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Europäisch verfaßt
19.06.2003 (GE 12/03, Seite 761) Ein früherer deutscher Innenminister, Hermann Höcherl, prägte einst, als er bei einem Verfassungsverstoß ertappt wurde, den legendären Satz: Er könne schließlich nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm rumlaufen. Dabei kann man es, denn das Grundgesetz läßt sich in einem Büchlein von der Größe eines Portemonnaies unterbringen. Die künftige europäische Verfassung, deren Entwurf vom Europäischen Konvent vor einigen Tagen vorgelegt wurde, hat dagegen eher das Ausmaß eines Telefonbuches.
Der Entwurf einer europäischen Verfassung sollte eigentlich Aufmerksamkeit erregen im größten Land des Kontinents – tut sie aber nicht, obwohl wir doch gewarnt sein sollten, denn Europa kommt. In Deutschland aber durch die Hintertür.

Dabei prägt Europa schon jetzt unser Leben, und zwar stärker, als das den meisten bewußt ist. Ein großer Teil der deutschen Gesetzgebung ist bereits durch EG-Richtlinien vorbestimmt.

Daß Sie beispielsweise, sofern noch vorhanden, Wasserleitungen aus Blei bis Jahresende austauschen müssen, um die vorgegebenen neuen Grenzwerte für Blei einzuhalten, ist ebenso den EG-Vorgaben zu verdanken wie die Einführung des Energiepasses für neue und künftig auch alte Gebäude.

Europa ist also längst nicht mehr nur mit seiner Vorhut in Deutschland, längst nicht mehr nur mit seiner gemeinsamen Währung, sondern bereits mit seinem ganzen Alltag. Und der heißt hier wie da auch Bürokratie.

Daß wir demnächst ein Antidiskriminierungsgesetz erhalten, ist auch europäischen Vorgaben zu verdanken – und der vorgelegte Verfassungsentwurf setzt noch eins drauf: Nicht nur, daß eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung verboten ist, sondern auch noch wegen genetischer Merkmale. Vorbei also die Zeiten, wo Sie jemandem sagen konnten, „an Sie vermiete ich nicht, weil mir Ihre Nase nicht gefällt.“

Aber dieses neue zusammenwachsende Europa hat auch Chancen – gerade für Eigentümer. Die neue europäische Verfassung bringt nämlich eine europaweite Garantie des Eigentums, und zwar unverkennbar ausgerichtet an Artikel 14 Grundgesetz. Selbstverständlich ist das nicht, denn in keinem europäischen Land hat Eigentum durch die Verfassung einen so starken Schutz wie in Deutschland – und der wird von Europa übernommen. Vergessen wir nicht, daß es nur rund 150 Jahre her ist, daß der Kampf um das Privateigentum die Welt politisch gespalten hat und die Fronten entlang der theoretischen Alternative Privateigentum oder Gemeineigentum, Verfügungsbefugnis des einzelnen oder des Kollektivs, Marktwirtschaft oder zentrale Planwirtschaft verliefen. Politisch, ökonomisch und moralisch ist dieses Duell zweier antagonistischer Eigentumskonzeptionen zwar entschieden, doch dürfen wir nicht vergessen, daß die philosophischen und politischen Gegensätze, die um das Eigentum oszillierten (man denke nur an Rousseaus berühmten Diskurs von 1755 über den Ursprung und die Gründe der Ungleichheit unter den Menschen, an Kants Versuch, den Eigentumsbegriff aufzulösen oder Proudhons Feststellung, daß Eigentum Diebstahl sei) zu tiefgründig in der Geistesverfassung der Menschheit verankert sind, um durch die historische Entwicklung ein für alle mal aufgehoben zu sein – aber gerade deshalb müssen wir auch zu Europa stehen, das zu einem Zeitpunkt seine Verfassungsgrundlagen legt, der dem Privateigentum wohlgesonnen ist.
Autor: Dieter Blümmel