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Die Betriebskostenabrechnung nach "Soll-Vorschüssen"
20.09.2002 (GE 18/02, Seite 1182) Insbesondere bei größeren Wohnungsbaugesellschaften und Verwaltungen ist es ständige Praxis, daß bei der Abrechnung von Betriebskosten nicht die tatsächlichen, sog. „Ist-Vorschüsse“, sondern die „Soll-Vorschüsse“ den entstan-denen Kosten gegenübergestellt werden.
Diese Praxis ist von den Berliner Gerichten, insbesondere dem Landgericht Berlin, jahrzehntelang stillschweigend oder ausdrücklich gebilligt worden (vgl. LG Berlin [ZK 65] GE 1991, 625; [ZK 67] GE 2001, 492; [ZK 62] GE 2001, 1623; [ZK 62] GE 2000, 1623). Nur die ZK 64 - bei dem Erfinden neuer Hürden für die Abrechnung von Betriebskosten immer schon Vorreiter - ist von dieser Rechtsprechung mindestens seit dem Jahre 2000 abgewichen und sieht nun regelmäßig eine Betriebskostenabrechnung, die die vom Mieter geschuldeten Soll-Vorschüsse anstelle der tatsächlichen Einnahmen des Vermieters enthält, als nicht ordnungsgemäß an (vgl. LG Berlin [ZK 64] GE 2001, 206; GE 2002, 931; ebenso AG Charlottenburg GE 2001, 556). Der Versuch, diese Rechtsprechung durch Anrufung des Berliner Verfassungsgerichtshofes zu kippen, ist mißlungen. Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat mit Beschluß vom 11. Oktober 2001 (GE 2001, 1536) erklärt, die Auffassung der ZK 64 sei insbesondere durch die Rechtsprechung des BGH gedeckt, der in seinem Urteil vom 23. November 1981 (NJW 1982, 573, 574) zum Ausdruck gebracht habe, daß er die Begriffe „Einnahmen“ und „Ausgaben“ i. S. v. tatsächlich entstandenen Abrechnungskosten verstanden wissen will (VGH Berlin a. a. O., S. 1538).
Die Frage ist, ob sich aus dem zur Geschäftsraummiete ergangenen Urteil des BGH vom 23. November 1981 wirklich ergibt, daß eine Abrechnung nur dann ordnungsgemäß ist, wenn in sie die tatsächlich geleisteten Vorauszahlungen ein-gestellt werden.

Tatsächlich hat sich der BGH in seinem Urteil mit der Frage, ob eine Abrechnung mit fiktiven Vorauszahlungen ordnungsgemäß sei, nicht einmal mit einem Nebensatz befaßt. Es heißt in dem Urteil lapidar: die Abrechnung muß den all-gemeinen Anforderungen des § 259 BGB entsprechen, also eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben enthalten (BGH a. a. O., S. 574). Damit wird lediglich der Gesetzestext des § 259 BGB wiederholt. Entgegen der insoweit letztlich falschen Zitierung im Urteil des LG Berlin [ZK 64] vom 13. Oktober 2000 (GE 2001, 206) ist davon, daß über die „tatsächlichen“ Einnahmen und Ausgaben abzurechnen sei, nicht die Rede.

Andere in dem Urteil des BGH angesprochene Gesichtspunkte sollten dagegen in diesem Zusammenhang erhöhte Beachtung finden. Zutreffend führt nämlich der BGH aus, daß unter einer geordneten Zusammenstellung eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten zu verstehen sei, was die Abrechnung darüber hinaus enthalten müsse, ergebe sich aus ihrem Zweck. Sie soll den Mieter in die Lage versetzen, den Anspruch des Vermieters nachzuprüfen. Dazu muß er die Abrechnung gedanklich und rechnerisch nachvollziehen können. Ferner weist das Gericht darauf hin, daß sich der Umfang der Rechnungslegungspflicht nach dem Grundsatz der Zumutbarkeit bemesse, d. h. nach einer sinnvollen Relation zwischen Arbeits- und Zeitaufwand des Ver-mieters einerseits und den schutzwürdigen Interessen des Mieters andererseits.

Daß es buchungs- und abrechnungstechnisch insbesondere auch bei der Ver-wendung einer Hausverwaltungssoftware für den Vermieter wesentlich einfa-cher ist, in die Abrechnung die Soll-Zah-lungen einzustellen, als sich im Einzel-fall mit der Frage der zutreffenden Verrechnung von Teilzahlungen des Mieters auseinandersetzen zu müssen, liegt auf der Hand.
Der Abrechnung nach Soll-Vorschüssen stehen auch keine schutzwürdigen In-teressen des Mieters entgegen. Materielle Nachteile können dem Mieter aus ei-ner Abrechnung nach Soll-Vorschüs-sen nicht entstehen, weil der Vermieter bei Ansatz der geschuldeten und nicht der tatsächlich gezahlten Vorschüsse allen-falls weniger vom Mieter fordert, als ihm zusteht, in keinem Fall jedoch mehr (LG Berlin GE 1991, 625). Darüber hinaus dient die Abrechnung nach Soll-Vor-schüssen auch der gedanklichen und rechnerischen Nachvollziehbarkeit der Abrechnung für den Mieter.

Probleme bei der Ermittlung der tatsächlichen Vorauszahlungen ergeben sich, wenn der Mieter unregelmäßige Teilbeträge auf die Mietzinsschuld ohne aus-drückliche Zweckbestimmung zahlt. Dann ist jeweils zunächst zu prü-fen, ob sich aus den Umständen eine Zweckbestimmung ergibt. Ist dies nicht der Fall, bestehen bereits unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Ver-rechnung gem. § 366 Abs. 2 BGB auf die jeweils zuletzt fällig gewordene bzw. die laufen-de Miete zu erfolgen hat (so z. B. OLG Celle WuM 1990, 103; LG Berlin GE 1992, 1045), am Ende eines Monats geleistete Zahlungen je-doch auf den Fol-gemonat (LG Berlin GE 1992, 1045) oder Teilzahlun-gen jeweils auf die älte-sten Rückstände zu verrechnen sind (so OLG Düssel-dorf GE 2000, 600). Rei-chen die Zahlungen zur Deckung der vollen Miete nicht aus, stellt sich die Fra-ge, ob die Zahlungen zunächst auf die Nettomiete zu ver-rechnen sind (so AG Görlitz NZM 2001, 336) oder zunächst auf die Betriebsko-stenvorschüsse als der für den Vermieter unsichersten Schuld (so z. B. LG Ber-lin GE 1996, 929; GE 2000, 205; GE 2001, 929). Sind Voraus-zahlungen auf verschiedene Be-triebskostenarten, insbesondere kalte und warme Betriebskosten gesondert zu zahlen, stellt sich wiederum die Frage, auf welche Art der Betriebskosten die Verrechnung erfolgen soll. Noch komplizier-ter wird es, wenn der Mieter die Miete mindert, ohne deutlich zu erkennen zu geben, ob er die Netto- oder Brut-tomiete mindern will. Dann kommt es im Rechtsstreit wiederum darauf an, ob das Gericht meint, daß die Minderung nach der Bruttokaltmiete (so z. B. KG GE 2002, 930; LG Ber-lin GE 1998, 681), sogar nach der Bruttowarmmiete (so Schmidt-Futte-rer/Eisenschmidt, Mietrecht, 7. Aufl., § 537 Rn. 259 m. w. N.) oder nur der Nettokaltmiete zu berechnen ist (so LG Berlin GE 2002, 396). Die für die Geschäftsraummiete zuständige 29. Kammer des LG Berlin vertritt of-fensichtlich sogar die Auffassung, daß eine nicht zweckbestimmte Akontozah-lung in Gänze auf die bis dahin fällig gewordenen Betriebskostenvorschüsse zu verrechnen sei und nur darüber hinausgehende Beträge auf verbleibende Net-tokaltmietzinsbeträge entsprechend der Reihenfolge ihrer Fälligkeit.

Angesichts der Vielfalt der gegensätzlichen Rechtsprechung kann die Ermitt-lung der tatsächlich gezahlten Betriebskostenvorschüsse für den Vermieter zum reinen Glücksspiel werden, da er praktisch nie weiß, wie der für ihn zu-ständige Richter entscheiden wird. Selbst wenn ihm insoweit einmal ein Glücks-treffer gelingt, stellt sich das weitere Problem, die Ermittlung der tat-sächlichen Vorauszahlungen auch hinreichend transparent zu machen. Um bei derart schwierigen Fallgestaltungen die Abrechnung gedanklich und rechne-risch nachvollziehbar zu machen, wäre es dann nämlich wohl zusätzlich erfor-derlich, in der Abrechnung im einzelnen darzulegen, welche Zahlungen jeweils worauf verrechnet wurden. Derartiges dürfte aber nun in der Tat einerseits die Grenzen des Zu-mutbaren für den Vermieter überschreiten, anderseits die Ab-rechnung im Einzelfall zu einem derart aufwendigen Rechenwerk machen, daß wiederum zu befürchten steht, daß den Vermieter der Vorwurf trifft, die Abrech-nung sei für den mit durchschnittlichem Verständnisvermögen ausgestatteten, juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieter nicht mehr nachvoll-ziehbar.

Demgegenüber hat die Abrechnung nach Soll-Vorschüssen für beide Parteien den Vorteil der Übersichtlichkeit und Klarheit. Der Mieter kann sofort anhand des Mietvertrages oder der letzten vorgenommenen Vorschußänderung erkennen, ob der Vermieter die Vorschüsse in der richtigen Höhe angesetzt hat und muß nicht befürchten, etwa wegen einer anderweitig vorgenommenen Verrechnung von Teilzahlungen mit einer zu hohen Nach-forderung konfrontiert zu werden.

Die weitere Konsequenz der Zulässigkeit der Abrechnung nach Soll-Vorschüs-sen ist natürlich, daß daneben dem Vermieter nicht verwehrt werden kann, Vor-schußzahlungen auch für abgelaufene bzw. abrechnungsreife Abrechnungspe-rioden geltend zu machen, sofern die Abrechnung in den Rechts-streit einge-führt wird (so z. B. LG Berlin GE 1991, 625; GE 2000, 1623; Langen-berg, Betriebskostenrecht der Wohn- und Gewerberaummiete, 3. Aufl., Rn. K 14; siehe auch Schach GE 2001, 471, 475, der weitergehend die Auffassung vertritt, daß selbst bei fehlender Abrechnung Vorschüsse als Bestandteil der Gesamtmiete auch nach Eintritt der Abrechnungsreife geltend gemacht werden können).

Im Ergebnis stellt sich nach alldem die Auffassung, eine Abrechnung der Be-triebskosten nach Soll-Vorschüssen sei unzulässig, als von der Rechtspre-chung des BGH keineswegs geforderte Förmelei dar, die dem Vermieter im Einzelfall die Abrechnung unzumutbar erschwert und ihn der ständigen Gefahr aussetzt, unterschiedlichen und nicht voraussehbaren Auffas-sungen einzelner Gerichte ausgeliefert zu sein, ohne daß dem irgendwelche schützenswerte Be-lange des Mieters gegenüberstehen.

Eine weitere Frage ist, ob ggf. eine Korrektur der Abrechnung im Rechtsstreit auf Ist-Vorauszahlungen möglich ist oder ob der Vermieter daran durch den regelmäßig erfolgten Ablauf der Ausschlußfrist der §§ 556 Abs. 3 BGB bzw. 20 Abs. 3 S. 4 NMV gehindert ist. Die ZK 64 des LG Berlin ist offensichtlich der Meinung, daß eine Korrektur nicht möglich sei, da der Vermieter die unrichtige Einschätzung der Rechtslage zu vertreten habe (Urteil vom 26. April 2002, GE 2002, 931, 932). Abgesehen davon, daß diese Begründung schon deshalb zweifelhaft ist, weil sich die ZK 64 mit ihrer Auffassung offensichtlich in der Minderheit befindet, ist dies auch nach Sinn und Zweck der Ausschlußfrist nicht gerechtfertigt, weil eine bloße Korrektur der Vorauszahlungen auf den tatsächli-chen Betrag den materiellen Inhalt der Betriebskostenabrechnung nicht berührt und insofern die Gefahr der Erstellung einer „Alibi-Berechnung“ zwecks Unterlaufen der Ausschlußfrist nicht besteht (vgl. LG Berlin [ZK 63] GE 2000, 1687, 1688).
Solange die Rechtsprechung nicht einheitlich die Abrechnung nach Soll-Vor-schüssen für zulässig hält, kann jedem Vermieter jedenfalls nur geraten werden, nach Möglichkeit trotz aller Probleme die Abrechnung jeweils nach Ist-Vorschüssen vorzunehmen.
Bei Neuabschluß von Mietverträgen könnte dem Problem der Abrechnung von Soll-Vorschüssen dadurch begegnet werden, daß vertraglich ausdrücklich die Abrechnung auf der Grundlage der geschuldeten und nicht der tatsächlich gezahlten Vorschüsse vereinbart wird. Da der Mieter - eine im übrigen ordnungsgemäße Abrechnung vorausgesetzt - die nach Abzug der Soll-Vorschüsse verbleibende Nachforderung als Mindestbetrag in jedem Falle schuldet, kann in einer derartigen Formularklausel eine unangemessene Benachteiligung des Mieters i. S. v. § 307 BGB nicht gesehen werden.
Autor: RA Frank Jablonski