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Gravierende Beanstandungen des Landesrechnungshofes
Wasserbetriebe verschleudern 1 Milliarde Euro über 6.000 Kundeneinsprüche wg. hoher Entgelte
25.05.2004 (GE 10/04, Seite 568) Die Berliner Wasserbetriebe haben nach Auffassung des Landesrechnungshofes „infolge gravierender Mängel und Versäumnisse" mehr als 1 Milliarde Euro in den Sand gesetzt, die letztlich von den Gebührenzahlern beglichen werden müssen.
Vielleicht führen diese neuen Erkenntnisse auch dazu, daß die Berliner Gerichte die Entgeltforderungen der BWB nicht als gottgegeben hinnehmen: Am 25. Mai findet eine wegweisende Verhandlung vor dem Landgericht Berlin zur Zulässigkeit der Wasser- und Abwassergebühren ab der Teilprivatisierung statt. Haus & und Grund Berlin unterstützt den Kläger des Verfahrens. In dem von Haus & Grund Berlin geführten Musterverfahren um die Entgelte der 90er Jahre hatten die BWB eine vernichtende juristische Niederlage einstecken müssen, die nur deshalb für die BWB keine größeren Auswirkungen hatte, weil die Ansprüche verjährt waren.

Gerade noch rechtzeitig vor der ersten Verhandlung in diesem Musterverfahren legte der Berliner Landesrechnungshof seinen neuen Jahresbericht vor. Rechtzeitig deshalb, weil die Berliner Wasserbetriebe - gerade wieder in dem neuen Musterverfahren - behaupten, ihre Tarife entsprächen der Billigkeit und sie seien umfassend (!!!) durch die zuständige Behörde des Landes Berlin geprüft und genehmigt worden, weshalb die Kunden auch erst einmal ohne Wenn und Aber zu zahlen hätten. Bei nämlicher Behörde (Senatsverwaltung für Wirtschaft) handelt es sich übrigens um dieselbe, die „umfassend„ (zwei Tage nach Feststellungen des Anwalts von Haus & Grund) die BSR-Tarife durch ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen hat prüfen lassen und sie dann genehmigte - und zwar ohne zu bemerken, daß die BSR rund 60 Mio. Ä doppelt angesetzt hatte.
Es paßt zum Bild, daß bei dieser Behörde auch die Landeskartellbehörde residiert, die offensichtlich keinerlei Ansatzpunkte sieht, die Entgelte von BWB und BSR einmal unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten unter die Lupe zu nehmen. Vor diesem Hintergrund damit zu argumentieren - was BWB und BSR tun -, die Genehmigung der Entgelte durch die Senatsverwaltung habe „Indizwirkung„ für die Billigkeit der Entgelte mit der Folge, der Kunde müsse erst einmal zahlen und dann im Rückforderungsprozeß beweisen (wie soll ein kleiner Kunde das denn?), muß jeden gerecht und billig Denkenden fassunglos zurücklassen.

Wie es wirklich bei den Landesbetrieben zugeht
Wie es wirklich bei den Landesbetrieben zugeht, macht der neue Rechnungshofsbericht deutlich. Und der Rechnungshof hat auch der Senatsverwaltung für Wirtschaft gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß nach seiner Auffassung bestimmte Ansätze in der (jetzigen) Gebührenkalkulation unzulässig sind.
Nach Auffassung des Rechnungshofes gab es „gravierende Fehlplanungen und einen unwirtschaftlichen Mitteleinsatz auch zu Lasten der Gebührenzahler„ bei den Berliner Wasserbetrieben. So habe der Ausbau von Klärwerken auf Planungen aus den Jahren 1989/1990 beruht, die bis zum Jahr 2000 von einem Bevölkerungszuwachs auf 6 Mio. (!!!) Einwohner ausgingen, obwohl das Abwasseraufkommen bereits seit 1991 stetig gesunken sei.

Aufgrund der Erweiterung bzw. der Sanierung der Klärwerke Marienfelde und Waßmannsdorf, zum Teil mit aufwendiger Technologie, seien Überkapazitäten entstanden. Ungenutzte Kapazitäten von mehr als 40 % führten aber nach der Rechtsprechung dazu, daß deren Kosten nicht in die Tarifkalkulation einfließen dürften. Um die Auslastung des Klärwerks Waßmannsdorf zu erhöhen, hätten die BWB das Klärwerk Falkenberg stillgelegt und eine 127 Mio. Ä teure Abwasserdruckleitung nach Waßmannsdorf errichtet. Dieser Betrag, so der Rechnungshof, dürfe nicht in die Tarifkalkulation einfließen. Insgesamt hätte es allein im Klärwerksbereich durch die Fehlplanungen vermeidbare Aufwendungen von etwa 340 Mio. Ä gegeben.

Die Entsorgung von Klärschlamm hätten die BWB vorrangig an ihren wirtschaftlichen Interessen für ihre Tochtergesellschaft Sekundärrohstoff-Verwertungszentrum Schwarze Pumpe GmbH (SVZ) ausgerichtet, indem sie einen erheblichen Teil der Klärschlämme mit hohem Aufwand trocknen und thermisch verwerten ließen. Seit 1996 hätten die BWB 587 Mio. Ä für die SVZ aufgewendet sowie 100 Mio. Ä in die notwendige Erweiterung von Trocknungsanlagen für Klärschlamm investiert. Wirtschaftlichere Alternativen - wie die Vergabe der thermischen Behandlung an Dritte oder die Kompostierung und landwirtschaftliche Verwertung - seien verworfen worden.
Die neuen und gravierenden Beanstandungen des Rechnungshofes machen einmal mehr deutlich, daß eine generelle Klärung erforderlich ist, ob die Entgelte der BWB der Billigkeit entsprechen.

Haus & Grund Berlin unterstützt zu diesem Zweck ein Musterverfahren, in dem in diesem Monat erstinstanzlich eine Vorentscheidung zu erwarten ist.
Nach der Teilprivatisierung wurde ein Teil der Punkte, die bei derartigen Entgeltkalkulationen strittig sind, durch den Landesgesetzgeber durch Gesetz bzw. Verordnung bindend entschieden - erst kürzlich beispielsweise durch Gesetzesänderungen die Frage, welche Abschreibungsmethode zulässig ist.
Offen sind nach Auffassung von Haus & Grund Berlin drei große Fragenkomplexe:

a Dürfen die BWB die vom Landesgesetzgeber zugestandene Verzinsung (eine quasi kalkulatorische Verzinsung) des betriebsnotwendigen Vermögens auf das gesamte Vermögen berechnen (und als Kosten der Tarifkalkulation zugrunde legen) oder muß ein Teil, der über die in den Entgelten steckenden Abschreibungen der Vergangenheit von den Kunden bereits bezahlt wurde, abgezogen werden (Abzugskapital)? Haus & Grund meint: 90 % des betriebsnotwendigen Vermögens sind von den Kunden bereits bezahlt und müssen abgezogen werden, die BWB sind gegenteiliger Auffassung. Der Abzug von 90 % würde einer Preissenkung von rund 15 % entsprechen.

b Haus & Grund ist der Auffassung, daß die BWB einen unwirtschaftlichen Personaleinsatz betreiben. Das hat auch schon der Rechnungshof in der Vergangenheit kritisiert. Die BWB beschäftigen zuviel Personal, sie haben für lange Jahre auf die Möglichkeit der betriebsbedingten Kündigung verzichtet und ohne Not übertarifliche Leistungen bewilligt.

c Es ist völlig unklar, wie die BWB bei der ab 2004 zulässigen Kalkulation der Abschreibungen auf Wiederbeschaffungszeitwerte die Werte errechnet hat.
Die ersten beiden Punkte spielen im laufenden Musterverfahren eine Rolle.

Weit über 6000 Kundeneinsprüche
In diesem Verfahren schrecken die BWB bzw. ihre Anwälte auch nicht vor wahrheitswidrigen Behauptungen zurück, um das Gericht zu beeindrucken. Wie es in einem Schriftsatz der BWB-Anwälte vom 5. April 2004 heißt, seien bis Ende März über 6.200 Einsprüche eingegangen und mehr als 2.500 Kunden hätten ihre Abbuchungsermächtigungen bereits gekürzt.
In diesem Zusammenhang wird wahrheitswidrig behauptet, Haus & Grund Berlin habe „mehrfach dazu aufgerufen, Zahlungen gegenüber den BWB mit der Behauptung der Unbilligkeit der Tarife zu verweigern oder pauschal um 10 % zu kürzen„, um die BWB „lahmzulegen„.
Nicht davon ist wahr. Haus & Grund hat bislang zu keiner Zeit dazu aufgerufen, Rechungen zu kürzen, wie sich aus den drei zu diesem Thema ergangenen Veröffentlichungen ergibt:

A In GE 21/2003 wurde über den beim Kammergericht beendeten Musterprozeß um die Tarife der 90er Jahre berichtet, wonach die BWB-Entgelte um über 18 % erhöht waren. Nach Rechnung von Haus & Grund waren den Kunden über 1 Milliarde Ä zuviel berechnet worden; die BWB behaupten eine niedrigere Summe (die Angaben unter vier Augen mit Verantwortlichen schwanken nach Tagesform zwischen 370 und 750 Millionen). Wer nicht selbst geklagt hatte, erhielt nichts - wg. Verjährung. Haus & Grund fragte in dieser Veröffentlichung: „Wasser- und Abwasserrechnungen um 10 % kürzen?„ und antwortete: „Wir möchten die offenen Fragen in einem Musterprozeß klären und die BWB aufgrund der gemachten Erfahrungen mit der Prozeßdauer auffordern, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.„ Dann wurde die Vermutung geäußert, das Unternehmen werde wohl mit massiven Rechnungskürzungen rechnen müssen, wenn es diese Erklärung nicht abgebe.

B In GE 24/2003 Seite 1575 wurde ein Musterbrief abgedruckt und empfohlen, unter Vorbehalt zu zahlen und die BWB aufzufordern, in bezug auf mögliche Rückforderungen je nach Ausgang des Musterprozesses auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.

C Nachdem es die BWB in einem Formularschreiben ablehnten, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, wurde in GE 2/2004 Seite 78 mitgeteilt, die Verbände der Wohnungswirtschaft (Haus & Grund, LFW und BBU) würden beraten und dann eine Entscheidung treffen, was den Berliner Eigentümern und Vermietern empfohlen werden soll wie z. B. eine Kürzung der Wasserrechnung. Eine derartige weitergehende Aufforderung hat es bislang aber nicht gegeben. Dies u. a. auch deshalb nicht, weil der BWB-Vorstandsvorsitzende in einem Gespräch versichert hat, auch die BWB seien sehr an der Klärung der offenen Rechtsfragen interessiert und würden alles tun, damit das Musterverfahren so zügig zu Ende gebracht werde, daß die Frage der Verjährung keine Rolle spiele.

Hintergrund der Falschbehauptungen über angebliche Aufforderung zur Zahlungsverweigerung ist, daß die BWB dem LG Berlin weismachen wollen, ihr Gemeinwohlauftrag sei gefährdet. Tatsächlich sind bislang nach Angaben der Wasserbetriebe tatsächlich durchgeführte Kürzungen marginal.

Am 25. Mai ist die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht Berlin. Erst danach wird man sehen können, ob überhaupt und ggf. welche weitergehenden Maßnahmen die Kunden treffen können. Dabei wird die voraussichtliche Verfahrensdauer ebenso eine Rolle spielen wie die Auffassung der Richter über Beweislastverteilung oder darüber, ob der Kunde kürzen darf, wie es der BGH in seiner Entscheidung vom 30. April 2003 (GE 2003, 872) in einem Prozeß gegen die Berliner Wasserbetriebe gesehen hatte (das Verfahren betraf allerdings einen Zahlungszeitraum vor der Teilprivatisierung) oder ob der Kunde erst zahlen und dann eine Rückzahlungsklage anstrengen muß. Das letzte Wort dazu wird sicherlich Karlsruhe sprechen. Und schließlich müssen auch ganz praktische Fragen bedacht sein - etwa, ob man sich als Vermieter im Hinblick auf Betriebskostenabrechnungen etc. zusätzliche Arbeit und Unsicherheit einhandelt oder nicht.

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