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Meine Wut wächst auch
07.11.2002 (GE 21/02, Seite 1349) Die Berliner Morgenpost berichtete kürzlich über ein Ehepaar, das Sozialhilfe bezog und neue Möbel haben wollte. Als die Prüfer vom Sozialamt kamen, war die Wohnung leer, der Bedarf also belegt. Bis eine „nette“ Nachbarin anrief und mitteilte, besagtes Ehepaar trage seine Möbel gerade wieder aus dem Keller in die Wohnung. Beim unangekündigten Besuch der Prüfer eine Stunde später war die Wohnung komplett eingerichtet.
Vom Hocker gehauen hat mich die Summe, die der Steuerzahler durch die Prüfung gespart hat: sage und schreibe 27.540 Euro! Ja, sind wir denn noch ganz dicht? Werden in diesem Land Möbel für Sozialhilfeempfänger im Designer-Studio gekauft? Oder wie kommen solche Summen zustande, von denen eine deutsche Durchschnittsfamilie eineinhalb Jahre leben kann? Bei 50 Hausbesuchen pro Woche stimme in 21 Fällen bei den Sozialhilfeempfängern etwas nicht, beschrieb die Mitarbeiterin eines bezirklichen Sozialamtes ihre Erfahrung.

Gehen wir zum anderen Ende der Skala. Da kommen zu einem Handwerksbetrieb mit knapp 10 Mitarbeitern in Brandenburg, bei dem Vater und Sohn an der Front mitarbeiten, die Prüfer der Sozialversicherungsträger. Weil es dem Handwerkszweig, in dem besagter Betrieb tätig ist (Bau), nicht besonders gut ging, hatte der Inhaber seine Leute vor einigen Jahren mit der unangenehmen Alternative konfrontieren müssen: Betrieb dicht machen oder einen unter Tarif liegenden Lohn zu akzeptieren. Des Mannes Leute wollten lieber für weniger Geld als überhaupt nicht arbeiten (obwohl sie es wie viele hätten machen und ein doppeltes Einkommen beziehen können aus Stütze und Schwarzarbeit). Der Betrieb überlebte. Bis die Prüfer der Sozialversicherungsträger kamen und dem fassungslosen Handwerker beibrachten, daß sich die Sozialversicherungsbeiträge nicht nach dem tatsächlich gezahlten Lohn, sondern nach den geltenden Tarifverträgen errechnen. Fällige Nachzahlungen für vier Jahre brachten den Mann wirtschaftlich um und seine Leute endgültig auf die Straße.

Sind derartige Zustände nur Zufälle, Ergebnis von Denkfehlern und/oder Schlamperei, oder haben sie Methode?
Oskar Lafontaine, der immer noch großen meinungsbildenden Einfluß auf die deutsche Linke hat, schreibt in seinem neuesten Buch („Die Wut wächst”):

„In einer gerechten Gesellschaft dürfen die ungleichen Startbedingungen nicht alleine über die individuellen Lebensentwürfe und deren Realisierungschancen entscheiden. Deshalb muß der Staat durch gerechte Verteilung der Grundgüter, zu denen Bildung und Gesundheitsvorsorge ebenso wie Einkommen und Vermögen gehören, für bessere Ausgangsbedingungen der Benachteiligten sorgen. Die Zufälligkeit der sozialen Herkunft und der natürlichen Begabung soll ausgeglichen werden.”

Ist die Ausbeutung derjenigen (siehe den Handwerksmeister und seine Leute), die mit Fleiß, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Sparsamkeit und Verzicht (in der Lafontaineschen Vorstellungswelt ohnehin alles Sekundärtugenden, mit denen man auch ein KZ führen kann) durch die Faulen, Unzuverlässigen, Verschwender und Tagediebe das, was Lafontaine unter dem „Ausgleich der Zufälligkeiten der sozialen Herkunft und der natürlichen Begabung” versteht? Hat, um wiederum Lafontaine zu zitieren, der Besitzende einen völlig anderen Begriff von sozialer Gerechtigkeit als der Sozialhilfeempfänger? Sind Sozialhilfebetrug und Schwarzarbeit die - wieder Lafontaine - gesellschaftlichen Bedingungen, die Alten, Kranken, Kindern, Schwachen und Behinderten ein würdiges Leben ermöglichen? Besteht das würdige Leben der Benachteiligten darin, dem Lieben Gott die Zeit zu stehlen und dann schnell in Deckung zu gehen, wenn das Gemeinwesen seinerseits einen zumutbaren Solidarbeitrag fordert (Stichwort: Hilfe im Kampf gegen die Miniermotte)?

Der sozialistische und sozialdemokratische Lebensentwurf einer Gesellschaft von umfassend betreuten Bürgern, die die Beherrschung durch Versorgung als ihren Traum vom Glück empfindet, ist, wie an der Diskussion dieser Tage deutlich wird, an seine finanziellen und gesellschaftlichen Grenzen gestoßen und wird in den nächsten Jahren endgültig scheitern, wenn die vorhandene Substanz wie schon einmal vor über zehn Jahren in einem Teil Deutschlands verbraucht ist. In keinem unserer großen Versorgungssysteme (Rente, Krankheit, Arbeitslosigkeit) ist die demoskopische Entwicklung auch nur im Ansatz eingearbeitet. Die bevorstehenden Verwerfungen werden die bundesdeutsche Gesellschaft traumatisieren, wenn nicht in diesem Jahrzehnt die radikale Umkehr gelingt.
Autor: Dieter Blümmel