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Menschliche Maßstäbe
25.10.2004 (GE 20/04, Seite 1249) Niemand, so war es vor einiger Zeit Bundeswirtschaftsminister Clement entfahren, müsse „Angst haben, wegen Hartz IV in einen Plattenbau ziehen zu müssen.„ Es gab einen Aufschrei.
In viel kleinerem Maßstab (vgl. Leserbriefe Seite 1288) kam nämliche Reaktion auf meine Äußerung zum Thema in GE 18 Seite 1120, wo es hieß:

„Aber was immer man in Plattenbauten hineinsteckt, ob man Dachgeschosse abträgt und Grundrisse verändert: Ihr Grundproblem wird man nicht beseitigen – diese Behausungen entsprechen nicht menschlichen Maßstäben.„
Die heftige Gegenreaktion auf diese Äußerungen ist ebenso verständlich wie berechtigt, und zwar aus demselben Grund, der mein Verdikt der Platte trägt.

Das ist erklärungsbedürftig. Leisten kann das die Verhaltensforschung.
Müßte ich den Stand der Erkenntnisse der Evolutionsbiologen, -psychologen und -soziologen über den homo sapiens sapiens in zwei Thesen zusammenfassen, würden sie lauten:
1. Der Mensch verfügt unter allen Wesen über die größten kommunikativen Fähigkeiten. Sie haben seinen Erfolg begründet.
2. Der Mensch braucht mehr als jedes andere Lebewesen Sicherheitszonen und Sicherheitsabstände als Reflex auf die Erkenntnis der eigenen Endlichkeit. Und er versucht, diese Sicherheitszonen ständig auszudehnen. Auf Verletzungen seiner Sicherheitszonen reagiert er mit Adrenalinausschüttungen, die wiederum zu aggressivem Verhalten führen, das dem Schutz und der Vergrößerung der eigenen Sicherheitszone dient.
Mit diesen beiden Thesen beschreibt man auch die Grundbedürfnisse menschlichen Wohnens. Sie standen hinter den „menschlichen Maßstäben„.
Wohnen muß die menschlichen - vorliegend beschriebenen - Grundstrukturen befriedigen.
Beispiele werden Ihnen selbst einfallen. Nehmen Sie zum Beispiel das Wohnen in Platten- (und anderen) Hochhäusern. Es befriedigt das Bedürfnis nach Sicherheit deshalb nicht, weil die menschlichen Maßstäbe verletzt werden. Hochhäuser machen die Bewohner klein, was unweigerlich dazu führt, daß das Sicherheitsbedürfnis verletzt wird, denn Große machen Kleinen Angst. Der Mensch fühlt sich als Ameise.
Auch die zweite Grundbedingung (Menschen sind Kommunikationswunder und brauchen deshalb andere Menschen) ist beim Hochhaus nicht erfüllt, weil die Art, wie wir es gebaut haben, Menschen in die Anonymität drängt und nicht ins Gespräch bringt. Das haben selbst Konzepte wie das von le Corbusier in seinem Hochhaus am Olympiastadion mit Gemeinschaftsflächen und -einrichtungen nicht zufriedenstellend lösen können.
Der Sicherheitszonenaspekt legt nahe, beim Bauen von Gebäuden menschliche Maßstäbe (Körpergröße des Menschen) nicht zu verletzen; einem Einfamilienhaus gelingt das am besten, weshalb es niemanden überraschen darf, daß stabil, wenn man nach Wohnwünschen fragt, deutlich über 80 % der Bevölkerung über die Jahrzehnte hinweg äußern, sie möchten am liebsten im Einfamilienhaus leben.

Die zweite Grundbedingung (Menschen brauchen Menschen) erfordert offene Wohnformen, die zu Kontakten, Gesprächen, Treffen einladen. Wohngebiete brauchen deshalb Kinderspielplätze, kleine Parks, stadtnahes Grün, Kneipen, Sportflächen. Alles hilft, was Kommunikation und Kooperation in Gang bringt und am Leben erhält.
Wer Sicherheitszonen von Plattenbauvermietern beeinträchtigt (wie ich), muß mit Aggressionen rechnen. Das ist nur natürlich.
Oder nehmen Sie die Politik, die den Deutschen in den letzten Jahren folgende zentrale Botschaft brachte:
1. Ob es Arbeit für Euch gibt, die ernährt, ist ungewiß,
2. ob Ihr im Alter was zu beißen habt, auch.
3. Und ob ein Arzt kommt, wenn Ihr krank seid, sowieso.
Drei Verletzungen der zentralen Sicherheitszone (Überleben) und die Politiker wundern sich, daß Wutwellen durchs Land gehen. Sie verstehen vor lauter Zivilisation nichts von Menschen.

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Autor: Dieter Blümmel