Archiv / Suche
Die Kaffeekassen-Überweisung
21.11.2002 (GE 22/02, Seite 1448) Das war geradezu rührend, was Berlins Finanzsenator Dr. Thilo Sarrazin kürzlich in einer Diskussion im Sender Freies Berlin zum besten gab:
Gerade am Abend zuvor habe er 58 Euro und ein paar Zerquetschte überwiesen für die Senats-Kaffeekasse. Seit einigen Monaten müßten nämlich die Senatsmitglieder den Kaffee, den sie in den Sitzungen trinken, selbst bezahlen (das haben die meisten Arbeiter und Angestellten in diesem Land schon immer gemacht). Soweit, so gut, so irrelevant. Relevanter wäre es gewesen, wenn der Senator sich die Zeit, die er für seine Überweisung gebraucht hat, für die 100 % im städtischen Besitz befindliche Wohnungsbaugesellschaft Hohenschönhausen (HOWOGE) genommen hätte. Deren Aufsichtsrat hatte nämlich mit Wirkung vom selben Tage, an dem Sarrazin seine Rührgeschichte im Fernsehen erzählte, den langjährigen Geschäftsführer Dr. Eckart Baum gefeuert, und zwar mittels außerordentlicher Kündigung. Einen Mann, über den die Gesellschaft selbst in einer Presseerklärung völlig zu Recht folgendes mitteilte: „In seiner zehnjährigen Tätigkeit als technischer Geschäftsführer der HOWOGE hat er sich große Verdienste um die Entwicklung der Gesellschaft erworben.” Daß ein Geschäftsführer einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft von heute auf morgen entlassen wird, scheint offenbar in Mode zu kommen. Kürzlich ging es so dem früheren Staatssekretär in der Bauverwaltung und Geschäftsführer der BEWOGE, Ulrich Arndt (vgl. GE 2002, 1284). Und wie bei Arndt waren es auch bei der HOWOGE die Leute vom Personalrat, die den Chef killten. Schon zweimal hatten sie in der Vergangenheit Anlauf genommen, beim dritten Mal glückte es. Im Rahmen einer Debatte über die vom Aufsichtsrat beschlossene Geschäftsverteilung sei es „zu erneuten Auseinandersetzungen innerhalb der Geschäftsleitung und im Verhältnis zum Aufsichtsrat gekommen”, teilten der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Dr. Klaus Riebschläger, und der verbleibende Geschäftsführer Hans-Jürgen Adam in einem Rundschreiben an die Mitarbeiter mit. Bei der geplanten Unternehmensstruktur stelle „das Verhältnis der Geschäftsleitung zum Betriebsrat ein zentrales Element” dar, und in der Vergangenheit habe es zwischen Baum und den Arbeitnehmervertretern erhebliche Kontroversen gegeben, heißt es weiter. Das alles wird man getrost als Nebelwerferei betrachten dürfen, denn der Aufsichtsrat, insbesondere aber auch sein Vorsitzender, werden um eine Frage nicht herumkommen: Wenn es „in der Vergangenheit” zu derartigen Kontroversen gekommen ist - und nach unseren Informationen trifft das auch zu -, wieso hat dann der Aufsichtsrat exakt einen Monat vor dem Rauswurf den Geschäftsführervertrag von Baum um fünf Jahre verlängert? Angesichts der Gesamtumstände müßte Baum wohl in diesem einen Monat regelrecht Amok gelaufen sein oder goldene Löffel geklaut haben, wenn sich die Gesellschaft auch nur den Hauch einer Chance ausrechnen wollte, um die Auszahlung des Geschäftsführervertrages für die nächsten fünf Jahre herumzukommen. Da wird sich vielleicht auch mal die Frage nach der Verantwortung des Aufsichtsrates stellen: Haben wir es immer noch so dicke, daß wir Geld zum Fenster hinausschmeißen, statt den Beschäftigten einer Landesgesellschaft argumentativ deutlich zu machen, was die Uhr geschlagen hat? Und weil Finanzsenator Dr. Thilo Sarrazin ja so ein Zahlenfreak ist, haben wir ihm eine Rechnung abgenommen: Was in der Zeit, in der er seine Kaffeekassen-Überweisung getätigt hat, durch den zeitgleichen Aufsichtsratsbeschluß von der HOWOGE auf den Kopf gehauen wurde, hätte ausgereicht, damit der gesamte Berliner Senat 263 Jahre lang kostenlos hätte Kaffee trinken können. Ja, ja, Herr Senator: Es sind nicht die Einnahmen, es sind die Ausgaben, die diese Stadt kaputt machen. Die unnützen Ausgaben vor allem.