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Bundesfinanzministerium verteidigt Grundstücksbewertung bei der Erbschaftsteuer
24.06.2002 (GE 12/02, Seite 792) Der Beschluß des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 24. Oktober 2002 und die daraufhin ergangenen gleichlautenden Erlasse der Länderfinanzministerien, wonach Steuerbescheide im Falle von Schenkung oder Erbschaft ab sofort für vorläufig zu erklären sind, haben Verunsicherung ausgelöst. Bei Schenkungen oder Erbschaft von Grundstücken ist derzeit fraglich, wie hoch das Grundstück bewertet wird und damit auch, ob und ggf. in welcher Höhe Erbschafts- bzw. Schenkungsteuer anfällt.
I. Vorbemerkungen
Mit Beschluß vom 22. Juni 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die damals geltende Regelung der Einheitsbewertung beim Grundvermögen gegenüber der Erfassung der übrigen Vermögenswerte mit den Verkehrswerten, dem sogenannten gemeinen Wert, als mit dem Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) unvereinbar erklärt. Mit dem Jahressteuergesetz 1997 hatte der Gesetzgeber die derzeit geltende Regelung des Ertragswertverfahrens mit Rückwirkung zum 1. Januar 1996 eingeführt. Diese Berechnung beruht im wesentlichen darauf, daß die Durchschnittsmiete der letzten drei Jahre mit dem Vervielfältiger von 12,5 multipliziert und sodann einige Zu- bzw. Abschläge vorgenommen werden.

Der Mietvervielfältiger wurde seinerzeit vom Finanzausschuß des Deutschen Bundestages im Vergleich zu einer festverzinslichen Anleihe mit einem Jahreszins von 5 % errechnet. Dabei hat der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages einen Abschlag für Verwaltungs- und Instandhaltungsaufwendungen, für die begrenzte Nutzungsfähigkeit, für Bewertungsrisiken und für die Gemeinwohlbindung in Höhe von insgesamt 40 % vorgenommen, was zum Vervielfältiger mit dem Faktor 12 führte.

Mit Beschluß vom 24. Oktober 2001 (Az. II R 61/99) hat der Bundesfinanzhof Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung erklärt und das Bundesfinanzministerium zum Beitritt zu diesem Verfahren aufgefordert. Insgesamt hat der BFH vier mögliche Verstöße gegen den Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) auch bei den derzeitigen Regelung des Erbschaftsteuerrechts aufgestellt.

Auf der Münchener Steuerfachtagung am 14. März 2002 erklärte der als Berichterstatter zuständige Richter am Bundesfinanzhof (RiBFH), H.-Ulrich Viskorf, auf meine ausdrücklich gestellte Frage, weshalb die Berechnungen des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages im Beschluß vom 24. Oktober 2001 keine Erwähnung fänden, daß sich diese Aspekte bereits im Verkehrswert niederschlagen würden und nicht zweifach Berücksichtigung finden könnten.

Demgegenüber hat das Bundesfinanzministerium (BMF) mit Schreiben vom 18. März 2002 - (Az. IV C 7 - E-dross 3851 - 6/02) in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung am 10. April 2002 eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben und in dieser die geltende Regelung als mit dem Grundgesetz vereinbar bezeichnet.

II. Die Begründung des BMF
Das BMF zitiert diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach bei einer Tarifregelung, die lediglich nach Maßgabe des Verwandtschaftsgrades und der Höhe des Erwerbs differenziere, die gleichmäßige Belastung aller Steuerpflichtigen davon abhänge, „daß für die einzelnen zur Erbschaftsteuer gehörenden wirtschaftlichen Einheiten und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden.“

Nach Auffassung des Gesetzgebers ließe das Bundesverfassungsgericht jedoch Differenzierungen zu: Eine Steuerentlastung könne vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber dadurch das wirtschaftliche oder sonstige Verhalten des Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken wolle. Der Gleichheitssatz belasse dem Steuergesetzgeber eine weitreichende Gestaltungsbefugnis, die ihn insbesondere berechtige, sich bei seinen Regelungen auch von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen oder sozialpolitischen Erwägungen leiten zu lassen (Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 22. Juni 1995, BStBl. 1995, Teil II, S. 671 = GE 1995 [17] 1073). Seine Gestaltungsfreiheit ende erst dort, wo die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar sei, wo also ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehle. Nur die Einhaltung dieser äußersten Grenze der gesetzgeberischen Freiheiten sei vom Bundesverfassungsgericht nachzuprüfen (Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 10. Februar 1987, BStBl. 1987, Teil II, S. 240). Daraus hätte der Gesetzgeber den Schluß gezogen, daß er die Wahl hätte, ob er bei der Herstellung einer gleichmäßigen Belastung und bei der Berücksichtigung von Belastungen, die sich aus der Gemeinwohlbindung des Eigentums ergäben, die erforderlichen Entlastungen bei der Festsetzung der Bemessungsgrundlage, durch deren anschließende Reduzierung oder durch die Anwendung eines niedrigeren Steuersatzes erreichen wolle.

Hinsichtlich der Bewertung des Grundvermögens, insbesondere bebauter Grundstücke, weist das BMF darauf hin, daß der Regierungsentwurf das Ziel der neuen Grundbesitzbewertung (BR-Drs. 390/96, S. 43) mit folgenden Worten beschrieben hätte: „Die Beseitigung der … Ungleichheit zwischen der niedrigen Steuerbelastung des Grundbesitzes einerseits und der relativ hohen Belastung aller übrigen steuerbaren Vermögenswerte andererseits ist Ziel der Änderung des Bewertungsgesetzes. Das anzustrebende Wertniveau der neuen Grundbesitzwerte muß sich in das Gefüge der steuerlichen Werte der anderen Vermögensgegenstände schlüssig einfügen. Wegen der besonderen rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung des Grundbesitzes können die Werte nicht mit Werten von Kapitalvermögen verglichen werden. Ebenso wie für Betriebsvermögen, für nicht notierte Anteile an Kapitalgesellschaften, für Kunstgegenstände und vieles andere mehr muß bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für Grundbesitz durch einen vorsichtigen Wertansatz berücksichtigt werden, daß nicht bei jedem unentgeltlichen Erwerb von Grundbesitz der theoretisch mögliche Verkehrswert sofort realisiert werden kann.“

Deswegen sei der gemeine Wert und somit der Verkehrswert als Richtschnur für die Bewertung der Grundstücke zugunsten niedrigerer Ertragswerte für bebaute Grundstücke aufgegeben worden. Dazu hieße es im Zweiten Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 13/5952, S. 27 f.): „Indes sei es sachgerecht, bei der Besteuerung des Grundvermögens dessen Besonderheiten zu berücksichtigen, wie z. B. seine geringere Fungibilität und höhere Sozialbindung, Mieterschutzbestimmungen, öffentlich-rechtliche Auflagen, zusätzliche Belastung durch Grundsteuer und Auswirkung des Bewertungsniveaus auf die Höhe der Mieten.“ Daneben seien auch die „besonderen Beschäftigungseffekte in der Bauwirtschaft und die Belange der Wohnungswirtschaft“ zu berücksichtigen. Für niedrigere Ertragswerte hätte aus der Sicht des Gesetzgebers folgende Überlegung gesprochen: „Die steuerlich günstige Behandlung, die das Grundvermögen in der Vergangenheit durch die Einheitswerte erfahren habe, sei ein beachtlicher Gesichtspunkt für viele Investitionsentscheidungen gewesen. Staatliche Anstrengungen zur Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum als einem existentiellen Grundbedürfnis seien dadurch erspart worden. Führe die Entscheidung, in Grundvermögen oder in Kapitalvermögen zu investieren, steuerlich zum selben Ergebnis, werde der praktisch keiner Sozialbindung unterliegende Erwerb von Kapitalvermögen dem Erwerb von vielfach Bindungen unterliegenden Grundvermögen vorgezogen. In diesem Fall müßten die fehlenden privaten Investitionen zur Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung mit Wohnraum mit öffentlichen Geldern finanziert werden.“

III. Steuertip
Derzeit ist noch nicht bekannt, welche Konsequenzen der BFH aus der Stellungnahme des BMF vom 18. März 2002 ziehen wird. Der BFH hat einerseits die Möglichkeit, dies zu akzeptieren und nach der gegenwärtigen Rechtslage zu entscheiden. Andererseits kann der BFH auch das Verfahren aussetzen und die aufgeworfenen Fragen zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dem Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 GG vorlegen. Diese Entscheidung ist nach aktueller Auskunft der Geschäftsstelle des II. Senats des BFH für den August 2002 vorgesehen.

Nachdem am 6. Dezember 2001 gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder ergangen sind, wonach im Hinblick auf dieses beim BFH anhängige Revisionsverfahren ab sofort Festsetzungen der Erbschaft- und Schenkungsteuer in vollem Umfang für vorläufig zu erklären seien, kann vor einer „Euphorie“ der Ausnutzung der derzeit noch geltenden Regelungen nur gewarnt werden. In der Tagespresse ist vielfach zu lesen, man solle die gegenwärtige Rechtslage noch zu schenkungsteuerlichen Übertragungen ausnutzen. Demgegenüber hat RiBFH Viskorf auf der Münchener Steuerfachtagung am 14. März 2002 auf die ausdrücklich gestellte Frage nach dem Vertrauensschutz darauf hingewiesen, daß der Vorläufigkeitsvermerk im Sinne von § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) keinen Vertrauensschutz zulasse. Daher müßte man sich bei einer schenkungsweisen Übertragung nach dem 6. Dezember 2001 darauf einstellen, daß eine endgültige Bewertung für die Besteuerung möglicherweise einem neuen Recht unterworfen wird.
Autor: Ass. iur. Bettina Wirth, Berlin