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Reform
24.02.2003 (GE 4/03, Seite 205) Was bleibt vom alten, kommt im neuen Jahr? Das Wort „Reform“ z. B., denn alle Welt fordert nun Reformen: der Zeitgeist fordert sie, die Bundesregierung, die Opposition und selbst die Künstler und Intellektuellen, jedenfalls soweit sie von Kürzungen der staatlichen Zuwendungen oder - wie alle anderen auch - von Steuer- und Abgabenerhöhungen betroffen sind. Alle reden darüber, und auch der Bundeskanzler tut es! Schade, denn wer nur immer das Handeln durch Reden ersetzt, der kann natürlich nichts bewirken. „Die Macht soll handeln und nicht reden“, sagte schon Goethe.
Reform - das Unwort des Jahres 2003 (nach dem „Reformstau“, eines der Unworte des Jahres 2002)? Wird wohl so sein, wenn weiter mit diesem Mangel an Zielvorstellungen, an Leitlinien, an Strategien herumgedoktert wird. Was da als Pragmatismus daherkommt, kann im Einzelfalle ja ganz gut und richtig sein, nur - ohne Konzept bleibt es unfertig wie einzelne Teile eines Puzzles, die kein Bild ergeben.

Was könnte das Grundprinzip aller Reformen sein? Ganz einfach: das Subsidiaritätsprinzip. Der Staat darf nicht an sich ziehen und ordnen wollen, was der Einzelne besser kann. Die Verlagerung von Zuständigkeit und Verantwortung von oben nach unten muß die Leitlinie aller Veränderungen bilden.
Nur - wer kann das schon, wer macht uns solche Reformen, wo wir doch nicht erst seit Parkinson wissen, daß - im Gegenteil - Delegierung von Verantwortung von unten nach oben die Überlebensdevise eines jeden guten Bürokraten ist? Daß es Sinn und Zweck guter Gesetze ist, dem Einzelnen einen Handlungs- und Entscheidungsrahmen zu geben, der unabhängig von der Laune des Monarchen ausgefüllt werden kann, ja, werden muß, das mache mal einer dem einfachen Bürokraten wie dem einfachen Bürger klar. Beide tragen nämlich gleichermaßen Schuld, wenn es mit der Subsidiarität nicht so richtig klappt. Bohrt man tiefer, so stößt man anscheinend auf noch Bedenklicheres.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage stellte diese Alternative zur Wahl: Was ist Ihnen wichtiger: Freiheit - oder Sicherheit? Der überwiegende Teil der Befragten gab der Sicherheit den Vorzug, nicht der Freiheit, ein schockierendes Ergebnis. Wirklich schockierend? Eigentlich doch wieder nicht, wenn man bedenkt, daß die Freiheit der Meinungsäußerung, die der jederzeitigen Bewegung über alle Grenzen hinweg, die der Warenströme und die der totalen Kommunikation derart selbstverständlich geworden ist, daß man sie als etwas Neues, etwas Besonderes, gar etwas Kostbares gar nicht mehr wahrnimmt. Sie gehört inzwischen zum täglichen Leben wie die Atmung, die Verdauung und das schlechte Wetter!

Die Sicherheit dagegen wird den Leuten zwar von allen Regierungen garantiert („… die Rente ist sicher …“), aber von keiner gehalten, weil ein solches Versprechen nicht gehalten werden kann. Denn sicher ist im Leben des Einzelnen wie der Staaten nur eines: der Wandel! Und je älter die Erde wird, desto schneller schreitet der Wandel voran, desto kürzer wird die Verfallzeit selbst festgefügter Dogmen und solide errichteter Bauwerke. Kursentwicklungen an der Börse, Preisentwicklungen in den Läden, Beitragsentwicklungen bei den Versicherungen und gar die Manipulationen an den Steuern haben der „Sicherheit“ als dem zuvörderst wünschenswerten Gut in den Köpfen der Menschen die Priorität eingeräumt.

Man kann das den Leuten nicht verdenken, obwohl die Ursache für all diese „Unsicherheiten“ tiefer liegt - nämlich gerade im Entzug von Freiheiten, mit denen allein der Einzelne dem Wandel der Lebensumstände und der Unsicherheit der Zeiten begegnen kann. Die Freiheit, für sich selbst zu sorgen, hat in Wahrheit keiner mehr.
Autor: Dietmar Otremba