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Volkes Wohl
03.12.2003 (GE 23/03, Seite 1505) Die Berliner Morgenpost berichtete kürzlich über eine von ihr in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage, daß die Berliner ihren Politikern nichts mehr zutrauen. Fast drei Viertel der Hauptstädter sind mit ihren Politikern – denen im Senat wie auch denen im Abgeordnetenhaus (Opposition eingeschlossen) – unzufrieden.
Nun mögen die (meisten) Aufgaben um ein Vielfaches schwieriger sein als jene, die einem griechischen Halbgott namens Herkules zu ewigem Ruhm verholfen haben. Aber die Politik scheitert ja schon bei Kleinigkeiten, wo weder Millionen noch Genialität gefordert sind, sondern nur ein wenig gesunder Menschenverstand. Aber vielleicht vertragen sich „politischer Sachverstand„ und gesunder Menschenverstand nicht?

Ein Beispiel dafür sind die seit geraumer Zeit laufenden Gespräche der Länder Berlin und Brandenburg über die Fusion ihrer Obergerichte vor dem Hintergrund einer späteren Länderfusion. Braucht es überhaupt Argumente, um die Fusion der Obergerichte für vernünftig zu halten? Eine Region mit ganzen 6 Millionen Einwohnern (3,4 Mio. in Berlin, 2,4 Mio. in Brandenburg) kommt ganz sicherlich mit einem Oberverwaltungsgericht, mit einem Oberlandesgericht und mit einem Finanzgericht aus.

Soweit gibt es auch keinen Streit.
Streit gibt es über die Standorte. Die Brandenburger Landesregierung stellt sich auf den Standpunkt: Wenn das Brandenburger OVG mit dem Berliner fusioniert und von Frankfurt (O.) in die Berliner Hardenbergstraße zieht, dann hat das Finanzgericht Berlin bei einer Fusion zwingend nach Cottbus zu ziehen, wo das Finanzgericht Brandenburg sitzt. Dagegen laufen die Berliner Finanzrichter seit langem Sturm, was man verstehen kann (die Cottbuser Finanzrichter würden sich kaum mit solcher Erbitterung gegen einen Umzug nach Berlin wehren).
Hintergrund der Brandenburger Haltung sind strukturpolitische Erwägungen, die auf dem „Konzept der dezentralen Konzentration von Landeseinrichtungen„ beruhen. Schon diese Begriffskombination muß halbwegs Sprachmächtigen doch suspekt sein.

Politiker sind „dem Wohl des deutschen Volkes„ verpflichtet (vgl. Eidesformel Art. 56 GG).
Was entspricht, bezogen auf den Standort eines Gerichtes, dem Wohl des Volkes?
Daß ein Bürger die Möglichkeit hat, dort sein Recht auch zu suchen. Das bedeutet auch, daß die Wege zum Gericht möglichst kurz sein müssen - das war seit altersher so.

Und die Brandenburger? Haben sie beim Geographieunterricht gefehlt?
Wer tatsächlich ein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg will, braucht keine Zahlen, sondern nur offene Augen: In Berlin und nur in Berlin liegt der Punkt, der für alle Bewohner die relativ kürzeste Distanz garantiert. Den Witten- und Perlebergern, den Pritzwalkern und Wittstockern, den Rathenauern und Prenzlauern könnte man manchen Kilometer und manche verlorene Stunde ersparen. Die gesamte Verteilung der Bevölkerung in Brandenburg (Massierung im engeren Verflechtungsraum) spricht eindeutig für zentrale Gerichtsstandorte in Berlin.

Und auch die anderen Zahlen sprechen: Potentielle 3,4 Millionen Rechtssuchende gegen knapp 2,6 Millionen. Rund 5.400 Eingänge beim FG Berlin, aber nur knapp 3.000 beim FG Cottbus (in 2002), knapp 600 mündliche Verhandlungen vor dem FG Cottbus, aber 2.650 vor dem FG Berlin (in 2002).

Ganz abgesehen davon, daß Gerichte kein Mittel zur Strukturpolitik sind, darf man auch fragen, welches Wirtschaftswachstum die derzeit 67 Beschäftigten beim Berliner Finanzgericht wohl in Cottbus auszulösen vermögen? Wachstum kaum, aber mehr Verkehr.

Ach ja: Die „politische Symbolwirkung„ wird auch noch angeführt für den Umzug des FG Berlin nach Cottbus. Was für eine Symbolwirkung denn? In Richtung eines gemeinsamen Bundeslandes bestimmt nicht. Wer ein gemeinsames Bundesland vor Augen hat, muß im Bürgerinteresse für Berlin als Standort für Institutionen sein, die von den Menschen aufgesucht werden müssen. Nur wer kein gemeinsames Bundesland will, argumentiert wie die Brandenburger Politiker. Dem wohlverstandenen Wohl des Volkes dient das nicht.
Autor: Dieter Blümmel