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Berlins Bau- und Wohnungswirtschaft in dramatischer Krise
Insolvenzwelle droht
06.08.2002 (GE 15/02, Seite 956) Die Lage der Berliner Bau- und Wohnungswirtschaft, in Mauerzeiten Hätschelkind jeglicher politischer Couleur, ist zum Sorgenkind Nr. 1 geworden. Wir haben schon vor über eineinhalb Jahren eine Pleitewelle vorausgesagt, die auch die scheinbar sichere Wohnungswirtschaft mit sich reißt. Jetzt sieht auch die IHK Berlin den bevorstehenden Orkan und schlägt Alarm.
Die Lage der Berliner Bau- und Wohnungswirtschaft gibt zu äußerster Sorge Anlaß. Im Auftrag ihrer Vollversammlung hat sich die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin im vergangenen halben Jahr in zwei Arbeitskreisen eingehend mit der Lage der Bau- und Wohnungswirtschaft befaßt. Am 2. Juli hat die IHK-Vollversammlung das folgende nur unwesentlich gekürzte Papier beschlossen.
1. Zur Bauwirtschaft
Die Lage der Berliner Bauwirtschaft ist dramatisch und verschärft sich weiter. Zunehmende Schwarzarbeit, hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Betriebsgrößen prägen das Bild. Das Bauvolumen geht weiter zurück, die öffentlichen Investitionen haben einen Tiefpunkt erreicht. Gegenüber 1996 sind die öffentlichen Investitionen bis heute bereits um rund 1,25 Mrd. E zurückgefahren worden. Im neuen Haushalt sind es nur noch rund 2 Mrd. E für 2002, und bis 2006 sollen sie auf 1,8 Mrd. E gekürzt werden. Auch die privaten Investitionen sind drastisch gesunken: Die privaten Wohnungsbauunternehmen haben 1997 ein Investitionsvolumen von 16 Mrd. DM abgearbeitet, 2001 waren es noch 2 Mrd. DM - mit sinkender Tendenz.
Kernprobleme der Berliner Bauwirtschaft sind:
n Die Baubranche unterliegt einem tiefgreifenden Strukturwandel. Dessen wesentliche Ursachen sind der zunehmende europäische Wettbewerbsdruck, ein verändertes Investitionsklima, der Rückgang der Aufträge im Bereich der öffentlichen Infrastruktur sowie der Neubautätigkeit im Wohnungsbau und die gravierende Schwarzarbeit. Diese Entwicklung führt zu rückläufigen Bauvolumina, sinkenden Beschäftigungszahlen, steigender Anzahl von Insolvenzen und rapider Abnahme der Betriebsgrößen. Was tut ein Unternehmer in dieser Situation? Er vermindert Kosten, d. h. er entläßt Mitarbeiter, und er bildet nicht mehr aus. Die Dramatik des Ausmaßes dieser Phänomene zeigt sich insbesondere an zwei Punkten:
n Sinkende Beschäftigungszahlen: Inzwischen übersteigt die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter die der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe. Diese erstmals im Jahr 2001 eingetretene Situation hat sich im laufenden Jahr weiter verschärft. Die jüngsten Zahlen vom April 2002 ergeben, daß die Bauarbeitslosigkeit nunmehr bei 54 % liegt. Seit Mitte der 90er sind rund die Hälfte der Belegschaften entlassen worden.
n Rapide Abnahme der Betriebsgrößen: Den sinkenden Beschäftigungszahlen stand bis zum Jahr 2000 eine Zunahme der Anzahl der Berliner Baubetriebe gegenüber. Dieser auf den ersten Blick paradox erscheinende Befund erklärt sich daraus, daß die zahlreichen Insolvenzen (Tendenz weiter steigend) sowie Entlassungen von Beschäftigten des Baugewerbes in Berlin regelmäßig zur Bildung kleiner Unternehmen (meist mit drei bis zehn Beschäftigten) geführt haben. Diese Entwicklung hat sich im Jahr 2001 geändert. Seither führt die dramatische Situation der Bauwirtschaft nicht mehr zu einem Anstieg, sondern erstmals zu einem Rückgang auch der Betriebszahlen.
Hauptproblem der Branche aber ist die zunehmende Schwarzarbeit. Ein aktuelles Gutachten zur Schattenwirtschaft in den Bundesländern Berlin und Brandenburg kommt für den Baubereich zu dem Ergebnis, daß rund 30 % des Bauvolumens ortsansässiger Betriebe des Baugewerbes in die Schattenwirtschaft abgewandert sind und die Anzahl der Beschäftigten der Schattenwirtschaft fast die regulären Beschäftigtenzahlen erreicht. Ein Phänomen dieser Schattenwirtschaft, das wir bis 1989 nur in der DDR kannten, die „sozialistischen Feierabend-Brigaden“, bedroht heute flächendeckend die gesamte Branche. Die Schwarzarbeit ist daher Hauptursache für die hohen Arbeitslosenzahlen im Berliner Baugewerbe. Zugleich trägt die Schwarzarbeit wesentlich zu dem ruinösen Preiswettbewerb in der Berliner Baubranche bei, indem Bauvorhaben zu Prei-sen unterhalb der Deckungsrate angeboten werden. Damit führt die Schwarzarbeit zu einem Teufelskreis: Sie ist Folge des Strukturwandels und verschärft ihn insbesondere für die mittelständischen Unternehmen. Dies hat nicht nur katastrophale Auswirkungen auf die regionale Bauwirtschaft, sondern beeinträchtigt die gesamte Volkswirtschaft.
Große Neubauvolumina sind in der nächsten Zeit nicht zu erwarten. Um so wichtiger sind Instandhaltungs-, Sanierungs- und Modernisierungsinvestitionen. Dies betrifft die öffentliche Infrastruktur genauso wie den Wohnungs- und Gewerbebaubestand. Bauen im Bestand dürfte der wesentliche Weg sein, der Ansätze zur Lösung der Krise bietet.
2. Wohnungswirtschaft
Ebenso kritisch ist die Lage der Berliner Wohnungswirtschaft. Sie ist durch die ungelöste Problematik der Anschlußförderung im sozialen Wohnungsbau, durch eine Überregulierung in der Mietenpolitik und der damit einhergehenden Verzerrung des Mietenniveaus gekennzeichnet. Kernpunkte sind:
n Hoher Leerstand: Hier schwanken die zahlenmäßigen Angaben, je nachdem, ob Senator Strieder oder Senator Sarrazin sie verkünden - nach dessen Angaben sind es 140.000. Jedenfalls gibt es keinen Grund mehr, die Instrumente der Wohnungszwangswirtschaft aus den Zeiten der Wohnungsnot anzuwenden.
n Kein richtiger Wohnungsmarkt: Der Mietmarkt ist gekennzeichnet von Mieten, die im Vergleich zu anderen Ballungsgebieten ausgesprochen niedrig sind, von Wettbewerbsverzerrungen, Investitionen, die sich nicht am tatsächlichen Bedarf orientieren, und bürokratischen Regelungen. Für die Erstellung des Mietspiegels müssen Neuvertragsmieten ein stärkeres Gewicht erhalten, damit der Mietenmarkt tatsächlich gespiegelt wird. Solange die Stuck- und Parkettwohnungen in Kudamm-Nähe teilweise billiger sind als Sozialwohnungen in Marzahn, kann von einem Markt nicht gesprochen werden. Dies alles, aber auch Tabuthemen - wie Wohnungsabriß - behindern eine Öffnung des Marktes. Außerdem schafft das künstlich niedrig gehaltene Mietniveau keine Anreize zur eigentlich wünschenswerten Eigentumsbildung an selbstgenutztem Wohnraum.
n Das Hauptproblem ist jedoch die Finanzierung der Wohnungsförderung: Ein zentraler Konstruktionsfehler liegt im Fördersystem selbst. Denn das auf Aufwendungshilfen basierende Fördersystem gleicht die Differenz zwischen der Kostenmiete und der vom Mieter zu zahlenden „sozialverträglichen“ Miete aus. Die Annahme, daß sich diese beiden Mieten im Laufe der Förderzeit - bei steigenden Einkommen und angesichts der Inflation - angleichen würden, ist nicht eingetreten. Aktuell läuft die sog. Grundförderung für den sozialen Wohnungsbau der Jahrgänge 1987 bis 1997 schrittweise nach jeweils 15 Jahren aus. Aufgrund einer Kostenmiete von ca. 15 E und einer tatsächlichen Miete von ca. 5 E/m2 ergibt sich eine Einnahmenlücke, die sich weder nach Ablauf der ersten 15jährigen Förderphase noch nach einer zweiten ebensolangen Förderung schließen lassen wird. Beispielhaft für die Förderjahrgänge 1987 bis 1997 haben wir die zukünftigen Aufwendungen und das Volumen der dazugehörigen Landesbürgschaften dargestellt:
1987 bis 1989 0,530 Mrd. Euro
1990 bis 1997 2,778 Mrd. Euro
1987 bis 1997 3,308 Mrd. Euro
Landesbürgschaften ca. 6,5 Mrd. Euro
Die Lage ist so dramatisch, daß der Bankenverband eine große Insolvenzwelle befürchtet, die sowohl den genossenschaftlichen, den kommunalen und den privaten Sektor der Wohnungswirtschaft bedroht. Eine solche Insolvenzwelle führt automatisch zu gravierenden Folgen für den Landeshaushalt, die wegen der gewährten Landesbürgschaften die Dimension des Komplexes Bankgesellschaft erreichen können.
Es muß eine Lösung her. Wir müssen einen Schlußstrich ziehen, der das Kapitel Wohnungsbauförderung für die öffentliche Hand und für die Unternehmen verträglich beenden läßt. Sicherlich müssen noch eine Reihe von Feineinstellungen vorgenommen werden, aber zur Anschlußförderung bietet sich keine echte Alternative! Mit einer Aufkündigung der Förderung würde die Insolvenz zahlreicher Unternehmen in Kauf genommen, und das Land müßte als Bürge einspringen.
Flankierende Schritte sind:
Eine Umstellung der Fördersystematik bei laufenden Objekten auf Aufwendungszuschüsse erscheint sinnvoller als eine erneute Finanzierung durch Aufwendungsdarlehen. Dies würde die Liquidität der Unternehmen bewahren, um zukünftig notwendige Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen finanzieren zu können.
Bei den mit Aufwendungsdarlehen geförderten Wohnungen kann eine vorzeitige freiwillige Rückzahlung von Darlehen zum Barwert ein Ausweg und entscheidender Beitrag zur Haushaltssanierung sein. Die Dauer der Mietpreisbindung muß im Gegenzug gesenkt werden.
Kurz zusammengefaßt die Hauptaktionsfelder:
Aktionsfelder Bauwirtschaft
Der investive Anteil der Ausgaben des Landes muß auf ein verfassungskonformes, vor allem aber bedarfsgerechtes Niveau angehoben werden: Das Anlagevermögen der Stadt darf nicht vergammeln. Die unterlassenen Instandhaltungen und Sanierungen von heute verursachen wesentlich höhere Aufwendungen morgen.
Wir brauchen Liquiditätsspielräume für die Wohnungswirtschaft, um notwendige Modernisierungs- und Instandsetzungsinvestitionen im Wohnungsbestand anzuschieben. Dabei ist zu überlegen, welchen Beitrag das Land Berlin - z. B. durch Verzicht auf ohnehin nicht mehr eintreibbare Forderungen aus der zurückliegenden Wohnungsbauförderung - leisten kann.
Wir fordern Deregulierung des Wirtschaftslebens, d. h. die Schaffung eines marktgerechten Ordnungsrahmens für die Bauwirtschaft.
— Überholte Genehmigungserfordernisse, z. B. bei Nutzungsänderungen im Bestand, streichen.
— Baugenehmigungsverfahren durch Präklusionsfristen beschleunigen.
— Das Wohnungsaufsichtsgesetz aufheben.
— Die OVG-Entscheidung zur Abschaffung der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung konsequent und zügig umsetzen.
— Anstelle eines neuen Gesetzes zur Zahlungsmoral lieber mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir erwarten eine effektive Bekämpfung der Schwarzarbeit am Bau:
— Belastung der Bruttolöhne durch Steuern und Abgaben spürbar verringern.
— Vergabevorschriften konsequent anwenden.
Aktionsfelder Wohnungswirtschaft
Zu einer Anschlußförderung für den geförderten Mietwohnungsbau gibt es keine Alternative. Andernfalls kommt es zu einer Pleitewelle in genossenschaftlichen, kommunalen und privaten Unternehmen.
Wohnungspolitik kann nicht primär Sozialpolitik sein. Dafür gibt es angesichts des ausreichenden Angebots auch keinen Grund mehr. Wir brauchen eine Kursänderung hin zu einem echten Wohnungsmarkt in Berlin. Dazu gehört:
— Marktmieten akzeptieren - d. h. z. B., daß die Berliner Mietenspiegelmethodik endlich die realen Marktmieten abbilden muß.
— Schrittweise alle Sanierungsgebiete konsequent auflösen, d. h. natürlich inklusive der Erhaltungssatzungen und Mietobergrenzen.
— Notwendigen Wohnungsabriß - sowohl im Plattenbau als auch im nicht vermietbaren Altbau, z. B. mittels Teilentkernung - zulassen.
Die Eigentumsquote muß sich in Berlin dem Bundesstandard annähern. Die Investition in privates Wohneigentum muß sich lohnen.
— Anreize für Eigentumsbildung setzen, indem das Mietniveau nicht künstlich gesenkt wird.
— Verstärkt Bauland zu realistischen Preisen ausweisen.
1. Zur Bauwirtschaft
Die Lage der Berliner Bauwirtschaft ist dramatisch und verschärft sich weiter. Zunehmende Schwarzarbeit, hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Betriebsgrößen prägen das Bild. Das Bauvolumen geht weiter zurück, die öffentlichen Investitionen haben einen Tiefpunkt erreicht. Gegenüber 1996 sind die öffentlichen Investitionen bis heute bereits um rund 1,25 Mrd. E zurückgefahren worden. Im neuen Haushalt sind es nur noch rund 2 Mrd. E für 2002, und bis 2006 sollen sie auf 1,8 Mrd. E gekürzt werden. Auch die privaten Investitionen sind drastisch gesunken: Die privaten Wohnungsbauunternehmen haben 1997 ein Investitionsvolumen von 16 Mrd. DM abgearbeitet, 2001 waren es noch 2 Mrd. DM - mit sinkender Tendenz.
Kernprobleme der Berliner Bauwirtschaft sind:
n Die Baubranche unterliegt einem tiefgreifenden Strukturwandel. Dessen wesentliche Ursachen sind der zunehmende europäische Wettbewerbsdruck, ein verändertes Investitionsklima, der Rückgang der Aufträge im Bereich der öffentlichen Infrastruktur sowie der Neubautätigkeit im Wohnungsbau und die gravierende Schwarzarbeit. Diese Entwicklung führt zu rückläufigen Bauvolumina, sinkenden Beschäftigungszahlen, steigender Anzahl von Insolvenzen und rapider Abnahme der Betriebsgrößen. Was tut ein Unternehmer in dieser Situation? Er vermindert Kosten, d. h. er entläßt Mitarbeiter, und er bildet nicht mehr aus. Die Dramatik des Ausmaßes dieser Phänomene zeigt sich insbesondere an zwei Punkten:
n Sinkende Beschäftigungszahlen: Inzwischen übersteigt die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter die der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe. Diese erstmals im Jahr 2001 eingetretene Situation hat sich im laufenden Jahr weiter verschärft. Die jüngsten Zahlen vom April 2002 ergeben, daß die Bauarbeitslosigkeit nunmehr bei 54 % liegt. Seit Mitte der 90er sind rund die Hälfte der Belegschaften entlassen worden.
n Rapide Abnahme der Betriebsgrößen: Den sinkenden Beschäftigungszahlen stand bis zum Jahr 2000 eine Zunahme der Anzahl der Berliner Baubetriebe gegenüber. Dieser auf den ersten Blick paradox erscheinende Befund erklärt sich daraus, daß die zahlreichen Insolvenzen (Tendenz weiter steigend) sowie Entlassungen von Beschäftigten des Baugewerbes in Berlin regelmäßig zur Bildung kleiner Unternehmen (meist mit drei bis zehn Beschäftigten) geführt haben. Diese Entwicklung hat sich im Jahr 2001 geändert. Seither führt die dramatische Situation der Bauwirtschaft nicht mehr zu einem Anstieg, sondern erstmals zu einem Rückgang auch der Betriebszahlen.
Hauptproblem der Branche aber ist die zunehmende Schwarzarbeit. Ein aktuelles Gutachten zur Schattenwirtschaft in den Bundesländern Berlin und Brandenburg kommt für den Baubereich zu dem Ergebnis, daß rund 30 % des Bauvolumens ortsansässiger Betriebe des Baugewerbes in die Schattenwirtschaft abgewandert sind und die Anzahl der Beschäftigten der Schattenwirtschaft fast die regulären Beschäftigtenzahlen erreicht. Ein Phänomen dieser Schattenwirtschaft, das wir bis 1989 nur in der DDR kannten, die „sozialistischen Feierabend-Brigaden“, bedroht heute flächendeckend die gesamte Branche. Die Schwarzarbeit ist daher Hauptursache für die hohen Arbeitslosenzahlen im Berliner Baugewerbe. Zugleich trägt die Schwarzarbeit wesentlich zu dem ruinösen Preiswettbewerb in der Berliner Baubranche bei, indem Bauvorhaben zu Prei-sen unterhalb der Deckungsrate angeboten werden. Damit führt die Schwarzarbeit zu einem Teufelskreis: Sie ist Folge des Strukturwandels und verschärft ihn insbesondere für die mittelständischen Unternehmen. Dies hat nicht nur katastrophale Auswirkungen auf die regionale Bauwirtschaft, sondern beeinträchtigt die gesamte Volkswirtschaft.
Große Neubauvolumina sind in der nächsten Zeit nicht zu erwarten. Um so wichtiger sind Instandhaltungs-, Sanierungs- und Modernisierungsinvestitionen. Dies betrifft die öffentliche Infrastruktur genauso wie den Wohnungs- und Gewerbebaubestand. Bauen im Bestand dürfte der wesentliche Weg sein, der Ansätze zur Lösung der Krise bietet.
2. Wohnungswirtschaft
Ebenso kritisch ist die Lage der Berliner Wohnungswirtschaft. Sie ist durch die ungelöste Problematik der Anschlußförderung im sozialen Wohnungsbau, durch eine Überregulierung in der Mietenpolitik und der damit einhergehenden Verzerrung des Mietenniveaus gekennzeichnet. Kernpunkte sind:
n Hoher Leerstand: Hier schwanken die zahlenmäßigen Angaben, je nachdem, ob Senator Strieder oder Senator Sarrazin sie verkünden - nach dessen Angaben sind es 140.000. Jedenfalls gibt es keinen Grund mehr, die Instrumente der Wohnungszwangswirtschaft aus den Zeiten der Wohnungsnot anzuwenden.
n Kein richtiger Wohnungsmarkt: Der Mietmarkt ist gekennzeichnet von Mieten, die im Vergleich zu anderen Ballungsgebieten ausgesprochen niedrig sind, von Wettbewerbsverzerrungen, Investitionen, die sich nicht am tatsächlichen Bedarf orientieren, und bürokratischen Regelungen. Für die Erstellung des Mietspiegels müssen Neuvertragsmieten ein stärkeres Gewicht erhalten, damit der Mietenmarkt tatsächlich gespiegelt wird. Solange die Stuck- und Parkettwohnungen in Kudamm-Nähe teilweise billiger sind als Sozialwohnungen in Marzahn, kann von einem Markt nicht gesprochen werden. Dies alles, aber auch Tabuthemen - wie Wohnungsabriß - behindern eine Öffnung des Marktes. Außerdem schafft das künstlich niedrig gehaltene Mietniveau keine Anreize zur eigentlich wünschenswerten Eigentumsbildung an selbstgenutztem Wohnraum.
n Das Hauptproblem ist jedoch die Finanzierung der Wohnungsförderung: Ein zentraler Konstruktionsfehler liegt im Fördersystem selbst. Denn das auf Aufwendungshilfen basierende Fördersystem gleicht die Differenz zwischen der Kostenmiete und der vom Mieter zu zahlenden „sozialverträglichen“ Miete aus. Die Annahme, daß sich diese beiden Mieten im Laufe der Förderzeit - bei steigenden Einkommen und angesichts der Inflation - angleichen würden, ist nicht eingetreten. Aktuell läuft die sog. Grundförderung für den sozialen Wohnungsbau der Jahrgänge 1987 bis 1997 schrittweise nach jeweils 15 Jahren aus. Aufgrund einer Kostenmiete von ca. 15 E und einer tatsächlichen Miete von ca. 5 E/m2 ergibt sich eine Einnahmenlücke, die sich weder nach Ablauf der ersten 15jährigen Förderphase noch nach einer zweiten ebensolangen Förderung schließen lassen wird. Beispielhaft für die Förderjahrgänge 1987 bis 1997 haben wir die zukünftigen Aufwendungen und das Volumen der dazugehörigen Landesbürgschaften dargestellt:
1987 bis 1989 0,530 Mrd. Euro
1990 bis 1997 2,778 Mrd. Euro
1987 bis 1997 3,308 Mrd. Euro
Landesbürgschaften ca. 6,5 Mrd. Euro
Die Lage ist so dramatisch, daß der Bankenverband eine große Insolvenzwelle befürchtet, die sowohl den genossenschaftlichen, den kommunalen und den privaten Sektor der Wohnungswirtschaft bedroht. Eine solche Insolvenzwelle führt automatisch zu gravierenden Folgen für den Landeshaushalt, die wegen der gewährten Landesbürgschaften die Dimension des Komplexes Bankgesellschaft erreichen können.
Es muß eine Lösung her. Wir müssen einen Schlußstrich ziehen, der das Kapitel Wohnungsbauförderung für die öffentliche Hand und für die Unternehmen verträglich beenden läßt. Sicherlich müssen noch eine Reihe von Feineinstellungen vorgenommen werden, aber zur Anschlußförderung bietet sich keine echte Alternative! Mit einer Aufkündigung der Förderung würde die Insolvenz zahlreicher Unternehmen in Kauf genommen, und das Land müßte als Bürge einspringen.
Flankierende Schritte sind:
Eine Umstellung der Fördersystematik bei laufenden Objekten auf Aufwendungszuschüsse erscheint sinnvoller als eine erneute Finanzierung durch Aufwendungsdarlehen. Dies würde die Liquidität der Unternehmen bewahren, um zukünftig notwendige Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen finanzieren zu können.
Bei den mit Aufwendungsdarlehen geförderten Wohnungen kann eine vorzeitige freiwillige Rückzahlung von Darlehen zum Barwert ein Ausweg und entscheidender Beitrag zur Haushaltssanierung sein. Die Dauer der Mietpreisbindung muß im Gegenzug gesenkt werden.
Kurz zusammengefaßt die Hauptaktionsfelder:
Aktionsfelder Bauwirtschaft
Der investive Anteil der Ausgaben des Landes muß auf ein verfassungskonformes, vor allem aber bedarfsgerechtes Niveau angehoben werden: Das Anlagevermögen der Stadt darf nicht vergammeln. Die unterlassenen Instandhaltungen und Sanierungen von heute verursachen wesentlich höhere Aufwendungen morgen.
Wir brauchen Liquiditätsspielräume für die Wohnungswirtschaft, um notwendige Modernisierungs- und Instandsetzungsinvestitionen im Wohnungsbestand anzuschieben. Dabei ist zu überlegen, welchen Beitrag das Land Berlin - z. B. durch Verzicht auf ohnehin nicht mehr eintreibbare Forderungen aus der zurückliegenden Wohnungsbauförderung - leisten kann.
Wir fordern Deregulierung des Wirtschaftslebens, d. h. die Schaffung eines marktgerechten Ordnungsrahmens für die Bauwirtschaft.
— Überholte Genehmigungserfordernisse, z. B. bei Nutzungsänderungen im Bestand, streichen.
— Baugenehmigungsverfahren durch Präklusionsfristen beschleunigen.
— Das Wohnungsaufsichtsgesetz aufheben.
— Die OVG-Entscheidung zur Abschaffung der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung konsequent und zügig umsetzen.
— Anstelle eines neuen Gesetzes zur Zahlungsmoral lieber mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir erwarten eine effektive Bekämpfung der Schwarzarbeit am Bau:
— Belastung der Bruttolöhne durch Steuern und Abgaben spürbar verringern.
— Vergabevorschriften konsequent anwenden.
Aktionsfelder Wohnungswirtschaft
Zu einer Anschlußförderung für den geförderten Mietwohnungsbau gibt es keine Alternative. Andernfalls kommt es zu einer Pleitewelle in genossenschaftlichen, kommunalen und privaten Unternehmen.
Wohnungspolitik kann nicht primär Sozialpolitik sein. Dafür gibt es angesichts des ausreichenden Angebots auch keinen Grund mehr. Wir brauchen eine Kursänderung hin zu einem echten Wohnungsmarkt in Berlin. Dazu gehört:
— Marktmieten akzeptieren - d. h. z. B., daß die Berliner Mietenspiegelmethodik endlich die realen Marktmieten abbilden muß.
— Schrittweise alle Sanierungsgebiete konsequent auflösen, d. h. natürlich inklusive der Erhaltungssatzungen und Mietobergrenzen.
— Notwendigen Wohnungsabriß - sowohl im Plattenbau als auch im nicht vermietbaren Altbau, z. B. mittels Teilentkernung - zulassen.
Die Eigentumsquote muß sich in Berlin dem Bundesstandard annähern. Die Investition in privates Wohneigentum muß sich lohnen.
— Anreize für Eigentumsbildung setzen, indem das Mietniveau nicht künstlich gesenkt wird.
— Verstärkt Bauland zu realistischen Preisen ausweisen.