Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

Archiv / Suche


Bitte ein BID!
Braucht Berlin Business Improvement Districts?
07.12.2004 (GE 23/04, Seite 1502) Rund 60 große Einkaufs-Center gibt es in Berlin - und einige drum herum. Sie ziehen Kundschaft und Kaufkraft von den vielen kleinen und mittleren Einzelhändlern ab. Ganzen Einkaufsstraßen droht die Verödung, den Seitenstraßen sowieso. Die Entwicklung trifft auch die Vermieter. Einzelhändler, die nichts mehr verkaufen, können auch keine Miete zahlen. Versuche, den Trend zu stoppen, gibt es. Aber selbst am Kurfürstendamm ist es der dortigen Arbeitsgemeinschaft City-West nicht gelungen, alle Interessenten ins Boot zu holen, um die Attraktivität zu steigern. Es gibt zu viele Trittbrettfahrer, die hoffen, daß es die Aktivitäten der anderen schon richten werden. Die logische Konsequenz: Es wird über eine kommunale Abgabe nach amerikanischem Vorbild nachgedacht. BID heißt das Kürzel und steht für „Business Improvement Districts”, was man vielleicht mit „Einkaufsmeilen-Veredelung” übersetzen könnte.
Das Problem
Immer wenn im Bereich der Stadtentwicklung Probleme auftauchen, kann man sicher sein, daß es die in den USA schon lange gibt. Und wenn man dann über Lösungen nachdenkt, so schaut man am besten ebenfalls nach (Nord-) Amerika und wird dort meist auch fündig.
Eines dieser Probleme, das mit der „Karstadt-Krise” nun auch die Titelseiten der Zeitungen erreicht hat, nachdem es Fachleuten schon seit langem auf den Nägeln brennt, heißt Vernachlässigung und Verödung bisher bedeutender Innenstadtquartiere. In Berlin sind von diesem Prozeß mehr oder weniger stark viele Bezirkszentren betroffen, wie z. B. der Ortskern Tegel, der Bereich der Turmstraße in Moabit, die Karl-Marx-Allee in Neukölln und - auf seine Art - auch der Ortskern von Zehlendorf. Die Ursachen sind vielfältig. Zu nennen sind die Dynamik des Einzelhandels und die in diesem Zusammenhang ungelösten Planungs- und Entwicklungsprobleme, die fehlenden Haushaltsmittel und das oft fehlende (oder fehlgeleitete) politische Engagement der Bezirke für die wirklichen Probleme der Einzelhändler und Dienstleister. All dies gibt es nicht nur in Berlin, sondern überall in Deutschland und auch in anderen Teilen Westeuropas und eben auch - und zwar bereits seit Jahrzehnten - in den amerikanischen Großstädten.

Was ist ein BID?
Aus Nordamerika kommt nun auch ein dort durchaus erfolgreiches Gegeninstrument, nämlich die Schaffung von „Business Improvement Districts” (BID). Es handelt sich um ein Modell zur Revitalisierung von vernachlässigten Zentren, das auf der Eigeninitiative der lokalen Wirtschaft beruht. Gewerbetreibende und Grundstückseigentümer in einem Quartier schließen sich zusammen, um in einem örtlich klar abgegrenzten Bereich für einen begrenzten Zeitraum Revitalisierungsmaßnahmen für den Standort zu ergreifen und diese gemeinsam zu finanzieren. Dabei ist der Phantasie der Gewerbetreibenden und Grundstückseigentümer hinsichtlich der notwendigen und sinnvollen Maßnahmen praktisch keine Grenze gesetzt. Angefangen bei Sauberkeit und Sicherheit können Pflege- und Förderungsmaßnahmen für das Quartier in jeder Richtung in Angriff genommen werden, was letztendlich immer zur Werterhaltung und sogar zur Wertsteigerung der vorhandenen Immobilien und zur Verbesserung der Umsatzsituation der vorhandenen Einzelhändler und Dienstleister führt. Alle Maßnahmen bedürfen der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der Grundstückseigentümer und werden von allen gemeinsam finanziert.

Aktivitäten in Deutschland
Auch in Deutschland sind solche Eigeninitiativen örtlicher Händler und ihrer Verbände seit langem in vielen Bereichen üblich, und auch in Berlin hat fast jede Einkaufsstraße einen entsprechenden Verein. Wer das Problem mit der Finanzierung der Weihnachtsbeleuchtung für den Kurfürstendamm in Berlin in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß jedoch, wie begrenzt die Möglichkeiten solcher Initiativen sind. Während nämlich die unmittelbar Betroffenen, also vor allem die Einzelhändler, regelmäßig als Mieter Kosten und Nutzen einzelner Maßnahmen sehr gut abschätzen können, auf der Kostenseite aber auch bei langfristiger Aufwertung des Quartiers die entsprechenden Mieterhöhungsmöglichkeiten der Hauseigentümer in Ansatz bringen müssen, sind die Hauseigentümer häufig an den entsprechenden Investitionen nicht interessiert oder verweigern sich ihnen selbst dann, wenn sie inhaltlich von ihrem Nutzen überzeugt werden können, weil sie hoffen, auch ohne eigene Beteiligung von den Ergebnissen zu profitieren.
Diesem „Trittbrettfahrerproblem” wird in Nordamerika dadurch begegnet, daß sich auf der Basis und als Ergebnis eines Meinungsbildungs- und Abstimmungsprozesses alle (gewerblichen) Grundstückseigentümer zu einer finanziellen Beteiligung an den BID-Aufwendungen verpflichten. Hier kommt den Nordamerikanern naturgemäß ihr wesentlich höherer Gemeinsinn und auch ein höherer Konformitätsdruck zugute. Zusätzlich stehen dort den Kommunen auch wesentlich einfachere hoheitliche Möglichkeiten der Schaffung von Finanzierungsinstrumenten zur Verfügung. Gleichwohl ist inzwischen die Diskussion über das Instrument BID auch in Deutschland angelaufen. Allerdings kommt die Initiative dabei nicht so sehr von den Betroffenen, sondern „von oben”.
So hat das Land Nordrhein-Westfalen ein Förderprogramm mit dem Namen „Stadtmarketing der 2. Generation” aufgelegt, das es ermöglicht, mit Hilfe von Landesmitteln 15 bis 20 BID-ähnliche Pilotprojekte in den nächsten zwei Jahren anzugehen. In den ostdeutschen Städten Chemnitz, Halle, Weimar und Schwerin soll das unternehmerische Engagement vor Ort zur Attraktivitätssteigerung der Zentren ebenfalls durch BIDs gefördert werden - mit Geldern, die das BMWA und das Deutsche Seminar für Städtebau und Wirtschaft zur Verfügung stellt.

BID in Hamburg
Am weitesten fortgeschritten ist die BID-Diskussion in Hamburg. Der Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg liegt der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Einzelhandels- und Dienstleistungszentren“ vor (Drs. 18/960), der z.Z. im Stadtentwicklungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft intensiv diskutiert wird. Das Gesetz sieht die Einrichtung von „Innovationsbereichen” durch Rechtsverordnung des Hamburger Senats vor. Mit dem Instrument soll die Attraktivität eines Einzelhandels- und Dienstleistungszentrums für Kunden, Besucher und Bewohner erhöht werden, indem durch gezielte, von den Betroffenen selbst erarbeitete Maßnahmen die Rahmenbedingungen für die in diesem Bereich niedergelassenen Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe verbessert und dadurch der jeweilige Standort gestärkt werden. Voraussetzung ist, daß mindestens 15 % der Betroffenen vor Ort selbst die Initiative ergreifen und einen privaten Aufgabenträger für die aus ihrer Sicht erforderlichen Maßnahmen finden. Sie werden dabei von der Handelskammer Hamburg unterstützt.
Der Aufgabenträger erarbeitet ein Maßnahmen- und Finanzierungskonzept und verhandelt mit der Stadtverwaltung über dieses Konzept und seine vertragliche Fixierung in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag. Kommen Aufgabenträger und Gemeinde überein, so führt die Gemeinde ein Anhörungsverfahren unter allen Grundeigentümern des Innovationsbereichs durch. Stimmen im Rahmen dieses Anhörungsverfahrens weniger als ein Drittel der Grundstückseigentümer gegen die Einrichtung des Innovationsbereichs, so kann er vom Senat durch Rechtsverordnung förmlich festgelegt werden mit der Folge, daß der Aufgabenträger das Maßnahmen- und Finanzierungskonzept umsetzen muß und die Gemeinde bei den betroffenen Grundstückseigentümern eine Abgabe zur Finanzierung dieses Konzepts einzieht und an den Aufgabenträger weiterleitet.

Ist so etwas rechtlich zulässig?
Juristen fragen bei einem solchen Projekt natürlich als erstes immer nach den Rechtsgrundlagen und der verfassungsmäßigen Zulässigkeit eines solchen Vorhabens. Diesen Fragen soll vorliegend nicht weiter nachgegangen werden, weil sich insoweit für Stadtstaaten mit eigener Gesetzgebungskompetenz keine unüberwindlichen Probleme stellen. In Hamburg wurden nach einem längeren Auswahlverfahren die Professoren Hellermann und Hermes mit der Begutachtung des dort erarbeiteten Gesetzentwurfes beauftragt. Das Ergebnis war positiv, so daß der Senat der Hansestadt Hamburg sich nicht aus Rechtsgründen an der Weiterverfolgung des Vorhabens gehindert sah. Da die Verwaltungsstrukturen in Hamburg und Berlin hinsichtlich vieler Punkte vergleichbar sind, bestünde vor diesem Hintergrund wohl auch in Berlin kein rechtliches Hindernis, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten und auf seiner Grundlage auch in Berlin BIDs einzurichten. Fraglich ist jedoch, ob dieses ein guter und zweckmäßiger Weg wäre.

Die Berliner Diskussion
Diese Frage wird in Berlin natürlich nicht erst im Rahmen dieser Zeilen gestellt. Im politischen Raum hat als erste wohl die CDU-Fraktion die Hamburger Diskussion aufgegriffen und selbst einen Gesetzentwurf erarbeitet, der allerdings noch nicht in das Abgeordnetenhaus eingebracht wurde. Er ist - so ist zu hören - innerhalb der Partei nicht ganz unumstritten. Die FDP-Fraktion plädiert - wie könnte es anders sein - für Initiativen ausschließlich auf rein freiwilliger Basis. Der Senat von Berlin und die ihn tragenden Parteien schweigen, denn mit dem Lösungsvorschlag BID müßten sie dann natürlich auch das Problem benennen, das sie lösen wollen, und dieses ist in vielen Facetten ein von Politik und Verwaltung selbst verursachtes bzw. zumindest bisher nicht ausreichend bearbeitetes. Hier müssen einige zum Jagen wohl noch getragen werden.
So etwas ist naturgemäß die Aufgabe der Industrie- und Handelskammer. Die IHK Berlin begrüßt deshalb auch die Diskussion zur Einrichtung von BIDs, wie sie ja auch sonst und immer für alle Formen von public private partnership eintritt. In einer auf ihrer Homepage nachzulesenden Erklärung wird das Instrument ausführlich erörtert, und es werden auch die bisher in Deutschland in verschiedenen Städten ergriffenen Initiativen geschildert, die - wie bereits erwähnt - jedoch hauptsächlich mit öffentlichen Geldern operieren.
Nun gibt es in Berlin bekanntlich weder eigenes öffentliches Geld, noch wird der Bund Berlin für diese Zwecke Geld zur Verfügung stellen. Vor diesem Hintergrund wäre die spannende Frage, was die IHK denn von dem Hamburger Projekt der Finanzierung durch die Betroffenen und einer möglichen Übertragung dieses Modells auf Berlin hält. Dazu erfahren wir auf ihrer Homepage leider nichts. Unter der Hand ist insoweit die Einschätzung zu hören, daß es in Hamburg wohl einen wesentlich höheren Organisationsgrad der Eigentümer und der teilweise mit ihnen identischen, teilweise bei ihnen mietenden Einzelhändler gäbe und dies die Grundvoraussetzung für ein Gelingen der Hamburger Initiative sei. In Berlin habe man einen solchen Organisationsgrad trotz aller bisherigen Bemühungen bisher nicht erreicht und erwarte auch nicht, ihn in Zukunft zu erreichen, so daß man keine Hoffnung auf eine Umsetzung des Konzepts in Berlin setze und es deshalb in der Hamburger Form auch nicht propagiere. Also: Kein BID in Berlin?

Bitte wenigstens ein BID!
Wer die Berliner Stadtentwicklungsprobleme im Bereich verschiedener Bezirkszentren und Einzelhandelsschwerpunkte in den letzten Jahren verfolgt hat, kann sich mit diesem Ergebnis nicht zufriedengeben. Es besteht eine massive Wechselwirkung zwischen dem „Niedergang” verschiedener traditioneller Bezirkszentren und den daraus folgenden Chancen für Neuinvestitionen in Einkaufszentren an nicht zentralen und auch stadtentwicklungspolitisch nicht als zukünftige Zentren gewünschten Standorten, was dann den weiteren Niedergang der durch solche Investitionen zusätzlich unter Druck geratenen Bezirkszentren zur Folge hat. Es müßte sowohl im Interesse vor allem der bezirklichen Politik als auch im Interesse der betroffenen Grundstückseigentümer sein, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und durch „improvement”, also Pflege und Wiederherstellung der zentralen Qualität der betroffenen Bereiche der Konkurrenz unangepaßter neuer Einkaufszentren entgegenzutreten und gleichzeitig politisch Argumente für ihre Unvertretbarkeit und Überflüssigkeit zu schaffen. Daß der Senat hier nicht die Initiative ergreift, ist problematisch, aber immerhin verständlich, hat er doch selbst in der Vergangenheit durch verschiedene Entscheidungen über Einzelhandelsstandorte zur Schwächung der traditionellen Bezirkszentren beigetragen.
Nicht verständlich ist dagegen das Schweigen der Bezirke. Von den für die Stadtentwicklungspolitik eines „Gemeindeteils” mit mehreren hunderttausend Einwohnern Verantwortlichen, also den Bezirksstadträten und den Bezirksverordneten, könnte erwartet werden, daß sie ein solches Instrument wie den durch den Hamburger Gesetzentwurf konturierten „Innovationsbereich” auch für sich diskutieren und letztendlich einfordern. Daß ein Instrument, das mit dem Wort „Abgabe” verbunden ist, nicht populär ist, kann allein kein Argument sein, sich mit ihm nicht zu beschäftigen. Dementsprechend liegt hier eher der Verdacht nahe, daß die Selbstorganisationstendenz, die dem BID zu eigen ist, der bezirklichen Politik nicht gefällt. Das Motto ist hier oft sehr eindeutig: „Besser es geschieht gar nichts, als etwas ohne uns.” Doch selbst denen, die diesem Motto folgen, könnte durch ein BID geholfen werden: Sie bräuchten sich nur an die Spitze der Bewegung zu setzen. Noch ist dieser Platz in Berlin unbesetzt.
Autor: RA Dr. Klaus-Martin Groth