger beliebt sind. Hier kommt die DEGEWO auch jungen, kreativen Gewerbetreibenden entgegen und verleiht dem Quartier ein ganz neues Profil: Leerstehende Läden und Gewerberäume werden preisgünstig u. a. an junge Modemacher und -händler vergeben.
Ein gebietsorientierter Bewirtschaftungsansatz wird formuliert und das DEGEWO-Kundenzentrum Nord im Sinne eines ganzheitlichen bürgerorientierten Ansatzes neu ausgerichtet. Es wird ein Belegungskonzept für Wohnungen und Gewerbeflächen entwickelt, das die bisherige Form der Vermietung ablöst. Gezielte Baumaßnahmen sollen mehr Sicherheit gewährleisten; die sogenannte zweite Miete soll gesenkt werden. Für die Mieterbetreuung werden fachübergreifende Serviceteams gebildet, die jeweils für bestimmte Teilräume verantwortlich sind.
In einem Gebietsentwicklungsvertrag mit dem Bezirksamt sollen wichtige Voraussetzungen für die Veränderung des Brunnenviertels definiert werden. Es geht um die Neuausrichtung der sozialen Infrastruktur, die Verbesserung von Bildung und Integration bestimmter Gruppen und um die gezielte Unterstützung von Schulen. Der Bezirk wird in dem Vertrag auch verpflichtet, städtebauliche Barrieren abzubauen und so der Insellage des Viertels entgegenzuwirken.
Hier wie in vielen anderen Quartieren können kommunale Wohnungsgesellschaften als Impulsgeber, Koordinator und Motor der Entwicklung dienen. Sie sind prädestiniert und in der Pflicht, für eine bessere wirtschaftliche und soziale Infrastruktur sowie eine stärkere Identifikation der Bewohner mit ihren Siedlungen aktiv zu werden. Wenn sie diese Aufgabe mit Erfolg bewältigen, verschaffen sie sich eine noch stärkere Existenzberechtigung.
Autor: Frank Bielka