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Von einem, der auszog, einen Aufzug einzubauen
Über Feigheit im Amt - Die Leiden von Bauwilligen in Charlottenburg
17.06.2004 (GE 12/04, Seite 742) Nach der Wende hatten wir für einige Zeit die Idee, aus unserem eigenen Mietshaus in Charlottenburg auszuziehen und statt dessen eine Wohnung mit Fahrstuhl in Mitte zu kaufen. Diese Idee wurde letztlich wieder verworfen und wir entschlossen uns statt dessen, die gestiegenen Anforderungen ans eigene Wohnen durch Dachausbau und Errichtung einer Aufzugsanlage im Charlottenburger Mietshaus zu verwirklichen.
Ende 1998 erteilten wir deshalb unserer Architektin Dipl. Ing. Karin Kupsch-Jindra den Planungsauftrag. Im Dachgeschoß sollten zwei Wohnungen mit großzügigen Terrassen und Wohnlandschaften entstehen, von denen die eine mit der im 4. OG darunterliegenden Wohnung in der Art verbunden werden sollte, daß alle Wohnungen später einmal auch voneinander wieder abgetrennt werden konnten. Wenn alle Wohnungen durch den Aufzug erschlossen werden sollten, dann konnte dieser auf Grund der baulichen Gegebenheiten nur frei im Hof stehend geplant werden. Hierzu mußte - sozusagen als vorbereitende Maßnahme - die Heizung von Ölfeuerung auf Fernwärme umgestellt werden, um die Aufzugsunterfahrt und die Pfahlgründung für ein Schachtgerüst im ehemaligen Ölkeller unterzubringen.

Im Frühjahr 1999 stellte die Architektin das Vorhaben der Bauberatung des Stadtplanungsamtes Charlottenburg vor und kam mit der völlig überraschenden Nachricht zurück, daß die Stadtplanung unser gesamtes Vorhaben für absolut nicht genehmigungsfähig hielt. Dachgeschoßausbau ja, aber nur im Volumen des nach Kriegszerstörungen aufgesetzten, niedrigen Notdaches und auch nicht, wie überall sonst in unserer Straße und in der Umgebung im Rahmen der geförderten Verdichtung, mit zusätzlich geschaffenem Wohnraum. Die Errichtung eines Aufzugs stellte nach Auffassung des Stadtplaners Böker eine nachhaltige Minderung (!) des Wohnwertes dar und sei deshalb absolut nicht genehmigungsfähig. Ich hielt es nicht für ausgeschlossen, daß es eine politische Direktive der grünen Baustadträtin von Charlottenburg gab, den Dachausbau mit den daraus folgenden höheren Mieten zu verhindern. So beschlossen die Bauwilligen, das Vorhaben erst nach der bevorstehenden Fusion des Bezirkes mit Wilmersdorf weiterzuverfolgen.

Der Zufall wollte es, daß die anderen Mieter im 4. OG auszogen und sich für uns die Möglichkeit ergab, auf den teuren Dachausbau zu verzichten und die gesamte 4. Etage für uns zu nehmen. Auf den Bau des Aufzugs wollten wir aber schon aus Altersgründen nicht verzichten. Am 21. Juli 1999 reichten wir den Antrag auf Vorbescheid zur Errichtung einer im unterkellerten Hof freistehenden, verglasten, rollstuhlfreundlichen Aufzugsanlage mit Haltestellen in allen Etagen sowie einer Haltestelle im später vielleicht doch noch einmal auszubauenden Dachgeschoß ein. Es wurde gefragt, ob die notwendigen Ausnahmen und Befreiungen erteilt würden, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung angrenzender bzw. gegenüberliegender Räume nicht stattfinden wird; wenn die Aufzugskabine in Ruhestellung im EG gegenüber den gewerblich genutzten Flächen parkt; wenn die Nachbargrenzen von den neuen Abstandflächen des Aufzuges nicht berührt werden und wenn keine Einschränkung des Brandschutzes und keine Behinderungen des Rettungsweges vorliegen. Darüber hinaus wurde gefragt, ob Befreiung für eine geringfügige Erhöhung der GRZ von 0,62 auf 0,63 sowie eine Erhöhung der GFZ von 2,44 auf 2,47 erteilt wird. Mit Bescheid vom 23. Mai 2000 wurden die Ausnahmen und Befreiungen nicht in Aussicht gestellt, weil die Befreiungsvoraussetzungen von den Vorschriften der Bauordnung von 1958 nicht vorlägen für die Überschreitung der bebaubaren Fläche um 4,2 qm und der GFZ um 0,03. Auch die Ausnahmevoraussetzungen für die Überschreitung der Bautiefe von 13,0 m um 3,10 auf 16,10 m und die Unterschreitung der Abstandsflächen zu den Seitenflügeln des eigenen (!) Hauses lägen nicht vor. Begründet wurde dies damit, daß die Abweichungen von den planungsrechtlichen Festsetzungen städtebaulich nicht vertretbar seien. Durch das Schachtgerüst erfolge eine Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung von Aufenthaltsräumen, so daß die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse nicht gewährleistet seien. Die Abstände zu den Seitenflügeln und zum Vorderhaus würden eine wesentliche Beeinträchtigung der angrenzenden Aufenthaltsräume darstellen, die die Zwecke von Abstandflächen nicht gewährleisten.

Nach fristwahrend eingelegtem Widerspruch begründete Dr. Watzke, einer der stadtbekannten Baurechtspäpste, unseren Widerspruch und wies in allen Punkten nach, daß dem Antrag sehr wohl stattgegeben werden könnte. Das BWA folgte dieser Argumentation nicht und sah keine Änderung der Sach- und Rechtslage. Um Zeit für eine weitere Projektentwicklung zu gewinnen, baten wir, von einer Bescheidung des Widerspruches vorerst abzusehen.

Den im fusionierten Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf mittlerweile von der CDU gestellten Baustadtrat bat ich Ende Februar 2001 in einer am Rande der Bezirksverordnetenversammlung überreichten Problemskizze, mit ihm ein Gespräch führen zu dürfen. Ich wollte das Vorhaben im Lichte der Bau- und Investitionspolitik sowie im Bemühen zur Herstellung dauerhaft vermietbaren Wohnraumes erörtern und ausloten, ob und ggf. welche Chancen der Realisierung bestehen und welche Wege hierbei verfahrensmäßig eingeschlagen werden könnten, wie z. B. eine Entscheidung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens oder eine Rücknahme des ursprünglichen Antrags und Neubeantragung. Tatsächlich rief mich der Baustadtrat wenige Tage später an meinem Arbeitsplatz an und hörte sich meine Argumente an. Im Ergebnis verblieben wir dahingehend, daß er die ihm übergebenen Unterlagen an den Stadtplanungsamtsleiter und die Leiterin des BWA weiterleiten werde. In einem Gespräch Ende Juni 2001 ließ mich die Bauamtsleiterin Frau Liehr wissen, daß nach langen internen Beratungen unserem Bauwunsch dann entsprochen würde, wenn wir uns für den vorgesehenen Standort im Hof zu einem freistehenden, unverglasten Fahrstuhl (sog. Panoramafahrstuhl) verpflichten würden. Diese Variante solle ich mit Herrn Böker vom Stadtplanungsamt abstimmen. Dieser wiederum erklärte mir, daß er die mir in Aussicht gestellte Kompromißlösung weiterhin ablehne. Der Architektin Karin Kupsch-Jindra gegenüber ließ er sich Mitte September 2001 in einem Fachgespräch zum Panoramaaufzug sogar dahingehend aus, daß er sich eine positive Beurteilung des geänderten Projektes nur dann vorstellen könne, wenn alle Mieter des Hauses eine Zustimmungserklärung zum Vorhaben unterschreiben würden. Er wolle vermeiden, daß sich der eine oder andere Anwohner bei ihm beschwere und womöglich gar die Erlaubnis zur Errichtung eines Aufzuges bei Gericht anfechten würde.
Ich hatte mir zwischenzeitig ein Sprunggelenk gebrochen und mußte bereits seit vier Wochen mit Krücken die 99 Stufen zu meiner Wohnung hoch. Es war eine schier unerträgliche Situation, und wenn ich nicht gewußt hätte, daß diese Situation irgendwann ein Ende haben würde, hätte ich mich nach einer neuen Wohnung mit Aufzug umgesehen. Ich verfluchte Herrn Böker und wünschte ihm alles Schlechte. Es blieb für mich untragbar, daß stadtplanerische Gesichtspunkte bei der Ausübung des Ermessens durch eine Abstimmung unter den Mietern entschieden werden sollten. Durch die, wie ich den Baustadtrat wissen ließ, „Feigheit im Amt“ hätte der Stadtplaner nachgewiesen, daß seine ablehnende planerische Stellungnahme keineswegs in pflichtgemäßem Ermessen zustande gekommen war. Deswegen dürfe bei dieser Sachlage ein Gericht jetzt sehr wohl sein Ermessen an die Stelle des zuständigen Bearbeiters setzen. Der Baustadtrat ließ mich wissen, daß die Genehmigungsfähigkeit des Panoramafahrstuhls in einem neuen Vorbescheids- oder Bauantrag geprüft werden würde.

Auch im Bauordnungsamt änderten sich Zuständigkeiten. Der neue Bearbeiter des neuen Vorbescheidsantrages für den hydraulischen Panoramaaufzug teilte mit, daß er nach nunmehr positiver Stellungnahme des Stadtplanungsamtes einen positiven Vorbescheid erteilen wolle, wenn, wie verabredet, im Gegenzug das alte Verfahren zum negativen Vorbescheid durch Widerspruchsrücknahme zum Ende gebracht werde. Am 5. Juli 2002 wurde drei Jahre nach unserem ersten Antrag der positive Vorbescheid erteilt. Auf dieser Grundlage konnte nunmehr der Bauantrag von unserer Architektin bearbeitet und am 15. Oktober 2002 eingereicht werden. Am 7. Februar 2003 wurden die Baugenehmigung sowie die notwendigen Ausnahmen und Befreiungen erteilt. Leider hatte die Baugenehmigung noch einige „Schönheitsfehler“. So war z. B. die Auflage erteilt worden, daß sich trotz der Ölhydraulik des Panoramasystems kein Öl auf dem Grundstück befinden durfte. Und obwohl wir keinen Dachausbau und auch keine Nutzungsänderung im Dach vorhatten, war die Auflage erteilt worden, das gesamte Dachgeschoß von innen feuerfest zu verkleiden. In Verhandlungen mit Herrn Werk vom Bauordnungsamt konnten diese Probleme aber zügig gelöst werden. Letztlich hatten wir ein genehmigtes und im Detail durchgeplantes und baubares Vorhaben.

Architektin und Bauherren besahen sich ihr Werk, das Ergebnis der jahrelangen Bemühungen. Und sie sahen, daß dies Werk nicht gut war: Ein frei im Hof stehender Panoramaaufzug führt leider zwingend dazu, daß ein breites metallenes Band vom Erdgeschoß bis zur Traufhöhe errichtet werden muß. Die Belichtung und Besonnung der Wohnungen wird dadurch so stark in Mitleidenschaft gezogen, daß die Vermietbarkeit der Wohnungen bezweifelt werden muß. Dieses Ergebnis wollten weder die Architektin noch die Bauherren Realität werden lassen. In einem Gespräch am 4. April 2003 mit der Bauamtsleiterin wurde versucht, Verständnis für einen Nachtrag zur Baugenehmigung zu erlangen, mit dem eine Systemänderung zum ursprünglich beantragten Aufzug in einem verglasten Schachtgerüst beantragt werden sollte. Ich habe Frau Liehr versprochen, ihre passenden Bemerkungen niemals schriftlich zu zitieren. Sie empfahl, hierzu aber noch einmal das Gespräch mit der Stadtplanung zu suchen, da deren Zustimmung benötigt werde. Nach kurzer Erläuterung dessen, was wir jetzt bauen durften, aber nicht bauen wollten, stimmte auch Herr Böker von der Stadtplanung den Zielen des geplanten Nachtrags zur Baugenehmigung zu. Zehn Tage später war der Änderungsantrag eingereicht, mußte aber erneut die Ochsentour aller zu beteiligenden Ämter durchlaufen. Herr Böker war krankheitsbedingt nicht mehr im Amt. Es war unklar, ob seine Vertreterin, Frau Kulschak, seine Zusage für das verglaste Schachtgerüst mittragen würde. Sie sei sowieso überlastet und müsse diese Angelegenheit ganz besonders sorgfältig prüfen. Auch der Hinweis, daß keine neuen Ausnahmen oder Befreiungen nötig seien, konnte sie nicht davon abhalten, erst einmal eine Fristverlängerung für ihre Stellungnahme zu erwirken. Am 16. Juli 2003 gingen fünf Zeilen und zwei Wörter als positive Stellungnahme des Stadtplanungsamtes beim Bauamt ein, und eine Woche nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub hatte Herr Werk am 4. August 2003 den Nachtrag beschieden. Seit dem 21. Juli 1999, dem ersten Antrag auf Vorbescheid für den Aufzug, waren wenige Tage mehr als vier Jahre verstrichen. Jetzt konnte der Bau endlich losgehen.

*) Unter Diepgen der u. a. für das Wohnen zuständige Mitarbeiter der Senatskanzlei Berlin. Vgl. im übrigen auch das Titelbild dieser Ausgabe.

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Autor: Von Dr. Rainer W. Klaus*