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Qualifiziert und unqualifiziert
26.03.2003 (GE 6/03, Seite 341) „Die Vermieter haben den Systemwechsel durchgesetzt, weil sie mehr Geld für ihre Wohnungen haben wollen. Das war einfach eine Machtfrage“, vertraute ein sichtlich angesäuerter Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, dem „Tagesspiegel“ an, der ihn zum neuen Berliner Mietspiegel befragte. Und Vetter fand auch gleich den Hauptschuldigen: „Ein Bausenator der SPD hat sich auf die Seite der Vermieter geschlagen, und Peter Strieder wird einen Mietspiegel nach deren Geschmack veröffentlichen.“
Nun, die Vermieter können sich jetzt selbst einen Eindruck verschaffen, der Mietspiegel ist in dieser Ausgabe ab Seite 372 im Wortlaut abgedruckt. Die Begeisterung wird sich in Grenzen halten, denn gut bedient ist eigentlich nur der Ostteil der Stadt. Dort haben sich die Mieten, vergleicht man den Mietspiegel 2000 mit dem des Jahres 2003 (der das Mietniveau zum 1. März 2002 wiedergibt), im Durchschnitt um gut 10 % erhöht - überwiegend aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen -, im Westteil dagegen nur um schmale 1,8 % - ganze 0,9 % pro Jahr. Den Mietern war das immer noch zu viel: Sie stiegen aus wegen ganzer 5 Cent pro Quadratmeter.

Der eigentliche Grund für den Ärger des Mietervereins ist freilich ein anderer. Die Mieterorganisationen sind nämlich in eine selbstgestellte Falle gelaufen, die den Namen „Qualifizierter Mietspiegel“ trägt. Jahraus, jahrein hatten die Mietervertreter - in vorderster Front die Berliner - gebetsmühlenartig erklärt, Mietspiegel seien das beste und überhaupt eigentlich das einzige Mittel, um die wahre Erkenntnis über die ortsübliche Vergleichsmiete zu vermitteln, besser als jeder Sachverständige, und deshalb hätten sie auch schlicht als (einziges) Beweismittel im Prozeß zu gelten.

Der Gesetzgeber des Mietrechtsreformgesetzes erhörte diese Forderungen, erfand den sogenannten qualifizierten Mietspiegel, der - so das Gesetz - die (widerlegbare, allerdings nur schwer widerlegbare) Vermutung in sich trägt, die ortsübliche Miete wiederzugeben und sich so faktisch auch als Beweismittel im Prozeß aufdrängt. Allerdings haben die Mietervertreter dafür einen Preis bezahlt, mit dem sie nicht gerechnet haben: Der quali-fizierte Mietspiegel ist gleichzeitig auch das Ende der spöttisch oft so genannten „Bordeaux-Mietspiegel“, jener Mietspiegel also, die in der Kneipe zwischen den Vermieter- und Mieterverbänden bei einem guten Glas Wein ausgehandelt werden. Zwar war bei den bisherigen Berliner Mietspiegeln nie Alkohol im Spiel, doch war der Spielraum für Abbildungen des Marktes viel größer, als er jetzt und künftig ist, wo strikte wissenschaftliche Kriterien zu beachten sind. Und dieser Spielraum konnte bisher von den Mietervertretern besser genutzt werden, weil die Politik - egal, ob der Senator von der SPD oder der CDU gestellt wurde - immer sehr einseitig die Position der Mieter stärkte.

Beim qualifizierten Mietspiegel aber führt solche Einseitigkeit zum Scheitern, weil der Mietspiegel damit für erfolgreiche Angriffe von vornherein offen ist. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder hat das begriffen, die Mieterverbände nicht. Vor allem waren sie mit einem wissenschaftlich-mathematischen Modell der Spannenausweisung konfrontiert worden, das ebenso neu wie überzeugend ist: Wie groß die ausgewiesenen Spannen im Mietspiegel sind - eine entscheidende Frage -, hängt nach diesem Modell ausschließlich davon ab, wie weit sich in jedem Feld die einzelnen Mietwerte vom Mittelwert entfernen („streuen“). Je breiter sie streuen, desto größer muß die Spanne sein und umgekehrt. Das führte dazu, daß jedes Mietspiegelfeld seine individuelle Spannenausweisung hat - zwischen zwei Drittel und vier Fünftel.

Diese Spanne - vier Fünftel - (die im Mietspiegel wie auch die Zwei-Drittel-Spanne aber nur in einem einzigen Feld zur Anwendung kommt) war für die Mieter mehr, als sie mitzutragen bereit waren. Dazu kam auch noch, daß - nicht überraschend - die Untersuchungen ergeben hatten, daß die Wirkung der bei Mietern und Richtern so beliebten Orientierungshilfe nicht nur nicht bewiesen werden konnte, sondern daß im Gegenteil alles dafür spricht, daß die Wertungen der Orientierungshilfe unzutreffend sind. Sie ist deshalb ausdrücklich auch nicht mehr Bestandteil des qualifizierten Mietspiegels. Ihre Anwendung im Prozeß verbietet sich deshalb. Gleiches gilt für den Ausweis der Lärmbelastung.

Will man das Ergebnis des ersten qualifizierten Berliner Mietspiegels in einem Satz zusammenfassen, könnte der lauten: Die ortsübliche Miete ist kein punktgenauer Wert, sondern eine Spanne - das macht den Mieterverbänden zu schaffen. Spannend wird, wie die Berliner Gerichte diese - keineswegs neue, jetzt aber im Mietspiegel praktisch verankerte - These umsetzen.
Autor: Dieter Blümmel