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Verbale Attacken
15.10.2003 (GE 20/03, Seite 1296) Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Dr. Martin Lindner, ist das, was man umgangssprachlich einen „frechen Hund“ nennt. Verbale Husarenattacken sind seine Stärke, und er erliegt oft der Versuchung, strategische Positionen zu gering, kleine Hurra-Geländegewinne zu hoch einzuschätzen.
Aber das richtige Maß wächst einem erst mit dem Lebensalter zu - wer dieses Maß schon in Lindners Alter hat, gehört zu früh zu den geistigen Rentnern. Und weil Lindner in Berlin schon so ziemlich alles in seiner Reichweite abgewatscht hat, betätigte er sich mal als Nestbeschmutzer. Das bringt allemal mehr Aufmerksamkeit als jeder noch so intelligente Beitrag zu einer Sachdiskussion. „Inkonsequenz, Ängstlichkeit, Oberflächlichkeit, Klientelpolitik und Glaubwürdigkeitsverlust“ attestierte Lindner seiner Partei und meinte damit vor allem den Parteivorsitzenden und „Kanzlerkandidaten“ Guido Westerwelle. Der reagierte wie eine beleidigte Leberwurst und nannte Lindners Thesenpapier „ziemlich dünn und perspektivlos“ und ließ seinen Büchsenspanner, den FDP-Vorsitzenden aus Baden-Württemberg, Walter Döring, nachlegen. „Widerwärtig“ sei Lindners Kritik an der „vermeintlichen“ Klientelpolitik der FDP gegenüber Beamten. Das aus Beamtenmund (Döring ist gelernter Lehrer und im FDP-Führungspersonal der mit dem größten geistigen Langeweile-Faktor) reißt einen auch nicht von den Füßen. Die giftigen Retourkutschen der FDP-Spitze zeigen nur: Getroffene Hunde bellen. Denn wahr ist: Die Misere der Republik und die Art der notwendigen Reformen (Rückbesinnung auf die Eigenverantwortlichkeit und die Fähigkeiten der Bürger) haben zu einer historischen Gelegenheit für die Liberalen geführt, die (bislang) komplett vertan wurde. Man stelle sich vor, was ein Otto Graf Lambsdorff in der Innen- und Wirtschaftspolitik und ein Hans-Dietrich Genscher daraus in der Außenpolitik gemacht hätten - stabil zweistellig wären die Liberalen, statt im Brackwasser der 5-%-Grenze zu dümpeln. Guido Westerwelle war schon immer zu leicht für die liberalen Wähler. Nur gewogen hat ihn bisher keiner so richtig. Lindners Attacke kam zur rechten Zeit und ist der Versuch, Westerwelles wirkliches Gewicht zu prüfen. Kein Wunder, daß der sich dagegen sperrt wie die Zicke am Strick.