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Die öffentliche Hydra
06.06.2002 (GE 11/02, Seite 685) Gesucht wird ein neuer Herakles, der wie sein Vorgänger in der griechischen Mythologie der Hydra, jener neunköpfigen Wasserschlange, deren abgeschlagene Köpfe doppelt nachwachsen, endgültig den Garaus macht. Diesmal der öffentlichen Hydra, die zur Verhinderung wirklicher Wertschöpfung durch die Bürger sofort eine Ecke weiter ein neues Feuerchen anzündet, wenn das alte gelöscht ist.
In diesen Tagen wird sich das Oberverwaltungsgericht Berlin in von den Verbänden der Wohnungswirtschaft unterstützten Musterprozessen mit der Frage beschäftigen, ob die seit 30 Jahren geltende und heftig praktizierte Zweckentfremdungsverbot-Verordnung noch von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt ist. Sie ist es nicht, und die OVG-Richter müßten sich mächtig verrenken, um das anders zu sehen. Nicht nur wegen des bewiesenen Leerstandes von über 100.000 Wohnungen über die notwendige Fluktuationsreserve hinaus, nicht schon wegen der Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe in Berlin - nein, schon aus einem anderen, ganz einfachen Grund:
Der Berliner Senat hat beschlossen, noch in diesem Jahr rund 3.000 vermietbare, mit Bad und Zentralheizung ausgestattete Plattenbauwohnungen ersatzlos abzureißen! Tausende sollen folgen.
Damit liegt, wie es klarer nicht mehr geht, auf der Hand, daß dem Zweckentfremdungsrecht der rechtliche Boden entzogen ist.
Kaum daß, wovon ich ausgehe, die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung fällt, hat das Berliner Verwaltungsgericht schon dafür gesorgt, daß für die Hunderte von Mitarbeitern, denen man dann die Rechtsgrundlage für das verdeckte Observieren von Zahnärzten, Steuerberatern oder Rechtsanwälten und das Ausfragen ihrer Kinder („Wohnt Papa eigentlich zu Hause oder im Büro?”) entzogen und sie der Mühe enthoben haben wird, lange Inventarlisten von vermeintlich zweckentfremdeten Wohnungen aufzustellen, ein neues großes Aufgabenfeld gefunden ist. Und dafür darf ein Teil von ihnen auch weiter unbeaufsichtigt seine Spaziergänge durch die Stadt machen. Und sie werden es sogar einfacher haben als bisher.
Mußten sie bisher eine oft verquere Logik bemühen („Leerstand ist, wo keine Vorhänge sind …“), brauchen sie nur noch die Augen auf und ein paar Fotos zu machen. „Graffitibeseitigung“ könnte ihr neues Aufgabengebiet heißen. Nein, nicht was Sie denken. Die sollen keine Schmierereien beseitigen, sondern erzwingen, daß Berlins Hauseigentümer das tun. Dafür hat die 19. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts gesorgt, indem es eine baurechtliche Anordnung des Bezirksamts Mitte bestätigte, wonach ein Hauseigentümer Farbschmierereien an seinem Gebäude beseitigen muß.
Als verfassungsgemäß befand das Gericht eine vom damaligen Bausenator Jürgen Klemann zu vertretende Neuregelung der Berliner Bauordnung (§ 77 Abs. 2 Satz 1), wonach Farbschmierereien verunstaltend sind und vom Eigentümer entfernt werden müssen.
Weder das Argument, die Anordnung sei unverhältnismäßig, weil angesichts der „Beliebtheit“ des Areals alsbald mit neuen Graffiti zu rechnen sei, noch der Hinweis, daß der Bundesgesetzgeber eine Verschärfung des Strafrechts in diesem Bereich verweigert habe, erweichten das Gericht.
So ist das mit der öffentlichen Hydra, die noch schlimmer ist als die aus der Mythologie, denn der öffentlichen wachsen zwei Köpfe nach, schon bevor einer abgeschlagen ist. Da kann man (fast) nur noch Oskar Lafontaine zitieren: „Die Wut wächst.“
PS: Liebe Leute von den Bezirksämtern, nehmt Euch bitte zuerst die Gebäude der GEHAG vor, wo der für die entsprechende Änderung der Bauordnung damals verantwortliche Senator heute im Vorstand sitzt. Wäre doch zu schön, wenn einer mal auslöffeln müßte, was er eingebrockt hat.
Der Berliner Senat hat beschlossen, noch in diesem Jahr rund 3.000 vermietbare, mit Bad und Zentralheizung ausgestattete Plattenbauwohnungen ersatzlos abzureißen! Tausende sollen folgen.
Damit liegt, wie es klarer nicht mehr geht, auf der Hand, daß dem Zweckentfremdungsrecht der rechtliche Boden entzogen ist.
Kaum daß, wovon ich ausgehe, die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung fällt, hat das Berliner Verwaltungsgericht schon dafür gesorgt, daß für die Hunderte von Mitarbeitern, denen man dann die Rechtsgrundlage für das verdeckte Observieren von Zahnärzten, Steuerberatern oder Rechtsanwälten und das Ausfragen ihrer Kinder („Wohnt Papa eigentlich zu Hause oder im Büro?”) entzogen und sie der Mühe enthoben haben wird, lange Inventarlisten von vermeintlich zweckentfremdeten Wohnungen aufzustellen, ein neues großes Aufgabenfeld gefunden ist. Und dafür darf ein Teil von ihnen auch weiter unbeaufsichtigt seine Spaziergänge durch die Stadt machen. Und sie werden es sogar einfacher haben als bisher.
Mußten sie bisher eine oft verquere Logik bemühen („Leerstand ist, wo keine Vorhänge sind …“), brauchen sie nur noch die Augen auf und ein paar Fotos zu machen. „Graffitibeseitigung“ könnte ihr neues Aufgabengebiet heißen. Nein, nicht was Sie denken. Die sollen keine Schmierereien beseitigen, sondern erzwingen, daß Berlins Hauseigentümer das tun. Dafür hat die 19. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts gesorgt, indem es eine baurechtliche Anordnung des Bezirksamts Mitte bestätigte, wonach ein Hauseigentümer Farbschmierereien an seinem Gebäude beseitigen muß.
Als verfassungsgemäß befand das Gericht eine vom damaligen Bausenator Jürgen Klemann zu vertretende Neuregelung der Berliner Bauordnung (§ 77 Abs. 2 Satz 1), wonach Farbschmierereien verunstaltend sind und vom Eigentümer entfernt werden müssen.
Weder das Argument, die Anordnung sei unverhältnismäßig, weil angesichts der „Beliebtheit“ des Areals alsbald mit neuen Graffiti zu rechnen sei, noch der Hinweis, daß der Bundesgesetzgeber eine Verschärfung des Strafrechts in diesem Bereich verweigert habe, erweichten das Gericht.
So ist das mit der öffentlichen Hydra, die noch schlimmer ist als die aus der Mythologie, denn der öffentlichen wachsen zwei Köpfe nach, schon bevor einer abgeschlagen ist. Da kann man (fast) nur noch Oskar Lafontaine zitieren: „Die Wut wächst.“
PS: Liebe Leute von den Bezirksämtern, nehmt Euch bitte zuerst die Gebäude der GEHAG vor, wo der für die entsprechende Änderung der Bauordnung damals verantwortliche Senator heute im Vorstand sitzt. Wäre doch zu schön, wenn einer mal auslöffeln müßte, was er eingebrockt hat.
Autor: Dieter Blümmel