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Weißenseer Kleingärten
24.06.2002 (GE 12/02. Seite 756) Daß Berlin ein Ort ist, in dem eine Hand die andere wäscht und solche Vorgänge keineswegs überwiegend in Unschuld vonstatten gehen, darf als bekannt vorausgesetzt werden.
Wie schnell aber die Eingemeindung der Ost-Berliner in den West-Berliner Filz und anschließend auch der übergelagerten aus Bonn zugezogenen Ebene funktioniert, wird den einen oder anderen doch überraschen. Ein hübsches Beispiel dafür bietet ein 265.000 m2 großes Geländestück in Weißensee (Verkehrswert ca. 140 Mio. E), das vielfältig genutzt wird (z. B. hat auch Projektentwickler Walter Momper dort einen Teilbereich für seinen Kunden IKEA besorgt). Es dient rund 600 Nutzern, Gärtnern, Siedlern, Freizeitgestaltern, was auch immer, die glauben, Kleingärtner zu sein und sich auf den Schutz des Bundeskleingartengesetzes berufen zu können. Aber das Gelände ist auch Reserveland für künftige Bauvorhaben, vom Flächennutzungsplan als reines Bauland (GFZ bis 0,8) ausgewiesen und für eine Wohn-/ Erholungs-/Mischbebauung vorgesehen. Daß es da Konflikte zwischen Eigentümer und Nutzern gibt, versteht sich von selbst. Eigentümer ist das Bundeseisenbahnvermögen. Die Bahn will die Grundstücke jedenfalls teilweise verwerten, nicht zur Profitmaximierung, wie man weiß, sondern zur Verlustminderung. Gerichtsverfahren gingen hin und her, am Ende obsiegte der Eigentümer Bahn, weil die Gerichte feststellten, was ohnehin klar zutage trat: Bundeskleingartennutzung ist das nicht, was sich dort abspielt. Daran aber hätte natürlich der Bezirksverband der Kleingärtner in Weißensee ein erhebliches Interesse - immerhin kassiert so ein Kleingartenverband als Zwischenvermieter 15 % der Nutzungsentgelte für pauschale Verwaltungskosten, womit man als Verein richtig reich werden kann und jährlich allein aus Kapitaleinkünften (Zinsen) Einnahmen generiert, die - jedenfalls im besagten Fall - zur Nichtanerkennung der Gemeinnützigkeit führten. Das alles wäre noch kein Thema für die Klatschspalte, wenn nicht, ja, wenn sich da nicht eine ganz merkwürdige Gruppe zusammengefunden hätte, bei der man so richtig Bauchschmerzen bekommt. Da ist zunächst einmal der Vorsitzende des Weißenseer Bezirksverbandes der Kleingärtner, ein gewisser Herr P. B., ein früherer Staatsanwalt der DDR, 1997 von einer Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin wegen Rechtsbeugung, Beihilfe zur Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt, wobei er Glück hatte, daß eine Bestrafung wegen Ladendiebstahls nicht straferschwerend zu Buche geschlagen war. Dann gibt es da den Genossen Siegfried Scheffler, der war mal parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Wohnen und ist nach wie vor Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Mann setzt sich grundsätzlich für Datschennutzer ein, was sein gutes Recht ist, aber manchmal wäre es eben auch vernünftig, zu schauen, zu wem man sich ins Boot setzt. Dann ist noch Angelika Mertens mit von der Partie, ebenfalls SPD, ebenfalls parlamentarische Staatssekretärin und sozusagen Nachfolgerin für Scheffler im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Wenn die beiden sich schreiben, auch wenn‘s um die Weißenseer Kleingärten geht, dann geht das immer so: „Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, liebe Angelika”, und umgekehrt natürlich auch: „Sehr geehrter Herr Kollege Scheffler, lieber Siggi”. Damit nicht genug: Den Kleingärtnern gelingt es auch noch, den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, natürlich auch SPD (sogar deren stellvertretender Vorsitzender), gegen das Bundesunternehmen in Stellung zu bringen. Thierse wiederum schreibt an den zuständigen Minister, nicht einmal, mehrmals, der möge sich doch für die Nutzer stark machen, der „Sehr geehrter Herr Minister, lieber Kurt”. Kurt Bodewig, von Thierse vertraulich geduzt, weiß, was sich gehört, und antwortet mit „Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Wolfgang”, aber er bleibt beim „Sie”. Immerhin. Und so ein Weichei ist der gute Kurt Bodewig offenbar auch nicht, daß er gleich vor ein paar Kleingärtnern einknickt, auch wenn die Bundestagspräsidenten und Staatssekretäre vor sich hertragen. Immerhin schaffte der von den Kleingärtnern erzeugte politische Druck, daß mit den Kleinsiedlern und ihren Helfern ein Gespräch im Bundesverkehrsministerium stattfand - just an jenem Tag, als dem Bezirksverband der Weißenseer Kleinsiedler beim Kammergericht so die Leviten gelesen wurden, daß der Verband die Klage zurücknahm. Die Besprechung im Ministerium scheint ebenso fruchtlos gewesen zu sein. Beteiligte versichern, der anwesende ehemalige parlamentarische Staatssekretär Siegfried („Siggi”) Scheffler habe die Beratung wutentbrannt mit den Worten „Jetzt gehe ich zu Peter” - gemeint war offenbar Peter Strieder - verlassen (vielleicht will Siggi den Peter ja dazu bringen, aus dem Bauland wieder wertlosen Außenbereich zu machen), und der beim Gespräch ebenfalls Anwesende des Bezirksverbandes - jener P. B. - soll gar mit noch höherem Beistand gedroht haben mit den Worten: „Jetzt gehe ich zu Gerhard, werde ihn auf unsere Anlage einladen, und dann werden Sie schon sehen …”. Gemeint war sicherlich jener Gerhard, dem die Kleingärtner im letzten Jahr die Goldene Currywurst verliehen haben, und der (noch) unser aller Bundeskanzler ist.