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Wer schützt die Verbraucher vor den Berliner Wasserbetrieben?
28.08.2002 (GE 16/02, Seite 1020) Die Berliner Wasser- und Abwasserpreise konnten sich jahrzehntelang im deutschen Durchschnitt durchaus sehen lassen - genauso wie die technischen Leistungen der BWB selbst. Inzwischen haben sie sich - zusammen mit anderen Nebenkosten - zu einer „zweiten Miete“ entwickelt.
1. Das Problem
Lediglich in den letzten zwei Jahren wurden die Berliner Wasser- und Abwasserpreise nicht erhöht. Dies unterblieb aber nur aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Übergangsvorschrift im Gesetz zur Teilprivatisierung der BWB1) und nicht etwa deshalb, weil die BWB der Meinung wären, es sei nun genug. Es steht im Gegenteil bereits jetzt fest, daß mit Auslaufen der Übergangsvorschrift sofort kräftige weitere Erhöhungen der Wasser- und Abwasserentgelte anstehen2).
Die Problematik der BWB-Entgelte liegt aber nicht nur in ihrer absoluten Höhe und deren wirtschaftlichen und sozialen Folgen für Grundstückseigentümer und Mieter. In die Tarife gehen vielmehr darüber hinaus die verschiedensten tatsächlichen und kalkulatorischen Kosten ein, die dort nach den gesetzlichen Vorschriften nicht hineingehören. Der Verbraucher wird nicht nur belastet, sondern auch geschädigt. Hiergegen vorzugehen, ist Aufgabe der Interessenverbände der Verbraucher und ihrer juristischen Berater.
Die „Verbraucher“ der BWB-Leistungen haben sich vor diesem Hintergrund schon vor zwei Jahren in einem „Bündnis zur Betriebskostensenkung“ zusammengeschlossen. Der Dachverband der Berliner Haus- und Grundbesitzervereine, Haus & Grund Berlin, hat versucht, die „Billigkeit“ der BWB-Tarife einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Faßt man die bisherigen Ergebnisse unter der Fragestellung „Wer schützt die Verbraucher vor den BWB?“ zusammen, so kann man als erstes Zwischenergebnis formulieren: Jedenfalls die Berliner Gerichte noch nicht.
2. Der Zivilrechtsweg
Die Rechtsschutzanstrengungen wurden von vornherein zweigleisig angelegt. Zum einen wurden vor den Zivilgerichten Klagen anhängig gemacht, mit denen gem. § 315 BGB die Feststellung erreicht werden sollte, daß die BWB teilweise überhöhte und dementsprechend „unbillige Tarife“ in den Jahren 1994 und 1995 erhoben haben. Das Landgericht gab einer ersten von Haus & Grund betreuten Musterklage vollständig statt3), weil die BWB, denen insoweit die Beweislast oblag, sich als unfähig erwiesen, die Billigkeit ihrer Tarife auch nur darzulegen. In dem von den BWB hiergegen angestrengten Berufungsverfahren besserten die BWB nach, und das Kammergericht sah sich gezwungen, am 19. November 1998 einen Beweisbeschluß dahingehend zu erlassen, ob die BWB mit ihren Wasser- und Entwässerungstarifen für die Jahre 1994 und 1995 gegen die gesetzlichen Vorgaben verstoßen hätten. Bereits dieser Beweisbeschluß zeigt die ganze Irrationalität des „Verbraucherschutzes“ in diesem Bereich. Streitgegenstand des Verfahrens ist ein Entgelt von 8.500 e. Das 1998 beschlossene und am 31. Dezember 2001 vom Sachverständigen schließlich vorgelegte Gutachten hat jedoch bereits zu Vorschußanforderungen für den Sachverständigen von 25.000 e geführt. Hinzu kommen die üblichen Gerichts- und Anwaltsgebühren für zwei Instanzen, die über den Daumen nochmals 3.800 e ausmachen. Echter Individualrechtsschutz ist damit in Wahrheit bereits heute nicht mehr gewährleistet.
Der Gutachter des Kammergerichts hat erhebliche Mängel in der Kostenrechnung der BWB aufgedeckt und insgesamt sieben Beanstandungen formuliert, und zwar in den Bereichen
— Kosten für die Niederschlagsentwässerung,
— Kosten für Tiefbaumaßnahmen Dritter,
— unbillige Verschiebungen der Kosten der Geschäftstätigkeit der BWB im Umland zu Lasten der Berliner Ver- und Entsorgung,
— unzulässige Abschreibungen,
— unbillige Sonderabschreibungen,
— Einstellung kalkulatorischer Abschreibungen und Zinsen für Investitionen, die tatsächlich nicht durchgeführt wurden.
Die dagegen von den BWB gerichtete Argumentation ist im Ergebnis schlicht: Nicht jeder Kalkulationsfehler führt zur Unbilligkeit. Abweichungen zu Lasten der Kunden müßten schon eine bestimmte „Größenordnung“ haben, um relevant zu sein. Ob das Kammergericht dem folgt oder nicht, wird sich erst in den nächsten Monaten erweisen und damit zu spät für alle anderen BWB-Kunden, deren Rückforderungsansprüche bis einschließlich 1997 inzwischen verjährt sind.
3. Der Verwaltungsrechtsweg
Haus & Grund hat deshalb versucht, für die Verbraucher einen zweiten Rechtsweg zu beschreiten. Es geht um die ab 1999 im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe gesetzlich geregelte „Tarifgenehmigung“ durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft. Diese wurde nämlich ohne Einschränkungen für die BWB-Tarife in den Jahren 2000 und 2001 erteilt, obwohl die Tarife nach Auffassung von Haus & Grund einen schwerwiegenden Fehler aufweisen: In sie gehen - als Folge der Teilprivatisierung - mit beträchtlichen Beträgen4) „kalkulatorische Eigenkapitalzinsen“ der BWB ein. Das „Eigenkapital“ der BWB ist jedoch im Laufe der letzten 100 Jahre (so lange gibt es in Berlin eine tarifpflichtige Wasserversorgung) bereits mit den jeweiligen Gebühren bzw. Entgelten von den Kunden bezahlt worden, was der Senatsverwaltung für Wirtschaft auch bekannt ist. Gleichwohl hat sie verfügt, daß es den Grundsätzen der „Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit5)“ entspricht, wenn die Berliner Wasser- und Abwasserkunden der BWB nunmehr jährlich 200 Mio. e Zinsen auf das von ihnen selbst zur Verfügung gestellte Kapital zahlen und gleichzeitig natürlich die auf dieses Kapital kalkulatorisch ermittelten Abschreibungen. Hier wird also gleich zweimal mit fremdem Geld „Gewinn“ gemacht.
Haus & Grund hat deshalb gegen die entsprechenden Tarifgenehmigungen selbst (der Dachverband ist Eigentümer eines Bürogebäudes) die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben und die weitere Klage eines Grundstückseigentümers unterstützt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat diese Klagen nunmehr durch Urteile vom 13. Juni 20026), abgewiesen, und zwar als „unzulässig“. Die Regelungen über die Tarifgenehmigung seien vom Gesetzgeber nicht im Interesse der Kunden der BWB, sondern ausschließlich im Interesse der „Allgemeinheit“ erlassen worden. Da „die Allgemeinheit“ bekanntermaßen in Deutschland nicht klagen kann, befand das Verwaltungsgericht diese Feststellung für so banal, daß es nicht einmal die Berufung gegen seine Entscheidung zugelassen hat, wozu es seit dem 1. Januar 2002 nach der Verwaltungsprozeßordnung verpflichtet ist, wenn „die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung“ hat. Haus & Grund hat inzwischen gegen diese „Nicht-Entscheidung“ Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin erhoben.
4. Diskussion zur „class action“
Nach diesen eher ernüchternden Erfahrungen stellt sich natürlich die Frage, ob es im geltenden Recht andere Möglichkeiten gibt, den BWB-Verbrauchern zu helfen, oder ob der Gesetzgeber zugunsten des juristischen Verbraucherschutzes mobilisiert werden muß. Letztere Frage beschäftigt die juristische Fachdiskussion in Deutschland seit einigen Jahren. Ausgangspunkt waren sich häufende Pressemeldungen über mit Millionenbeträgen angestrengte und zum Teil erfolgreiche „class actions“ in den Vereinigten Staaten. Das US-amerikanische Recht sieht in Rule 23 der Federal rules of civil procedure im einzelnen vor, daß ein Repräsentant für eine beliebig große Gruppe von Geschädigten bindende Urteile erstreiten kann, ohne daß die Geschädigten selbst alle Partei des Verfahrens würden. Die Klage wird vom Gericht allerdings nur unter besonderen Voraussetzungen als „class action“ zugelassen. Ist die Klage jedoch einmal zugelassen, dann können sich die Geschädigten der Rechtskraftwirkung des Urteils nur entziehen, wenn sie ihrerseits von einem ebenfalls in der Federal rules of civil procedure geregelten Recht zum Ausscheiden aus der „class“ Gebrauch machen („opt out“)7).
In Deutschland wurde die Diskussion um Sammelklagen von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) aufgegriffen und zu der politischen Forderung zusammengefaßt, in Deutschland Gruppenklagen zuzulassen. Grundlage für diese Forderung war ein von der AgV in Auftrag gegebenes Gutachten der Konstanzer Universitätsprofessorin Dr. Astrid Stadler über die „Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozeß8).“
5. Gesetzliche Neuregelung
Der Gesetzgeber hat - überraschenderweise von der Öffentlichkeit relativ unbemerkt - die Forderung der AgV teilweise aufgenommen und im Zusammenhang mit der Schuldrechtsreform durch Neufassung des Art. 1 § 3 Nr. 8 des Rechtsberatungsgesetzes9) „Gruppenklagen“ in eingeschränkter Form dadurch ermöglicht, daß das Rechtsberatungsmonopol der Rechtsanwälte, die ihrerseits nicht um Einzelmandate werben dürfen, insoweit dahingehend abgeschwächt wurde, daß
„… die außergerichtliche Besorgung von Rechtsangelegenheiten von Verbrauchern und, wenn dies im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich ist, die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen von Verbrauchern durch Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, im Rahmen ihres Aufgabenbereichs …“
zulässig ist. Diese neue gesetzliche Möglichkeit wurde von Fachleuten schnell als durchaus effektives Verbraucherschutzinstrument erkannt, von der Rechtsanwaltschaft allerdings bisher ignoriert10). Dabei haben inzwischen die Verbraucherzentralen mit dem neuen Rechtsinstrument durchaus erste Erfolge errungen. So meldet die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg auf ihrer Internet-Homepage, sie habe die erste Sammelklage um den Rückzahlungsanspruch von zu Unrecht erhobenen Vermittlungsgebühren und Wegegeldern einer Finanz-Makler-Organisation gewonnen. Bei genauerer Lektüre stellt man allerdings fest, daß dem keine streitige Entscheidung zugrunde liegt, sondern ein vor dem Landgericht Stuttgart am 12. März 2002 errungenes Anerkenntnisurteil. Hoffentlich ist beim dortigen Beklagten noch etwas zu holen!
Zu prüfen ist also, ob diese Neufassung des Rechtsberatungsgesetzes den Berliner Verbrauchern von Wasser und Abwasserdienstleistungen weiterhilft. Ein Problem liegt in der gesetzlichen Einschränkung der möglichen „Sammelkläger“ auf „Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden“. Diese Organisationen sind naturgemäß schwer gegen eine andere öffentliche Einrichtung, nämlich die „Anstalt des öffentlichen Rechts“ BWB zu mobilisieren. Deshalb gibt es ja die Vereinigungsfreiheit und die Möglichkeit von Interessengruppen, sich selbst und ohne staatliche Zuschüsse zu organisieren. Solchen Interessengruppen hat der Gesetzgeber bisher jedoch die „Seriosität“ zur Organisation von Sammelklagen nicht zugesprochen.
6. Weiteres Vorgehen
Der erste praktische juristische Rat an das Bündnis zur Betriebskostensenkung muß dementsprechend vor dem Hintergrund der Urteile des Verwaltungsgerichts zur Unzulässigkeit von Klagen gegen die Tarifgenehmigung lauten: daß nunmehr die Verbraucherzentrale oder ein anderer Verbraucherverband, der mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, veranlaßt werden muß zu veranlassen, von den neuen gesetzlichen Möglichkeiten des Rechtsberatungsgesetzes Gebrauch zu machen und eine große Zahl von Rückforderungsansprüchen gegen die BWB für die Jahre ab 2000 „einzusammeln“, um sie in einem Musterprozeß geltend zu machen. Die wichtigste Frage, von welchem „Eigenkapital“ die BWB bei der Kalkulation von Zinsen und damit bei der Festlegung ihrer Tarife ausgehen darf, muß von den Verbrauchern weiter thematisiert und einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden, wenn sie in den nächsten Jahren nicht weiter dreistellige Millionenbeträge an die BWB zusätzlich zahlen wollen.
Gleichzeitig erscheint es notwendig, erneut den Gesetzgeber zu bemühen, um das deutsche Rechtssystem auf den Stand eines sinnvollen Verbraucherschutzes zu bringen, den nicht nur die USA, sondern eine große Zahl westlicher Industriestaaten inzwischen erreicht haben11). Deutschland ist inzwischen leider nicht nur hinsichtlich seines Bildungssystems, sondern auch hinsichtlich bestimmter Verfahrensweisen des Rechtsschutzes unter das Niveau anderer moderner Industriestaaten abgesunken. Dies darf so nicht bleiben. Sammelklagen müssen auch anderen „seriösen“ Verbraucherschutzverbänden und insbesondere den Mieter- und Grundstückseigentümerverbänden möglich sein.
Fußnoten:
1) § 3 Abs. 5 Satz 2 TPrG.
2) Nach unserer Berechnung ist unter Berücksichtigung einer möglichen 9 %igen kalkulatorischen Verzinsung bei der Wasserversorgung eine Anhebung von heute 1,89 e/m3 brutto auf 2,12 e/m3 brutto, bei der Schmutzwasserentsorgung von 1,97 e/m3 brutto auf 2,20 e/m3 brutto und bei der Regenwasserentsorgung von 1,24 e/m3/a auf 1,40 e/m3/a nicht ausgeschlossen.
3) Urteil vom 27. November 1997, Az. 13.O.316/97, GE 1998 [2] 127
4) Nämlich knapp 200 Mio. e.
5) § 3 Abs. 1 TPrG.
6) GE 2002 [14] 937
7) Vgl. zu den Einzelheiten: Rössner/Peris, Fluch oder Chance?, Sammelklagen in Deutschland, in: Anwaltsreport 03/2002, S. 8 ff.
8) Vgl. ZRP 2001, S. 95 f.
9) BGBl. I 2001, S. 3180.
10) Bohl, Nicht Anwalts Liebling, Verbraucherschützer dürfen klagen - und die Anwälte läßt es kalt, in: Anwaltsreport 03/2002, S. 15.
11) Rössner/Peris erwähnen „beispielsweise“ Kanada, die Niederlande, Spanien und Griechenland, a. a. O., S. 9.
Lediglich in den letzten zwei Jahren wurden die Berliner Wasser- und Abwasserpreise nicht erhöht. Dies unterblieb aber nur aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Übergangsvorschrift im Gesetz zur Teilprivatisierung der BWB1) und nicht etwa deshalb, weil die BWB der Meinung wären, es sei nun genug. Es steht im Gegenteil bereits jetzt fest, daß mit Auslaufen der Übergangsvorschrift sofort kräftige weitere Erhöhungen der Wasser- und Abwasserentgelte anstehen2).
Die Problematik der BWB-Entgelte liegt aber nicht nur in ihrer absoluten Höhe und deren wirtschaftlichen und sozialen Folgen für Grundstückseigentümer und Mieter. In die Tarife gehen vielmehr darüber hinaus die verschiedensten tatsächlichen und kalkulatorischen Kosten ein, die dort nach den gesetzlichen Vorschriften nicht hineingehören. Der Verbraucher wird nicht nur belastet, sondern auch geschädigt. Hiergegen vorzugehen, ist Aufgabe der Interessenverbände der Verbraucher und ihrer juristischen Berater.
Die „Verbraucher“ der BWB-Leistungen haben sich vor diesem Hintergrund schon vor zwei Jahren in einem „Bündnis zur Betriebskostensenkung“ zusammengeschlossen. Der Dachverband der Berliner Haus- und Grundbesitzervereine, Haus & Grund Berlin, hat versucht, die „Billigkeit“ der BWB-Tarife einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Faßt man die bisherigen Ergebnisse unter der Fragestellung „Wer schützt die Verbraucher vor den BWB?“ zusammen, so kann man als erstes Zwischenergebnis formulieren: Jedenfalls die Berliner Gerichte noch nicht.
2. Der Zivilrechtsweg
Die Rechtsschutzanstrengungen wurden von vornherein zweigleisig angelegt. Zum einen wurden vor den Zivilgerichten Klagen anhängig gemacht, mit denen gem. § 315 BGB die Feststellung erreicht werden sollte, daß die BWB teilweise überhöhte und dementsprechend „unbillige Tarife“ in den Jahren 1994 und 1995 erhoben haben. Das Landgericht gab einer ersten von Haus & Grund betreuten Musterklage vollständig statt3), weil die BWB, denen insoweit die Beweislast oblag, sich als unfähig erwiesen, die Billigkeit ihrer Tarife auch nur darzulegen. In dem von den BWB hiergegen angestrengten Berufungsverfahren besserten die BWB nach, und das Kammergericht sah sich gezwungen, am 19. November 1998 einen Beweisbeschluß dahingehend zu erlassen, ob die BWB mit ihren Wasser- und Entwässerungstarifen für die Jahre 1994 und 1995 gegen die gesetzlichen Vorgaben verstoßen hätten. Bereits dieser Beweisbeschluß zeigt die ganze Irrationalität des „Verbraucherschutzes“ in diesem Bereich. Streitgegenstand des Verfahrens ist ein Entgelt von 8.500 e. Das 1998 beschlossene und am 31. Dezember 2001 vom Sachverständigen schließlich vorgelegte Gutachten hat jedoch bereits zu Vorschußanforderungen für den Sachverständigen von 25.000 e geführt. Hinzu kommen die üblichen Gerichts- und Anwaltsgebühren für zwei Instanzen, die über den Daumen nochmals 3.800 e ausmachen. Echter Individualrechtsschutz ist damit in Wahrheit bereits heute nicht mehr gewährleistet.
Der Gutachter des Kammergerichts hat erhebliche Mängel in der Kostenrechnung der BWB aufgedeckt und insgesamt sieben Beanstandungen formuliert, und zwar in den Bereichen
— Kosten für die Niederschlagsentwässerung,
— Kosten für Tiefbaumaßnahmen Dritter,
— unbillige Verschiebungen der Kosten der Geschäftstätigkeit der BWB im Umland zu Lasten der Berliner Ver- und Entsorgung,
— unzulässige Abschreibungen,
— unbillige Sonderabschreibungen,
— Einstellung kalkulatorischer Abschreibungen und Zinsen für Investitionen, die tatsächlich nicht durchgeführt wurden.
Die dagegen von den BWB gerichtete Argumentation ist im Ergebnis schlicht: Nicht jeder Kalkulationsfehler führt zur Unbilligkeit. Abweichungen zu Lasten der Kunden müßten schon eine bestimmte „Größenordnung“ haben, um relevant zu sein. Ob das Kammergericht dem folgt oder nicht, wird sich erst in den nächsten Monaten erweisen und damit zu spät für alle anderen BWB-Kunden, deren Rückforderungsansprüche bis einschließlich 1997 inzwischen verjährt sind.
3. Der Verwaltungsrechtsweg
Haus & Grund hat deshalb versucht, für die Verbraucher einen zweiten Rechtsweg zu beschreiten. Es geht um die ab 1999 im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe gesetzlich geregelte „Tarifgenehmigung“ durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft. Diese wurde nämlich ohne Einschränkungen für die BWB-Tarife in den Jahren 2000 und 2001 erteilt, obwohl die Tarife nach Auffassung von Haus & Grund einen schwerwiegenden Fehler aufweisen: In sie gehen - als Folge der Teilprivatisierung - mit beträchtlichen Beträgen4) „kalkulatorische Eigenkapitalzinsen“ der BWB ein. Das „Eigenkapital“ der BWB ist jedoch im Laufe der letzten 100 Jahre (so lange gibt es in Berlin eine tarifpflichtige Wasserversorgung) bereits mit den jeweiligen Gebühren bzw. Entgelten von den Kunden bezahlt worden, was der Senatsverwaltung für Wirtschaft auch bekannt ist. Gleichwohl hat sie verfügt, daß es den Grundsätzen der „Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit5)“ entspricht, wenn die Berliner Wasser- und Abwasserkunden der BWB nunmehr jährlich 200 Mio. e Zinsen auf das von ihnen selbst zur Verfügung gestellte Kapital zahlen und gleichzeitig natürlich die auf dieses Kapital kalkulatorisch ermittelten Abschreibungen. Hier wird also gleich zweimal mit fremdem Geld „Gewinn“ gemacht.
Haus & Grund hat deshalb gegen die entsprechenden Tarifgenehmigungen selbst (der Dachverband ist Eigentümer eines Bürogebäudes) die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben und die weitere Klage eines Grundstückseigentümers unterstützt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat diese Klagen nunmehr durch Urteile vom 13. Juni 20026), abgewiesen, und zwar als „unzulässig“. Die Regelungen über die Tarifgenehmigung seien vom Gesetzgeber nicht im Interesse der Kunden der BWB, sondern ausschließlich im Interesse der „Allgemeinheit“ erlassen worden. Da „die Allgemeinheit“ bekanntermaßen in Deutschland nicht klagen kann, befand das Verwaltungsgericht diese Feststellung für so banal, daß es nicht einmal die Berufung gegen seine Entscheidung zugelassen hat, wozu es seit dem 1. Januar 2002 nach der Verwaltungsprozeßordnung verpflichtet ist, wenn „die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung“ hat. Haus & Grund hat inzwischen gegen diese „Nicht-Entscheidung“ Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin erhoben.
4. Diskussion zur „class action“
Nach diesen eher ernüchternden Erfahrungen stellt sich natürlich die Frage, ob es im geltenden Recht andere Möglichkeiten gibt, den BWB-Verbrauchern zu helfen, oder ob der Gesetzgeber zugunsten des juristischen Verbraucherschutzes mobilisiert werden muß. Letztere Frage beschäftigt die juristische Fachdiskussion in Deutschland seit einigen Jahren. Ausgangspunkt waren sich häufende Pressemeldungen über mit Millionenbeträgen angestrengte und zum Teil erfolgreiche „class actions“ in den Vereinigten Staaten. Das US-amerikanische Recht sieht in Rule 23 der Federal rules of civil procedure im einzelnen vor, daß ein Repräsentant für eine beliebig große Gruppe von Geschädigten bindende Urteile erstreiten kann, ohne daß die Geschädigten selbst alle Partei des Verfahrens würden. Die Klage wird vom Gericht allerdings nur unter besonderen Voraussetzungen als „class action“ zugelassen. Ist die Klage jedoch einmal zugelassen, dann können sich die Geschädigten der Rechtskraftwirkung des Urteils nur entziehen, wenn sie ihrerseits von einem ebenfalls in der Federal rules of civil procedure geregelten Recht zum Ausscheiden aus der „class“ Gebrauch machen („opt out“)7).
In Deutschland wurde die Diskussion um Sammelklagen von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) aufgegriffen und zu der politischen Forderung zusammengefaßt, in Deutschland Gruppenklagen zuzulassen. Grundlage für diese Forderung war ein von der AgV in Auftrag gegebenes Gutachten der Konstanzer Universitätsprofessorin Dr. Astrid Stadler über die „Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozeß8).“
5. Gesetzliche Neuregelung
Der Gesetzgeber hat - überraschenderweise von der Öffentlichkeit relativ unbemerkt - die Forderung der AgV teilweise aufgenommen und im Zusammenhang mit der Schuldrechtsreform durch Neufassung des Art. 1 § 3 Nr. 8 des Rechtsberatungsgesetzes9) „Gruppenklagen“ in eingeschränkter Form dadurch ermöglicht, daß das Rechtsberatungsmonopol der Rechtsanwälte, die ihrerseits nicht um Einzelmandate werben dürfen, insoweit dahingehend abgeschwächt wurde, daß
„… die außergerichtliche Besorgung von Rechtsangelegenheiten von Verbrauchern und, wenn dies im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich ist, die gerichtliche Einziehung fremder und zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen von Verbrauchern durch Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, im Rahmen ihres Aufgabenbereichs …“
zulässig ist. Diese neue gesetzliche Möglichkeit wurde von Fachleuten schnell als durchaus effektives Verbraucherschutzinstrument erkannt, von der Rechtsanwaltschaft allerdings bisher ignoriert10). Dabei haben inzwischen die Verbraucherzentralen mit dem neuen Rechtsinstrument durchaus erste Erfolge errungen. So meldet die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg auf ihrer Internet-Homepage, sie habe die erste Sammelklage um den Rückzahlungsanspruch von zu Unrecht erhobenen Vermittlungsgebühren und Wegegeldern einer Finanz-Makler-Organisation gewonnen. Bei genauerer Lektüre stellt man allerdings fest, daß dem keine streitige Entscheidung zugrunde liegt, sondern ein vor dem Landgericht Stuttgart am 12. März 2002 errungenes Anerkenntnisurteil. Hoffentlich ist beim dortigen Beklagten noch etwas zu holen!
Zu prüfen ist also, ob diese Neufassung des Rechtsberatungsgesetzes den Berliner Verbrauchern von Wasser und Abwasserdienstleistungen weiterhilft. Ein Problem liegt in der gesetzlichen Einschränkung der möglichen „Sammelkläger“ auf „Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden“. Diese Organisationen sind naturgemäß schwer gegen eine andere öffentliche Einrichtung, nämlich die „Anstalt des öffentlichen Rechts“ BWB zu mobilisieren. Deshalb gibt es ja die Vereinigungsfreiheit und die Möglichkeit von Interessengruppen, sich selbst und ohne staatliche Zuschüsse zu organisieren. Solchen Interessengruppen hat der Gesetzgeber bisher jedoch die „Seriosität“ zur Organisation von Sammelklagen nicht zugesprochen.
6. Weiteres Vorgehen
Der erste praktische juristische Rat an das Bündnis zur Betriebskostensenkung muß dementsprechend vor dem Hintergrund der Urteile des Verwaltungsgerichts zur Unzulässigkeit von Klagen gegen die Tarifgenehmigung lauten: daß nunmehr die Verbraucherzentrale oder ein anderer Verbraucherverband, der mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, veranlaßt werden muß zu veranlassen, von den neuen gesetzlichen Möglichkeiten des Rechtsberatungsgesetzes Gebrauch zu machen und eine große Zahl von Rückforderungsansprüchen gegen die BWB für die Jahre ab 2000 „einzusammeln“, um sie in einem Musterprozeß geltend zu machen. Die wichtigste Frage, von welchem „Eigenkapital“ die BWB bei der Kalkulation von Zinsen und damit bei der Festlegung ihrer Tarife ausgehen darf, muß von den Verbrauchern weiter thematisiert und einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden, wenn sie in den nächsten Jahren nicht weiter dreistellige Millionenbeträge an die BWB zusätzlich zahlen wollen.
Gleichzeitig erscheint es notwendig, erneut den Gesetzgeber zu bemühen, um das deutsche Rechtssystem auf den Stand eines sinnvollen Verbraucherschutzes zu bringen, den nicht nur die USA, sondern eine große Zahl westlicher Industriestaaten inzwischen erreicht haben11). Deutschland ist inzwischen leider nicht nur hinsichtlich seines Bildungssystems, sondern auch hinsichtlich bestimmter Verfahrensweisen des Rechtsschutzes unter das Niveau anderer moderner Industriestaaten abgesunken. Dies darf so nicht bleiben. Sammelklagen müssen auch anderen „seriösen“ Verbraucherschutzverbänden und insbesondere den Mieter- und Grundstückseigentümerverbänden möglich sein.
Fußnoten:
1) § 3 Abs. 5 Satz 2 TPrG.
2) Nach unserer Berechnung ist unter Berücksichtigung einer möglichen 9 %igen kalkulatorischen Verzinsung bei der Wasserversorgung eine Anhebung von heute 1,89 e/m3 brutto auf 2,12 e/m3 brutto, bei der Schmutzwasserentsorgung von 1,97 e/m3 brutto auf 2,20 e/m3 brutto und bei der Regenwasserentsorgung von 1,24 e/m3/a auf 1,40 e/m3/a nicht ausgeschlossen.
3) Urteil vom 27. November 1997, Az. 13.O.316/97, GE 1998 [2] 127
4) Nämlich knapp 200 Mio. e.
5) § 3 Abs. 1 TPrG.
6) GE 2002 [14] 937
7) Vgl. zu den Einzelheiten: Rössner/Peris, Fluch oder Chance?, Sammelklagen in Deutschland, in: Anwaltsreport 03/2002, S. 8 ff.
8) Vgl. ZRP 2001, S. 95 f.
9) BGBl. I 2001, S. 3180.
10) Bohl, Nicht Anwalts Liebling, Verbraucherschützer dürfen klagen - und die Anwälte läßt es kalt, in: Anwaltsreport 03/2002, S. 15.
11) Rössner/Peris erwähnen „beispielsweise“ Kanada, die Niederlande, Spanien und Griechenland, a. a. O., S. 9.
Autor: Dr. Klaus-Martin Groth