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Magere Jahre
02.10.2002 (GE 19/02, Seite 1213) Seit Walter Ulbrichts legendärem Satz „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ weiß man in Deutschland, daß man besonders hellhörig sein muß bei solchen Sätzen aus Politikermund, weil sie meist gelogen sind.
„Wir haben keine Absicht, Steuern zu erhöhen, unabhängig von dem, was einer lieber hätte oder nicht lieber hätte“ (ver-)sprach am 26. Juli 2002 Bundeskanzler Gerhard Schröder und watschte damit die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, die Genossin Heide Simonis, ab, die kryptisch gemurmelt hatte, „staatliche Einnahmeverbesserungen seien kein Tabu“.

Nachdem nun treuherzig auch Schröders Vasallen, die Landesfürsten Sigmar Gabriel aus Niedersachsen und Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz massive Steuererhöhungen gefordert haben und dafür von einem weiteren Vasallen, dem Landesfürsten Wolfgang Clement aus Nordrhein-Westfalen, unterstützt wurden, fragt man sich, ob es sich bei dem „Wir“ aus dem Schröderzitat um den Pluralis majestatis und bei dem „einer“ um drei oder vier (Beck, Clement, Gabriel, Simonis) handelt mit der Folge, daß man solche Mehrheiten ernstnehmen muß oder handelt es sich bei dem „Wir“ aus dem Schröderzitat um das Personalpronomen erste Person Plural, gesprochen von einem, den ein demokratisch verfaßtes Gemeinwesen mit der Richtlinienkompetenz für das von ihm geführte Kabinett und eine Partei durch die Wahl zum Vorsitzenden mit ihrer Führung und im bürgerlich-rechtlichen Sinne bindender Vertretung nach außen ausgestattet hat mit der Folge, daß so ein Kanzlerwort (das vor der Wahl und das zur Beendigung der Steuerdiskussion nach der Wahl) gilt?

Vieles spricht dafür, daß die Fragestellung gleichgültig ist, weil das Schröderzitat kein Versprechen, sondern ein Versprecher war und die Steuern auf jeden Fall erhöht werden (wenn nicht im Bund, dann in den Ländern), denn eine menschliche Grunderfahrung heißt: Wenn das Geld knapp wird, neigen zum Sparen nur diejenigen, die Geld verdienen müssen und wissen, wie schwer das ist. Niemals aber diejenigen, die immer nur Geld ausgeben. Die neigen vielmehr dazu, sich neues Geld zu verschaffen - auch durch höhere Steuern.

Allerdings werden sich Politiker damit abfinden müssen, daß ein großer Teil der Bevölkerung sich beim Vergleich der Versprechen/r vor der Wahl und den Taten danach betrogen fühlt. Besonders dem Mittelstand wird das so gehen, der im Regal noch Meyers Lexikon zu stehen hat und dort unter B wie „Betrug“ die Definition findet: „Verschaffung eines Vorteils durch Täuschung“. Und weiter, daß Täuschung in der „Vorspiegelung falscher bzw. Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“ besteht.

Leider ist weitere Voraussetzung für Betrug die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums, der gerade durch die Täuschungshandlung erzeugt sein muß. Daran hapert es bei Versprechen aus Politikermund, denn längst glauben die Leute der politischen Elite nicht mehr, folglich können vor der Wahl gegebene und nach der Wahl gebrochene Versprechen niemals wirklich Wählerbetrug sein, weil der Wähler das ohnehin erwartet hat. Daß trotzdem immer noch viele wählen gehen, liegt zum einen daran, daß die Hoffnung zuletzt stirbt, zum anderen, daß ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung nach wie vor glaubt, irgendwer würde das schon richten mit dem Manna, das vom Himmel fällt. Und am glaubwürdigsten versprochen hat das eben die rot-grüne Koalition, die zwar geschwächt, aber nicht geschlagen aus der Wahl hervorging. Die bürgerliche Mitte hat zugelegt, aber die Regierungsmehrheit knapp verfehlt. So bestätigt das Wahlergebnis den Stillstand und die Ratlosigkeit der deutschen Politik.

Die gesamte Wirtschaft braucht aber dringend eine Entlastung von Steuern, Abgaben und Bürokratie. Von der Koalition der „staatsgläubigen“ Parteien SPD und Grüne ist eine entschlossene, auf Wachstum und Zukunft ausgerichtete Politik der Deregulierung aber nicht zu erwarten. Weit und breit ist kein Ansatz in Sicht, die dafür notwendige Mobilisierung der Leistungsträger vor allem im Mittelstand zustande zu bringen. Die in den letzten Wochen immer wieder geforderte „Entfesselung des deutschen Gulliver“ kann unter Rot-Grün nicht stattfinden, weil diese Parteien sich dazu erst einmal selbst befreien müßten: von Staatsgläubigkeit, Marktmißtrauen, Gleichmacherdenken und ihrer Nibelungentreue zu den Gewerkschaften. Das aber ist nicht zu befürchten. Dem Land steht also die zweite Hälfte der sieben mageren Jahr noch bevor.
Autor: Dieter Blümmel