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Landgericht Berlin ändert seine Rechtsprechung
03.12.2003 (GE 23/03, Seite 1535) Freier Wettbewerb um verwertbare Abfälle?
Das Landgericht Berlin hat rechtskräftig entschieden1): Abfälle, die verwertet werden, seien nicht überlassungspflichtig. Dieses würde für Abfälle jedweder Herkunft gelten, also auch für Abfälle aus privaten Haushaltungen. Dem Fall zugrunde lag eine Standardsituation: Die BSR entsorgten für einen Gewerbemieter über Jahre hinweg auf vertraglicher Grundlage Abfälle. Der Mieter wurde insolvent. Die BSR nahmen den Grundstückseigentümer als gesetzlichen Schuldner2) in Anspruch. Dieser sollte für die aufgelaufenen Entsorgungsverbindlichkeiten des Gewerbemieters aufkommen.

In ausdrücklicher Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung3) führt das Landgericht Berlin folgendes aus:
Soweit Abfälle verwertet würden, sei der Abfallbesitzer befugt, den Abfall selbst zu verwerten („Eigenverwertung“), auch wenn es sich um einen Abfall aus privaten Haushaltungen handelt. Er sei - dieses ist die entscheidende Überlegung - nicht verpflichtet, den Abfall den BSR zu überlassen. Eine Eigenverwertung läge auch dann vor, wenn der Abfallbesitzer einen Dritten einschalte, also eine sogenannte Drittbeauftragung ausspräche4). Das Gericht folge hiermit einer „umstrittenen“, aber für „vorzugswürdig erachteten Meinung“. Somit könnten die BSR sich nicht auf die gesetzlich vorgesehene Haftung des Grundstückseigentümers berufen. Diese würde nur im hoheitlichen Bereich gelten.

Das Landgericht Berlin dürfte in seiner Entscheidungsfindung nicht unbeeindruckt von der Tatsache gewesen sein, daß sich die BSR einerseits auf ein hoheitliches (also nichtunternehmerisches Handeln) beriefen, andererseits aber zusätzlich Umsatzsteuer geltend machten. Letzteres wäre nur dann richtig gewesen, wenn das Handeln der BSR gerade nicht hoheitlich erfolgt wäre5).

Würde die vom Landgericht Berlin vorgenommene Auslegung der einschlägigen Vorschriften richtig sein, könnte dieses dramatische Konsequenzen für die Entsorger der öffentlichen Hand („öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger“) mit sich bringen. Die Technik macht es möglich: Mehr und mehr Abfälle können verwertet werden. Daß Papier oder Glas nicht auf die Deponie gehen oder verbrannt werden (technisch gesprochen: beseitigt werden), stellt mittlerweile eine Selbstverständlichkeit dar. Absehbar ist jedoch, daß ständig sich verbessernde Sortier- und Verwertungstechniken eines Tages auch eine Verwertung von Abfallgemischen bis hin zum Inhalt der „Grauen Tonne“ ermöglichen werden. Die Menge der Abfälle, die beseitigt wird und somit in den hoheitlichen Bereich fällt, wird immer kleiner werden. Dieses könnte an die Existenz der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger gehen.

Landgericht Berlin im Trend
Das Urteil ist zum Teil scharf kritisiert worden. Es spiegelt jedoch einen sich verstärkenden Trend wider. Immer häufiger wird in der Fachliteratur, aber auch von der Rechtsprechung die Frage aufgeworfen, ob tatsächlich ein Anschluß- und Benutzungszwang für Abfälle, die verwertet werden können, besteht. Soweit es sich um Abfälle gewerblicher Herkunft handelt, die verwertet werden, ist dieses unstreitig nicht der Fall. Für Abfälle aus privaten Haushaltungen aber galt der umfassende Anschluß- und Benutzwang bislang als Dogma.
Richtig ist, daß das Gesetz zu dieser Frage keine eindeutige Aussage trifft und die Meinungen sowie die Begründungen für diese Meinungen weit auseinandergehen.
Vertreten werden folgende Positionen:

Zulässig ist nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung, daß der Abfallbesitzer seine Abfälle, wenn er sie selbst (!) verwertet, nicht dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger überlassen muß6). Vertreten wird aber auch die Auffassung, daß eine Eigenverwertung auch dann vorliegt, wenn der Abfallbesitzer in eigener Verantwortung Dritte einschaltet7).

Ein anderer Ansatz für die Begründung dafür, daß Abfälle zur Verwertung, auch wenn sie aus privaten Haushaltungen stammen, bereits jetzt im freien Wettbewerb erfaßt und entsorgt werden können, knüpft daran an, daß das Gesetz auch die sogenannte „gewerbliche Sammlung„ zuläßt8). Was genau hierunter zu verstehen ist, wird allerdings vom Gesetz nicht definiert und ist daher ebenfalls heftig umstritten. Nach der einen Meinung sei das Leitbild für die gewerbliche Sammlung die Tätigkeit von Altkleidersammlern etc. Diese würden vom Abfallbesitzer kein Geld erhalten. Somit könne eine entgeltliche Tätigkeit privater Entsorgungsunternehmen keine gewerbliche Sammlung darstellen9). Nach anderer und im Vordringen befindlicher Auffassung fällt unter die „gewerbliche Sammlung„ auch die Tätigkeit auf der Grundlage entgeltlicher Verträge10). Dieses scheint auch die Auffassung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zu sein. Auf ein Beschwerdeschreiben der Kommission der EU vom 3. April 2003, in dem das Bestehen von zahlreichen landesrechtlichen Überlassungspflichten für Abfälle gerügt wird, weist die deutsche Bundesregierung ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, daß Abfälle zur Verwertung aus privaten Haushaltungen auch im Rahmen einer gewerblichen Sammlung und somit im freien Wettbewerb erfaßt werden können. Es ist auszuschließen, daß die Bundesregierung hierbei ausschließlich an Altstoff- und Schrottsammler dachte.

Der rechtliche Ansatz für die Begründung eines freien Wettbewerbs um die Entsorgung von Abfällen zur Verwertung (Eigenverwertung oder gewerbliche Sammlung) ist von erheblicher Bedeutung. Er entscheidet nämlich darüber, ob bzw. wie die Verwertung von Abfällen im freien Wettbewerb unterbunden werden kann. Gegenüber einer Eigenverwertung stehen dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, wenn es sich um Abfälle aus privaten Haushaltungen handelt, keine Abwehrmöglichkeiten offen. Gegenüber der „gewerblichen Sammlung“ hingegen könnte er, wie es das Gesetz - ohne nähere Definition der Begriffe - ausführt, „öffentliche Interessen“ geltend machen, wenn diese „überwiegen„. Es ist anzunehmen (und zu befürchten), daß diese Fragen Gegenstand von u. U. jahrelangen Gerichtsprozessen sein werden. Vermutlich dürften „öffentliche Interessen“ am Fortbestand der Überlassungspflicht dann „überwiegen“, wenn sonst die Funktionsfähigkeit des betroffenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bedroht wäre. Rein monetäre Interessen oder die Gefahr von „stranded investments“ hingegen werden vermutlich nicht ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ am Fortbestand des Anschluß- und Benutzungszwanges rechtfertigen können.

Die weitere Entwicklung
Mehr und mehr steht das umfassende Monopol der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in der Kritik. Immer häufiger wird auf der Grundlage geltenden Rechts die Auffassung vertreten, daß bei einer Verwertung von Abfällen eine Alleinzuständigkeit nicht besteht, sondern bereits jetzt freier Wettbewerb möglich ist. Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger müssen dieser Tatsache Rechnung tragen. Sie müssen noch stärker als bisher aus Sicht der Kunden ein attraktives und wettbewerbsfähiges Angebot machen können. Gelingt ihnen dieses nicht, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Entwicklung an ihnen vorbeigehen und nur noch eine Restzuständigkeit für die ständig kleiner werdende Menge derjenigen Abfälle bleiben, die nicht verwertet werden können, sondern beseitigt werden müssen.

Fußnoten:
1) LG Berlin, Urteil vom 16. September 2003 - 48 S 62/03, Wortlaut Seite 1553
2) § 8 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG Bln
3) Letztmalig Urteil vom 22. Mai 2003 - 9 O 27/03 -; ebenso KG, Urteil vom 27. August 2002 - 27 U 261/01 -, Wortlaut Seite 1552, 1551
4) § 16 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG (des Bundes)
5) § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG.
6) „Eigenverwertung“; siehe § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG.
7) So nun LG Berlin, siehe Fn. 1; a. A. VGH Mannheim, Urteil vom 21. Juli 1998 - 10 S 261/97 -; nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluß vom 25. Juli 2000 - I C 1.00 -) ist diese Frage offen und in zukünftigen Verfahren zu klären.
8) § 13 Abs. 3 Nr. 3 KrW-/AbfG.
9) So Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 2001 - 4 A 100/99 -.
10) Rindtorff, DVBl. 2001, 1038; jetzt auch Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 3. Aufl., § 13 Rn. 89: Das traditionelle Bild des durchs Land fahrenden Altstoffhändlers sei überholt.
Autor: RA Ermbrecht Rindtorff