Archiv / Suche
Time to say good-bye
21.05.2002 (GE 10/02, Seite 617) Am 13. Juni wird vor dem Berliner OVG rund ein halbes Dutzend Klagen zur Zweckentfremdungsverbot-VO verhandelt. Vieles spricht dafür, daß es an diesem Tage für das Zweckentfremdungsrecht heißen wird: „Time to say good-bye!“
Nur wenn „die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist“, darf eine Landesregierung überhaupt Gebrauch von der Ermächtigung jenes inzwischen fast 33 Jahre alten „Mietrechtsverbesserungsgesetzes“ machen.
Was der damalige Gesetzgeber sich unter einer besonderen Versorgungsgefährdung vorstellte, kann man den Kriterien entnehmen, unter denen Ende der 60er Jahre in den Städten und Gemeinden die „Weißen Kreise“ eingeführt wurden: Wenn die Zahl der Haushalte die der Wohnungen nicht mehr um mehr als 3 % überschritt, sollte die Zwangsbewirtschaftung aufgehoben werden.
Eine solche Größenordnung beschreibt die Ermächtigungsgrundlage, die der Bundesgesetzgeber zur Verfügung gestellt hat. Erweitert hat er sie in der Folgezeit dergestalt, daß etwa eine besondere Gefährdungslage so lange vorliege, bis ein jeder Mieter eine Tucholsky-Wohnung (vorne Kudamm, hinten Ostsee) habe, ersichtlich nicht, auch wenn sie der Berliner Senat unter tatkräftiger Beihilfe der Gerichte so interpretiert hat.
Nein, die Haltung der Berliner Gerichte ist kein Ruhmesblatt, denn sie hätten längst einschreiten müssen. Daß Berlin schon vor Jahren seine Entscheidung, nun keine Sozialwohnungen mehr bauen zu wollen, weil es genügend Wohnungen gebe, gar per Haushaltsgesetz verkündete, hat bei den Gerichten ebensowenig zum Umdenken geführt wie die regelmäßigen Äußerungen der zuständigen Senatoren, daß man nicht nur genug, sondern viel zu viele Wohnungen habe. Der damalige Bausenator Klemann begründete bei der Mietspiegelvorstellung 1999 die gesunkenen Mieten mit einem Wohnungsleerstand von 50.000, sein Nachfolger Strieder pries bei der Mietspiegelvorstellung 2000 die günstigen Mieten als „Standortvorteil“ Berlins und räumte erstmals Leerstände von über 130.000 Wohnungen ein. Resonanz bei den Berliner Gerichten: keine.
Sogar veräppeln lassen haben sich die Gerichte gerade in der letzten Zeit von Senat und Bezirksämtern mit einem Rechenmodell aus dem schönen Bundesland Bayern, bei dem ein Wohnungsdefizit von absolut 900 Wohnungen zum Beweis einer katastrophalen Wohnungsnot und ein Überschuß von absolut 900 Wohnungen über die Zahl der Haushalte zu einem preiszerstörerischen Überangebot führt. Ein Modell, das auf bayerische Bergdörfer zugeschnitten ist, aber beim Berliner Verwaltungsgericht bisher nicht einmal Nachdenken, geschweige denn ein Nachrechnen ausgelöst hat, sonst hätte man doch längst merken müssen, wie man von einer um ihre Tätigkeitsfelder bangenden Beamtenschaft an der Nase herumgeführt wurde.
Daß Behauptungen über Wohnungsdifizite purer Quatsch sind, belegen auch zwei Gutachten aus der letzten Zeit: eines davon sogar aus des Stadtentwicklungssenators eigenem Hause (vgl. Seite 628). Und ob es nun 40.000 oder mehr als 100.000 über die notwendige Fluktuationsrate hinaus leerstehende Wohnungen sind, ist eigentlich schon nicht mehr wichtig, denn Zweckentfremdungsverbot-Verordnungen sollen nur den Normalzustand sicherstellen und dürfen nicht zum Erreichen eines Idealzustandes mißbraucht werden, entschied das Bundesverfassungsgericht schon 1975.
In Berlin wird die Verordnung seit einem Jahr noch zu ganz anderen Zwecken mißbraucht: zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Lehrstellen, zur Förderung der Gastronomie und des Einzelhandels und zur Verwirklichung städtebaulicher Ziele. Frisch nach dem Motto: Wenn man eine Ermächtigungsgrundlage erst einmal ausgehöhlt hat, kann man sie mit einer Menge hübscher anderer Sachen füllen.
Der Vorsitzende des jetzt entscheidenden 5. Senats beim OVG geht demnächst in den Ruhestand. Er kann vorher für viele etwas tun: Den Hinweis des Landesverfassungsgerichts (vgl. GE 2002, 118) beachten, Bürger von überflüssiger Arbeit und überflüssigen Vorschriften befreien, die Verwaltungsgerichte entlasten, 1.000 Beamten und Angestellten wieder eine nützliche Tätigkeit verschaffen (z. B. Kinderspielplätze überprüfen statt Zahnärzte). Vor allem aber kann er dem Recht wieder zu Geltung verhelfen!
Was der damalige Gesetzgeber sich unter einer besonderen Versorgungsgefährdung vorstellte, kann man den Kriterien entnehmen, unter denen Ende der 60er Jahre in den Städten und Gemeinden die „Weißen Kreise“ eingeführt wurden: Wenn die Zahl der Haushalte die der Wohnungen nicht mehr um mehr als 3 % überschritt, sollte die Zwangsbewirtschaftung aufgehoben werden.
Eine solche Größenordnung beschreibt die Ermächtigungsgrundlage, die der Bundesgesetzgeber zur Verfügung gestellt hat. Erweitert hat er sie in der Folgezeit dergestalt, daß etwa eine besondere Gefährdungslage so lange vorliege, bis ein jeder Mieter eine Tucholsky-Wohnung (vorne Kudamm, hinten Ostsee) habe, ersichtlich nicht, auch wenn sie der Berliner Senat unter tatkräftiger Beihilfe der Gerichte so interpretiert hat.
Nein, die Haltung der Berliner Gerichte ist kein Ruhmesblatt, denn sie hätten längst einschreiten müssen. Daß Berlin schon vor Jahren seine Entscheidung, nun keine Sozialwohnungen mehr bauen zu wollen, weil es genügend Wohnungen gebe, gar per Haushaltsgesetz verkündete, hat bei den Gerichten ebensowenig zum Umdenken geführt wie die regelmäßigen Äußerungen der zuständigen Senatoren, daß man nicht nur genug, sondern viel zu viele Wohnungen habe. Der damalige Bausenator Klemann begründete bei der Mietspiegelvorstellung 1999 die gesunkenen Mieten mit einem Wohnungsleerstand von 50.000, sein Nachfolger Strieder pries bei der Mietspiegelvorstellung 2000 die günstigen Mieten als „Standortvorteil“ Berlins und räumte erstmals Leerstände von über 130.000 Wohnungen ein. Resonanz bei den Berliner Gerichten: keine.
Sogar veräppeln lassen haben sich die Gerichte gerade in der letzten Zeit von Senat und Bezirksämtern mit einem Rechenmodell aus dem schönen Bundesland Bayern, bei dem ein Wohnungsdefizit von absolut 900 Wohnungen zum Beweis einer katastrophalen Wohnungsnot und ein Überschuß von absolut 900 Wohnungen über die Zahl der Haushalte zu einem preiszerstörerischen Überangebot führt. Ein Modell, das auf bayerische Bergdörfer zugeschnitten ist, aber beim Berliner Verwaltungsgericht bisher nicht einmal Nachdenken, geschweige denn ein Nachrechnen ausgelöst hat, sonst hätte man doch längst merken müssen, wie man von einer um ihre Tätigkeitsfelder bangenden Beamtenschaft an der Nase herumgeführt wurde.
Daß Behauptungen über Wohnungsdifizite purer Quatsch sind, belegen auch zwei Gutachten aus der letzten Zeit: eines davon sogar aus des Stadtentwicklungssenators eigenem Hause (vgl. Seite 628). Und ob es nun 40.000 oder mehr als 100.000 über die notwendige Fluktuationsrate hinaus leerstehende Wohnungen sind, ist eigentlich schon nicht mehr wichtig, denn Zweckentfremdungsverbot-Verordnungen sollen nur den Normalzustand sicherstellen und dürfen nicht zum Erreichen eines Idealzustandes mißbraucht werden, entschied das Bundesverfassungsgericht schon 1975.
In Berlin wird die Verordnung seit einem Jahr noch zu ganz anderen Zwecken mißbraucht: zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Lehrstellen, zur Förderung der Gastronomie und des Einzelhandels und zur Verwirklichung städtebaulicher Ziele. Frisch nach dem Motto: Wenn man eine Ermächtigungsgrundlage erst einmal ausgehöhlt hat, kann man sie mit einer Menge hübscher anderer Sachen füllen.
Der Vorsitzende des jetzt entscheidenden 5. Senats beim OVG geht demnächst in den Ruhestand. Er kann vorher für viele etwas tun: Den Hinweis des Landesverfassungsgerichts (vgl. GE 2002, 118) beachten, Bürger von überflüssiger Arbeit und überflüssigen Vorschriften befreien, die Verwaltungsgerichte entlasten, 1.000 Beamten und Angestellten wieder eine nützliche Tätigkeit verschaffen (z. B. Kinderspielplätze überprüfen statt Zahnärzte). Vor allem aber kann er dem Recht wieder zu Geltung verhelfen!
Autor: Dieter Blümmel