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VG Berlin schlägt die erste Bresche in den Wald
Erhebung von Ausgleichsabgaben nach der Baumschutzverordnung 1982 unzulässig
30.03.2004 (GE 7/04, Seite 401) Das Verwaltungsgericht Berlin hat durch Urteil vom 11. Februar 2004 die Erhebung von Ausgleichsabgaben für das Fällen von Bäumen nach der Baumschutzverordnung von 1982 für unzulässig erklärt. Das hat mittelbar auch Auswirkungen auf die neue Baumschutzverordnung von 2002.
I. Einleitung
In Berlin sind grundsätzlich alle Bäume, die sich auf Privatgrundstücken befinden und einen Stammumfang von - je nach Baumart - mindestens 30 cm bzw. mindestens 60 cm aufweisen1), als geschützter Landschaftsbestandteil unter Schutz gestellt. Rechtliche Bedenken, die sich gegen diese pauschale Unterschutzstellung wenden, werden von der Rechtsprechung nicht aufgegriffen2).
Rechtsfolge dieses Schutzes ist u. a., daß die im Zuge der Realisierung eines Bauvorhabens erforderliche Beseitigung eines geschützten Baumes einer vorherigen Genehmigung durch das Bezirksamt bedarf. Wird die Genehmigung erteilt, so ist der Antragsteller zu standortgerechten Ersatzpflanzungen zu verpflichten. Hierbei wird grundsätzlich je angefangenen 15 cm Stammumfang des zu entfernenden Baums die Pflanzung eines Ersatzbaums verlangt3). Soweit Ersatzpflanzungen nicht möglich sind, ist eine Ausgleichsabgabe festzusetzen4).
II. Das Urteil des VG Berlin vom 11. Februar 2004
Den Klägern wurde für den Bau eines Einfamilienhauses im Jahr 2000 eine Genehmigung zum Fällen von vier Bäumen mit Stammumfängen von 96 cm bis 150 cm erteilt. Das Bezirksamt ermittelte zunächst ein Erfordernis zur Pflanzung von 29 Ersatzbäumen und reduzierte dieses wegen erheblicher Mängel der zu fällenden Bäume auf 16 Ersatzbäume. Es verpflichtete die Kläger sodann zur Pflanzung einer Waldkiefer und setzte - weil weitere Ersatzpflanzungen nicht möglich waren - im übrigen eine Ausgleichszahlung fest. Hierfür ermittelte es den Wert der 16 Ersatzbäume abzüglich des Werts der Waldkiefer und setzte den doppelten Betrag als Ausgleichsabgabe fest, um so die Pflanz- und Pflegekosten für zwei Jahre abzugelten.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids galt in Berlin die BaumSchVO 1982, die 2002 durch eine Neuregelung, die BaumSchVO 2002, abgelöst wurde. Die über einen Zeitraum von zwanzig Jahren von der Berliner Verwaltung angewendete und von den Berliner Gerichten bislang nicht beanstandete BaumSchVO 1982 enthielt keine präzisen Regelungen zum Umfang erforderlicher Ersatzpflanzungen. Hinsichtlich festzusetzender Ausgleichsabgaben beschränkte sich § 6 Abs. 1 Satz 2 BaumSchVO 1982 auf die Vorgabe, daß diese „nach Umfang, Art und Schwere der Bestandsminderung unter Berücksichtigung der Kosten einer vergleichbaren Ersatzpflanzung zu bemessen“ sei. Berechnungsvorgaben waren allein in einer Verwaltungsvorschrift, der AV BaumSchVO, enthalten.
In seinem Urteil5) vom 11. Februar 2004 schließt sich das VG Berlin nunmehr der Rechtsauffassung an, daß eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Ausgleichsabgaben jedenfalls während der Geltung der BaumSchVO 1982 nicht bestand. § 6 Abs. 1 BaumSchVO 1982 sei nichtig, weil die Vorschrift mit den - durch das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG gebotenen - Prinzipien der Bestimmtheit und Normenklarheit nicht vereinbar sei. Sie sei vieldeutig und erlaube „auch unter Einsatz herkömmlicher juristischer Methoden keine hinreichend sichere Quantifizierung der Ausgleichsabgabe“.
III. Die Konsequenzen des Urteils
Die vom VG für nichtig gehaltene Regelung des § 6 Abs. 1 BaumSchVO 1982 wurde zwischenzeitlich durch § 7 Abs. 2 BaumSchVO 2002 ersetzt, die präziser gefaßt ist und gegen die der Einwand der Unbestimmtheit nicht in gleicher Weise erhoben werden kann. Insoweit dürfte die Bedeutung des Urteils eher in folgendem liegen: Das Verbot des Fällens geschützter Bäume ist ein sogenanntes repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dies bedeutet, daß die Erteilung einer Fällgenehmigung und hiermit verbundene sonstige Regelungen - bspw. die Erhebung einer Ausgleichsabgabe - vom Schutzbereich der Grundrechte des Grundstückseigentümers, insbesondere aus Art. 14 GG, ausgenommen sind. Daher hat die Rechtsprechung bislang in derartigen Fällen nur geringe Anforderungen an die Bestimmtheit einer Rechtsgrundlage gestellt, auf deren Grundlage eine Ausgleichsabgabe für eine Befreiung von einem repressiven Verbot festgesetzt wird6). Daß das VG auch im Bereich eines repressiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine dem Rechtsstaatsgebot genügende, ausreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung einer Ausgleichsabgabe verlangt, weist über den entschiedenen Fall hinaus.
Für künftig zu entscheidende Fälle dürfte jedoch eine andere Frage im Vordergrund des Interesses stehen, die nicht nur formeller, sondern inhaltlicher Natur ist. Es handelt sich hierbei um die Frage, ob die in § 6 Abs. 1 und 2 BaumSchVO 2002 enthaltene Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen ihrem Umfang nach verhältnismäßig ist. Diese Frage berührt auch die Verhältnismäßigkeit der Festsetzung einer Ausgleichsabgabe im Falle der Unmöglichkeit einer Ersatzpflanzung, da deren Höhe nach § 7 Abs. 2 BaumSchVO 2002 an den Wert der an sich verlangten Ersatzpflanzung gekoppelt ist. Diese Frage wurde in der bisherigen Rechtsprechung von VG und OVG nicht näher problematisiert und bedurfte im Urteil des VG vom 11. Februar 2004 keiner Entscheidung. Insoweit läßt es jedoch aufmerken, daß das VG ausdrücklich darauf hinweist, daß in anderen Kommunen Ersatzpflanzungen nur in wesentlich geringerem Umfang erforderlich sind.
*) Der Verfasser ist Rechtsanwalt in Berlin und überwiegend im öffentlichen Baurecht und Umweltrecht tätig. Er ist ferner Lehrbeauftragter für öffentliches Baurecht an der FH Potsdam.
1) Vgl. § 1 Abs. 2 BaumSchVO 1982 bzw. § 2 Abs. 1 BaumSchVO 2002; nicht geschützt sind Obstbäume mit Ausnahme der Arten Walnuß und - seit 2002 - Türkischer Baumhasel
2) Vgl .OVG Berlin, Urteil vom 16. August 1996 - 2 B 26/93 - NVwZ-RR 1997, 530, 531 m. w. N.; BVerwG, Beschluß vom 1. Februar 1996 - 4 B 303/95 - GE 1996, 871
3) § 5 Abs. 1 BaumSchVO 1982 (i. V. m. AVBaumSchVO vom 5. August 1992, dort II. zu § 5) bzw. § 6 Abs. 1 BaumSchVO 2002
4) § 6 Abs. 1 BaumSchVO 1982 bzw. § 7 Abs. 1 BaumSchVO 2002
5) VG 1 A 230.01 - vgl. Wortlaut Seite 429
6) Vgl. bspw. zu Ausgleichsabgaben nach der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung: VerfGH Berlin, Beschluß vom 15. November 2001 - VerfGH 95/00 - GE 2002, 118, 119
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In Berlin sind grundsätzlich alle Bäume, die sich auf Privatgrundstücken befinden und einen Stammumfang von - je nach Baumart - mindestens 30 cm bzw. mindestens 60 cm aufweisen1), als geschützter Landschaftsbestandteil unter Schutz gestellt. Rechtliche Bedenken, die sich gegen diese pauschale Unterschutzstellung wenden, werden von der Rechtsprechung nicht aufgegriffen2).
Rechtsfolge dieses Schutzes ist u. a., daß die im Zuge der Realisierung eines Bauvorhabens erforderliche Beseitigung eines geschützten Baumes einer vorherigen Genehmigung durch das Bezirksamt bedarf. Wird die Genehmigung erteilt, so ist der Antragsteller zu standortgerechten Ersatzpflanzungen zu verpflichten. Hierbei wird grundsätzlich je angefangenen 15 cm Stammumfang des zu entfernenden Baums die Pflanzung eines Ersatzbaums verlangt3). Soweit Ersatzpflanzungen nicht möglich sind, ist eine Ausgleichsabgabe festzusetzen4).
II. Das Urteil des VG Berlin vom 11. Februar 2004
Den Klägern wurde für den Bau eines Einfamilienhauses im Jahr 2000 eine Genehmigung zum Fällen von vier Bäumen mit Stammumfängen von 96 cm bis 150 cm erteilt. Das Bezirksamt ermittelte zunächst ein Erfordernis zur Pflanzung von 29 Ersatzbäumen und reduzierte dieses wegen erheblicher Mängel der zu fällenden Bäume auf 16 Ersatzbäume. Es verpflichtete die Kläger sodann zur Pflanzung einer Waldkiefer und setzte - weil weitere Ersatzpflanzungen nicht möglich waren - im übrigen eine Ausgleichszahlung fest. Hierfür ermittelte es den Wert der 16 Ersatzbäume abzüglich des Werts der Waldkiefer und setzte den doppelten Betrag als Ausgleichsabgabe fest, um so die Pflanz- und Pflegekosten für zwei Jahre abzugelten.
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids galt in Berlin die BaumSchVO 1982, die 2002 durch eine Neuregelung, die BaumSchVO 2002, abgelöst wurde. Die über einen Zeitraum von zwanzig Jahren von der Berliner Verwaltung angewendete und von den Berliner Gerichten bislang nicht beanstandete BaumSchVO 1982 enthielt keine präzisen Regelungen zum Umfang erforderlicher Ersatzpflanzungen. Hinsichtlich festzusetzender Ausgleichsabgaben beschränkte sich § 6 Abs. 1 Satz 2 BaumSchVO 1982 auf die Vorgabe, daß diese „nach Umfang, Art und Schwere der Bestandsminderung unter Berücksichtigung der Kosten einer vergleichbaren Ersatzpflanzung zu bemessen“ sei. Berechnungsvorgaben waren allein in einer Verwaltungsvorschrift, der AV BaumSchVO, enthalten.
In seinem Urteil5) vom 11. Februar 2004 schließt sich das VG Berlin nunmehr der Rechtsauffassung an, daß eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Ausgleichsabgaben jedenfalls während der Geltung der BaumSchVO 1982 nicht bestand. § 6 Abs. 1 BaumSchVO 1982 sei nichtig, weil die Vorschrift mit den - durch das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG gebotenen - Prinzipien der Bestimmtheit und Normenklarheit nicht vereinbar sei. Sie sei vieldeutig und erlaube „auch unter Einsatz herkömmlicher juristischer Methoden keine hinreichend sichere Quantifizierung der Ausgleichsabgabe“.
III. Die Konsequenzen des Urteils
Die vom VG für nichtig gehaltene Regelung des § 6 Abs. 1 BaumSchVO 1982 wurde zwischenzeitlich durch § 7 Abs. 2 BaumSchVO 2002 ersetzt, die präziser gefaßt ist und gegen die der Einwand der Unbestimmtheit nicht in gleicher Weise erhoben werden kann. Insoweit dürfte die Bedeutung des Urteils eher in folgendem liegen: Das Verbot des Fällens geschützter Bäume ist ein sogenanntes repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dies bedeutet, daß die Erteilung einer Fällgenehmigung und hiermit verbundene sonstige Regelungen - bspw. die Erhebung einer Ausgleichsabgabe - vom Schutzbereich der Grundrechte des Grundstückseigentümers, insbesondere aus Art. 14 GG, ausgenommen sind. Daher hat die Rechtsprechung bislang in derartigen Fällen nur geringe Anforderungen an die Bestimmtheit einer Rechtsgrundlage gestellt, auf deren Grundlage eine Ausgleichsabgabe für eine Befreiung von einem repressiven Verbot festgesetzt wird6). Daß das VG auch im Bereich eines repressiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine dem Rechtsstaatsgebot genügende, ausreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung einer Ausgleichsabgabe verlangt, weist über den entschiedenen Fall hinaus.
Für künftig zu entscheidende Fälle dürfte jedoch eine andere Frage im Vordergrund des Interesses stehen, die nicht nur formeller, sondern inhaltlicher Natur ist. Es handelt sich hierbei um die Frage, ob die in § 6 Abs. 1 und 2 BaumSchVO 2002 enthaltene Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen ihrem Umfang nach verhältnismäßig ist. Diese Frage berührt auch die Verhältnismäßigkeit der Festsetzung einer Ausgleichsabgabe im Falle der Unmöglichkeit einer Ersatzpflanzung, da deren Höhe nach § 7 Abs. 2 BaumSchVO 2002 an den Wert der an sich verlangten Ersatzpflanzung gekoppelt ist. Diese Frage wurde in der bisherigen Rechtsprechung von VG und OVG nicht näher problematisiert und bedurfte im Urteil des VG vom 11. Februar 2004 keiner Entscheidung. Insoweit läßt es jedoch aufmerken, daß das VG ausdrücklich darauf hinweist, daß in anderen Kommunen Ersatzpflanzungen nur in wesentlich geringerem Umfang erforderlich sind.
*) Der Verfasser ist Rechtsanwalt in Berlin und überwiegend im öffentlichen Baurecht und Umweltrecht tätig. Er ist ferner Lehrbeauftragter für öffentliches Baurecht an der FH Potsdam.
1) Vgl. § 1 Abs. 2 BaumSchVO 1982 bzw. § 2 Abs. 1 BaumSchVO 2002; nicht geschützt sind Obstbäume mit Ausnahme der Arten Walnuß und - seit 2002 - Türkischer Baumhasel
2) Vgl .OVG Berlin, Urteil vom 16. August 1996 - 2 B 26/93 - NVwZ-RR 1997, 530, 531 m. w. N.; BVerwG, Beschluß vom 1. Februar 1996 - 4 B 303/95 - GE 1996, 871
3) § 5 Abs. 1 BaumSchVO 1982 (i. V. m. AVBaumSchVO vom 5. August 1992, dort II. zu § 5) bzw. § 6 Abs. 1 BaumSchVO 2002
4) § 6 Abs. 1 BaumSchVO 1982 bzw. § 7 Abs. 1 BaumSchVO 2002
5) VG 1 A 230.01 - vgl. Wortlaut Seite 429
6) Vgl. bspw. zu Ausgleichsabgaben nach der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung: VerfGH Berlin, Beschluß vom 15. November 2001 - VerfGH 95/00 - GE 2002, 118, 119
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Autor: RA Dieter Königer