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Das muß nicht wirklich sein
Exorbitante Kosten für die Räumung
09.11.2004 (GE 21/04, Seite 1342) So wie im Foto sieht so manche Wohnung aus, die der Gerichtsvollzieher räumen muß. Daß man als Vermieter, der nach langem Prozessieren endlich den Räumungstitel in Händen hält, auch noch die großzügig bemessene Räumungsfrist erduldet, Gericht und den teuren Anwalt bezahlt und den Mietrückstand schon abgeschrieben hat, verkraftet man noch. Daß man aber ein paar tausend Euro Räumungsvorschuß zahlen soll, ist der Tropfen, der das Faß meist zum Überlaufen bringt. Da wirkt eine Entscheidung des AG Wedding wie ein Silberstreif am Horizont.
Je größer der Schmerz, desto lauter das Geschrei. So könnte man die Ursache
für den zunehmenden Argwohn gegenüber dem Gerichtsvollzieher
umschreiben, wenn dieser den Räumungskostenvorschuß anfordert.
Da hat man als Vermieter nach langem Prozessieren endlich den
Räumungstitel erlangt, die großzügig bemessene Räumungsfrist erduldet, das
Gericht und den teuren Anwalt bezahlt, den hohen Mietrückstand schon
abgeschrieben und nun auch das noch: Die 3.000 bis 4.000 Ä
Räumungskostenvorschuß, die die Gerichtsvollzieher durchschnittlich
anfordern, sind der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Wieso noch
einmal so viel Geld, wo sich doch in der Wohnung, so schließt man von der
Person des Mieters auf seine Wohnungseinrichtung, nur noch Wertloses
befinden kann? Warum also noch mit vielen Helfern und mehreren Lkw
anfahren und alles zur Pfandkammer bringen?

Für viele Vermieter und Verwalter kommt deshalb der in GE 2004 Seite 965 ff.
veröffentlichte Beschluß vom 12. Juli 2004 des Amtsgerichts Wedding wie
eine Erlösung von einer schlimmen Geißel daher. Das Amtsgericht hatte den
für die Räumung zuständigen Gerichtsvollzieher angewiesen, es lediglich bei
der Öffnung der Wohnung und der Inbesitzsetzung des Gläubigers zu
belassen, da dieser das Vermieterpfandrecht geltend gemacht hatte.
Dem Einwand des Gerichtsvollziehers, es müsse zunächst einmal festgestellt
werden, ob überhaupt Dinge in der Wohnung dem Vermieterpfandrecht
unterlägen, hielt das Gericht entgegen, dies sei Sache des betroffenen
Mieters. Solange dieser nicht diese Unpfändbarkeit einwende, könne so wie
beschlossen vorgegangen werden.

Ändert sich nun in Berlin auf Grund dieser Entscheidung die jahrzehntelang
geübte Räumungspraxis?

Die Vermieter bzw. die Verwalter oder ihre Anwälte versuchen es natürlich. Es
liegen dem Verfasser schon einige Reaktionen der Gerichtsvollzieher vor. So
hat eine Obergerichtsvollzieherin dem Gläubiger mitgeteilt, daß das
beauftragte Fuhrunternehmen nicht abbestellt werde, da es sein könne, daß
sich in der Wohnung neben Dingen, die dem Vermieterpfandrecht nicht
unterlägen und welche in die Pfandkammer zu bringen seien, auch noch Müll
befinden könne, der ebenfalls aus der Wohnung zur Müllkippe geschafft
werden müsse.

Dies überzeugt sicherlich nicht. Andere Gerichtsvollzieher sind zunächst
enttäuscht darüber, daß ihnen im Hinblick auf jene Entscheidung seitens der
vorgesetzten Stelle nichts an die Hand gegeben wird. Im übrigen können sie
sich nicht vorstellen, mit der jahrzehntelangen Praxis nun von heute auf
morgen zu brechen.

Die besagte Entscheidung bindet die Gerichtsvollzieher nicht. Sie sind nicht
etwa bestimmten Richtern unterstellt bzw. zugeordnet. Sie haben ihr
zugewiesenes Gebiet innerhalb eines Gerichtssprengels. Erst wenn sich im
Gerichtsbezirk z. B. des Amtsgerichts Berlin-Wedding die Auffassung jener
Entscheidung durchsetzt, wären die dortigen Gerichtsvollzieher de facto
gebunden. Sie müßten jedenfalls damit rechnen, daß ein abweichendes
Vorgehen aufgehoben würde.

Der erlassene Beschluß kann auch nicht etwa auf dem Dienstwege, also über
den Amtsgerichtspräsidenten, verfügt werden, das wäre ein Eingriff in die
Judikative.
Es handelt sich also um die Entscheidung einer Zivilabteilung von über 270
Zivilabteilungen der Amtsgerichte des Landes Berlin, und es bleibt
abzuwarten, ob sie sich durchsetzt.

Selbst wenn diese Entscheidung Schule macht, bleibt noch ungeklärt, wie nun
der Vollstreckungsgläubiger mit den nicht dem Vermieterpfandrecht
unterliegenden Sachen verfahren soll. Eines kann jetzt schon vorausgesagt
werden: Es würde eine hohe Zahl von Schadensersatzprozessen ausgelöst
bzgl. der Gegenstände, die dann der exmittierte Mieter vermißt.
Ungeachtet der Fragen nach der Praktikabilität dieser Entscheidung sind auch
rechtliche Bedenken zu erheben. Der Beschluß unterstellt, daß mit jener
Entscheidung des BGH vom 14. Februar 2003, IX a ZB 10/03, abgedruckt in
DGVZ 2003, S. 88 f., die Frage der Beachtung unpfändbaren Eigentums des
Mieters dahingehend entschieden sei, daß nun so wie vom Gericht
vorgegeben vorgegangen werden könne. Ob der BGH sich tatsächlich so
verstanden wissen will, wie ihn das Amtsgericht Wedding interpretiert, ist
fraglich, denn dort handelte es sich um einen besonders gelagerten Fall.
Immerhin regelt § 885 II ZPO unmißverständlich, daß im Rahmen einer
Zwangsräumung bewegliche Sachen, die nicht Gegenstand der
Zwangsvollstreckung sind, vom Gerichtsvollzieher wegzuschaffen oder ggf.
dem anwesenden Schuldner auszuhändigen, also in keinem Falle dem
Gläubiger zu belassen sind.

Es ist ein tragender Gedanke des Vollstreckungsrechts, daß jedenfalls der
Gläubiger nicht Zugriff auf Sachen haben soll, die nicht der
Zwangsvollstreckung unterliegen. Diese Möglichkeit ist aber nach dem
Beschluß des Amtsgerichts Wedding nunmehr gegeben.
Dennoch hat die Weddinger Entscheidung den Stein ins Rollen gebracht und
das Quasi-Monopol der Gerichtsvollzieher, den Räumungspreis hoheitlich
bestimmen zu können, angeknackt. Die Frage stand und steht im Raume, ob
denn alles mit rechten Dingen zwischen Gerichtsvollzieher und Spediteur
zugeht.

Wo ist da der freie Wettbewerb? Und vor allem: Während der Anwalt sein
Honorar nur nach festen Gebührensätzen berechnen kann, ebenso das
Gericht und letztlich auch der Gerichtsvollzieher, findet sich für die Kosten
des Spediteurs keine Gebührentabelle noch sonst eine Vorschrift zur
Festlegung dieser Kosten. Sie werden nicht einmal kontrolliert, sondern
fließen unreflektiert in die Kosten der Zwangsvollstreckung ein; es bedarf
nicht einmal ihrer Festsetzung. Dabei sind es die mit Abstand höchsten
Einzelkosten einer jeden Zwangsräumung.
Zwar können Vermieter wie Mieter gegen die Abrechnung des
Gerichtsvollziehers Erinnerung einlegen, aber der Verfasser hat noch nie
erlebt, daß gerade die Räumungskosten nach unten korrigiert worden wären.
Diese Konstruktion begünstigt den Argwohn, manchmal sind es aber auch
bestimmte Erlebnisse. Der Verfasser war bei einer Räumung zugegen, und
nach getaner Arbeit lud der Spediteur ihn und den Gerichtsvollzieher zu
einem Kaffee ein. Es ging aber nicht in die Kneipe um die Ecke, sondern in
das eigens vom Spediteur mitgebrachte und vorgewärmte Wohnmobil, wo
dann nicht nur frischer Kaffee, sondern auch belegte Brötchen serviert
wurden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Dennoch: Man findet unter den Gerichtsvollziehern sicherlich nicht mehr,
möglicherweise aber auch nicht weniger schwarze Schafe als in jeder anderen
Berufsgruppe. Es wäre auch viel zu einfach, nun von vermeintlich hohen
Räumungskosten auf ein Kartell der Gerichtsvollzieher/Spediteure zu
schließen.
Es gab Zeiten, da durfte der Gerichtsvollzieher nur die vom
Gerichtspräsidenten vorgegebenen Spediteure beauftragen. Die kriegten ihren
Auftrag also so oder so.
Aber auch jetzt, wo die Gerichtsvollzieher diesbezüglich freie Hand haben,
muß man folgendes berücksichtigen:

a) Die sich häufenden Regreßfälle gegen das Land Berlin wegen angeblich bei
der Räumung abhanden gekommener Wertgegenstände führten zu der
Präsidialanweisung, nunmehr vorsorglich so gut wie alles in die Pfandkammer
zu fahren. Ergebnis: Noch mehr Räumungszeit, noch mehr Kosten, auch in
der Pfandkammer.

b) Die Zwangsräumung kann nicht mit einem normalen Umzug verglichen
werden. Die Mitarbeiter der Räumungsspedition müssen im Zweifel
ekelresistent sein. Wer greift schon gern in die dreckige Wäsche unbekannter
Mitmenschen, und wer setzt sich gerne dem Angriff von Flöhen, Läusen,
Wanzen oder dem Anblick verkoteter Wohnungen, menschlicher oder
tierischer Exkremente aus.

c) Eine normale Spedition kümmert sich nicht um den Hund oder die Katze,
den Vogel oder das Aquarium. Diese unterliegen auch nicht dem
Vermieterpfandrecht.
In der Regel sind herkömmliche Möbelspediteure auf solche Situationen nicht
vorbereitet.

d) Sofern das Räumungsgut entsorgt werden muß, muß schon der
Gerichtsvollzieher bzw. der Spediteur säuberlich trennen: Sondermüll hier,
normaler Müll da. Der kaputte Fernseher, der defekte Kühlschrank, die nicht
mehr funktionierende Computeranlage und dergleichen mehr sind eben
Sondermüll. Es kommen also zumindest eine zusätzliche Fahrt (zur
Mülldeponie) und auch zusätzliche Entsorgungskosten hinzu.
Und dennoch ist es unbefriedigend, daß gerade der mit Abstand größte
Kostenanteil einer Zwangsräumung so gut wie keiner Kontrolle unterliegt und
vor allem auch keinem Wettbewerb.
Den beamteten Gerichtsvollzieher nun zum hoheitlichen Spediteur in Sachen
Zwangsräumung mit festen Gebührensätzen zu machen, ist wohl nicht
praktikabel.

Aber warum nicht in die andere Richtung denken? Bei der Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung gab es zumindest das sog. Unternehmen- und
Lieferantenverzeichnis (ULV). Wer dort quasi als Hoflieferant eingetragen
werden wollte, mußte sich entsprechend beleumunden. Dies könnte vielleicht
die Justizverwaltung mit den Spediteuren machen im Hinblick auf die
Geeignetheit bei Zwangsräumungen.
Der betroffene Räumungsgläubiger könnte sich dann dieser Liste bedienen
und selber mit der von ihm ausgewählten Spedition den Preis aushandeln.
Schlägt der Vollstreckungsgläubiger in einer ihm vom Gerichtsvollzieher
gesetzten Frist keinen Spediteur vor, so bestellt der Gerichtsvollzieher eine
ihm geeignet erscheinende Spedition.
Dies wirft sicherlich wieder viele Fragen auf, so im Hinblick auf die Haftung,
aber auch im Hinblick auf die Festsetzung solcher Kosten und auch im
Hinblick auf die Angemessenheit der Kosten.
Aber dies dürfte lösbar sein. So könnte der ausgehandelte Preis über den
Gerichtsvollzieher bezahlt werden, der sie in seine Räumungsabrechnung
einstellt. Denkbar wäre aber auch, daß der Vollstreckungsgläubiger sie
gesondert festsetzen läßt, was endlich auch eine Kontrolle (zum Schutze des
geräumten Mieters) brächte.
Der Kostenbeamte muß auch heute schon die Angemessenheit z. B. der
Gutachterkosten, der Reiskosten etc. beurteilen, warum nicht auch der
Räumungskosten? Bei ihm würde sich recht bald ein Preisspiegel bilden.
Die Haftung liegt nach jetziger Praxis beim Land Berlin. Dies könnte eh auch
bei dem hier vorgeschlagenen Weg so bleiben, nämlich mit der Möglichkeit,
daß das Land Berlin bei dem Spediteur Regreß nimmt und dieser schon bei
seiner Bewerbung den Nachweis einer ausreichenden Haftpflichtversicherung
erbringt.
Autor: RA Ferdinand Klasen