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Die Stadt und der Müll
04.08.2003 (GE 15/03, Seite 968) Wenn eine so unprätentiöse Dame wie die frühere Verwaltungsrichterin Vera Gäde-Butzlaff, die jetzt im Vorstand der Berliner Stadtreinigungsbetriebe für die Abfallwirtschaft zuständig ist, sagt, sie erwarte in zwei Jahren eine Steigerung der Müllgebühren in Berlin um mindestens 20 bis 30 %, könne aber auch eine Erhöhung um 50 % nicht ausschließen, darf man getrost davon ausgehen, daß es sich dabei nicht um politisches Geschwätz in der Sommerpause handelt, sondern daß der Aussage realistische Erwartungsszenarien zugrunde liegen.
Die Mitteilung der BSR-Vorständlerin hat in der Berliner Tagespresse geradezu Schockwellen ausgelöst - die BZ verwandte ihre halbe Titelseite allein für die Überschrift. Dabei ist das alles nicht neu. Das Berliner Betriebskostenbündnis, das aus Haus & Grund Berlin, dem BBU, dem LFW und dem Berliner Mieterverein besteht, hat das seit längerem prophezeit - übrigens in exakt derselben Größenordnung, die von den Berliner Stadtreinigungsbetrieben jetzt offiziell eingeräumt, damals aber bestritten wurde.

In einem 2002 auf einer Pressekonferenz vorgelegten Papier des Betriebskostenbündnisses heißt es wörtlich:
„Um wie viel die Müllabfuhrpreise ab 2005 steigen, weiß keiner genau. Fest steht jedoch, daß sie drastisch steigen werden. Die untere Schätzung liegt für Berlin bei 30 %. Das Betriebskostenbündnis rechnet mit 50 % Steigerung, im schlimmsten Fall mit einer Verdoppelung in den Jahren 2005 bis 2010.”

Daß die Berliner ab 2005 für ihren Müll bluten müssen, verdanken sie vor allem der Berliner Politik. Und zwar nicht in erster Linie der des rot-roten Senates, sondern der Politik der großen Koalition, die die Weichen nicht nur nicht richtig, sondern überhaupt nicht gestellt hat.

Seit fast zehn Jahren weiß man um die verschärften Rahmenbedingungen der Müllbeseitigung ab 2005. In diesen ganzen Jahren ist es der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht gelungen, ein tragendes Abfallwirtschaftskonzept für Berlin vorzulegen. Wobei nicht klar ist, wer wen am Nasenring durch die Stadt geführt hat: die BSR die Stadtentwicklungsverwaltung und den Senat oder umgekehrt.

Der kürzlich ausgeschiedene ehemalige Vorstandsvorsitzende der BSR, Professor Peter von Dierkes, hatte ein nachvollziehbares Entsorgungskonzept, das durch Einfachheit, Überschaubarkeit und Kontrollierbarkeit bestach: möglichst allen Abfall in die graue Tonne und ab damit in den Verbrennungsofen. „Sie verteilen den Müll bei Ihnen zu Hause ja auch nicht auf 20 Häufchen und behandeln jedes Häufchen unterschiedlich“, hatte er mir einmal gesagt und darauf hingewiesen, daß sich im Müll so viele problematische Stoffe befänden, daß es sicherer sei, sie auf einem Haufen unter Kontrolle zu haben und auch kontrolliert verbrennen zu können.

Der Müll-Pyromane von Dierkes fand in der politischen Landschaft in Berlin kein Gehör, man wollte keine zweite Müllverbrennungsanlage in der Stadt.
Folglich entwickelte sich ein Hase-Igel-Spiel. Die BSR legten ein Müllkonzept nach dem anderen vor, jedes zeichnete sich dadurch aus, daß es undurchführbar war. Konsequenz: Der Zeitdruck wurde höher, der Zeitrahmen immer enger, so daß die BSR ihren alten Phönix aus der Asche präsentierten: eine zweite Müllverbrennungsanlage in Ruhleben.

Fast hätte es geklappt, hätte nicht der Europäische Gerichtshof die ganze Abfallfront zum Wanken gebracht, indem er mit der Änderung der Müllterminologie eine zweite Verbrennungsanlage in Berlin sinnlos machte.
Die Sturheit der BSR, die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit des zuständigen Fachsenators gegenüber dem Unternehmen bezahlen wir ab 2005 alle. Die Verantwortlichkeiten sollten allerdings benannt werden.
Autor: Dieter Blümmel