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Wahlkampf um Berlin
09.11.2004 (GE 21/04, Seite 1320) „Greif zu, CDU!“ möchte man den gebeutelten Berliner Christdemokraten zurufen, nachdem sich jetzt einer der besten Angreifer der politischen Bundesliga selbst auf die Transferliste gesetzt hat.
Das wäre doch was:
Friedrich Merz gegen Klaus Wowereit. Der Wahlkampf um Berlin könnte für
höchsten Unterhaltungswert sorgen. Und Friedrich Merz könnte zu haben
sein. Seine Schmoll-Auszeit signalisiert, daß er sich auf jeden Fall für den
besseren Bundeskanzler hält als Angela Merkel. Sollte die 2006 gewinnen (im
Moment sieht es eher danach aus, daß sie nur Halbzeitkanzlerin wurde), ist
Merz sowieso weg vom Fenster. Ein Eintritt in ein Kabinett Merkel etwa als
Finanzminister wäre nur eine Beerdigung erster Klasse, denn nach unserer
Verfassung bestimmt der Kanzler die Richtlinien der Politik, sogar wenn der
eine Sie ist. Scheitert Merkel, braucht Merz eine Plattform für seinen eigenen
Schaulauf zur Kanzlerkandidatur. Dafür wäre die Hauptstadt Berlin mit ihren
Journalistenpulks besser geeignet als Nordrhein-Westfalen, wo Merz
herkommt und wo er erst einmal ein Mittelgewicht wie Jürgen Rüttgers
wegputzen müßte (falls das nicht schon die nächste Landtagswahl besorgt).
Eins wird jedenfalls immer deutlicher: Wenn in Berlin das doppelte Zettchen
Nicolas Zimmer und Joachim Zeller (so) weitermacht, dann war das ein
prophetisches Foto, das die Berliner CDU-Fraktion dem Bericht über ihre
völlig mißglückte Warschau-Reise voranstellte: Der verbliebene abgelichtete
Rest könnte dann durchaus der Stärke der CDU-Fraktion nach der nächsten
Abgeordnetenhauswahl entsprechen. Bei der Klausurtagung der Berliner CDU
in Warschau hatte die Disziplinlosigkeit der Truppe bundesweit Schlagzeilen
gemacht - u. a. waren viele Abgeordnete dem von Fraktionschef Zimmer
vorgegebenen Programm ferngeblieben und hatten statt dessen einen
Einkaufsbummel oder noch schönere Dinge unternommen. Und anschließend
dafür gesorgt, daß Zimmers mangelnde Führungsfähigkeit in den Zeitungen
genüßlich breitgetreten wurde - wobei für Kenner des Berliner
Beziehungsgeflechts klar war, daß solche Informationen auch aus der Ecke
des früheren Finanzsenators und Zimmer-Gegenkandidaten Peter Kurth
gekommen sein müssen. Eigentlich ist Nicolas Zimmer ein kluger Mann, er ist
anständig (ich würde jederzeit einen Gebrauchtwagen von ihm kaufen), er
kann zuhören, er ist bedächtig. Er hat vieles - nur eines nicht: eine
ausreichende Menschenkenntnis. Die kann er in seinem Alter auch noch nicht
haben. Aber er könnte sie sich wenigstens ein wenig anlesen. Empfehlenswert
dafür sind besonders die Werke des Verhaltensforschers Prof. Felix Cube.
Wenn Zimmer begreift, daß der Menschen Handlungen immer in erster Linie
von der Suche nach und der Erweiterung von Sicher-heit(en) bestimmt sind,
kann er auch führen. Das war so, das ist so und das bleibt so, sagen die
Verhaltensforscher. Wer dagegen mit denen, die ihn zum Führer gewählt
haben, über den Weg diskutiert und erkennen läßt, daß er über den Weg
selbst unsicher ist, schränkt Sicherheitsgefühl und Sicherheitszonen der
Geführten ein - so wie jüngst, als er in einer politischen Fachzeitschrift ein
Plädoyer für eine schwarz-grüne Koalition hielt und 14 Tage später nach
einem Gespräch mit Angela Merkel die Gedankenspinnerei umgehend wieder
beerdigte. Die Geführten reagieren auf Führungsschwäche mit
Adrenalinausschüttung und folglich mit Aggressionen. Man soll sich nicht
täuschen. Die Zivilisation ist ein dünner Film, der jeden Tag an unzähligen
Stellen auf dieser Welt immer wieder reißt. Auch eine Fraktion verhält sich
letztlich wie ein Rudel. Und was Wölfe mit schwachen Rudelführern machen,
kann man auch bei den Verhaltensforschern nachlesen. Die machen das
übrigens nicht zum Spaß, sondern um zu überleben.