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"Komforttarife" bei der Berliner Müllabfuhr
Stadtreinigungsbetriebe verlangen weit überhöhte Müllgebühren - jetzt zurückfordern
21.05.2002 (GE 10/02, Seite 624) Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe haben in rechtlich unzulässiger Weise von Grundstückseigentümern weit überhöhte Müllabfuhrgebühren kassiert. Dies ergaben Recherchen der Redaktion nach einem Hinweis durch einen betroffenen Eigentümer. Die BSR haben den Sachverhalt eingeräumt, ein Vorstandsmitglied des Unternehmens verwies gegenüber der Redaktion darauf, betroffene Eigentümer sollten einen „Änderungsantrag“ stellen. Wir meinen indes: Die BSR hat, im eigenen Interesse schon, die Herabsetzung der Müllabfuhrgebühren in diesen Fällen von sich aus zu veranlassen.
Worum geht es?
Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe haben mit ihren Leistungsbedingungen vom 21. März 2001 (vgl. GE 2001 [9] 603) die sogenannten Erschwerniszuschläge durch besser klingende „Komforttarife“ ersetzt, wobei es freilich um ein und dieselbe Sache geht (die BSR-Rechnungssoftware, die immerhin von SAP kommt, hat diese Umstellung bis zum heutigen Tage nicht geschafft, sondern rechnet faktisch immer noch mit Erschwerniszuschlägen).
Vom Standardtarif bei den Müllabfuhrgebühren profitiert nur derjenige, bei dem die Müllwerker die Gefäße in einer Entfernung von nicht mehr als 15 m zu der für die Sammelfahrzeuge erreichbaren Begrenzungslinie abholen können. Ist die Entfernung größer, wurden früher Erschwerungszuschläge verlangt, heute gibt es dafür die sogenannten Komforttarife (KT).

Die Komforttarife (KT) werden in den entsprechenden Entfernungszonen anstatt des Standardtarifes erhoben. Danach gilt folgendes:
• KT 1: Das Behälterentgelt, welches sich früher in der Entfernungszone zwischen 15 m und 30 m aus dem Standardtarif zuzüglich eines Erschwerniszuschlages von 20 % zusammensetzte, wird seit dem 1. April 2001 durch einen Komforttarif von 120 % des Standardtarifes ersetzt.

• KT 2: Das Behälterentgelt, welches sich früher in der Entfernungszone zwischen 30 m und 50 m aus dem Standardtarif zuzüglich eines Erschwerniszuschlages von 50 % zusammensetzte, wird seit dem 1. April 2001 durch einen Komforttarif von 150 % des Standardtarifes ersetzt.

• KT 3: Bei Entfernungen von 50 m bis 100 m oder 16 bis 20 Stufen oder ähnlichen Hindernissen wird Entgelt in Höhe von 200 % des Standardtarifs erhoben - also der doppelte Standardtarif.

• Für sonstige Behälterstandorte, die einen Transportweg von mehr als 100 m oder das Überwinden von mehr als 20 Stufen oder ähnlichen Hindernissen erforderlich machen, werden gesonderte Entgelte der BSR „nach billigem Ermessen“ (so ausdrücklich Ziffer 2.2.8 der BSR-Leistungsbedingungen) festgesetzt. Davon soll es in Berlin nach Angaben der BSR 60 Standorte geben.

Ein uns von einem Leser vorgetragener Fall (vgl. die Faksimiles der Schreiben und Rechnungen der Berliner Stadtreinigungsbetriebe auf dieser Seite) ergab, daß die Berliner Stadtreinigungsbetriebe bei Entfernungen zwischen dem Standort der Sammelbehälter und der Begrenzungslinie zu der für die Sammelfahrzeuge erreichbaren Flächen von mehr als 100 m nicht etwa Entgelte nach billigem Ermessen verlangen, wie sich der Betrieb das sogar in seine eigenen Leistungsbedingungen hineingeschrieben hat, sondern tatsächlich solche, die letztlich ein sittenwidriges Rechtsgeschäft und Wucher darstellen.

Für das erste Grundstück, das 108 m von der Begrenzungslinie entfernt war, wurde ein Zuschlag von 200 % verlangt, der Eigentümer mußte also einen Komforttarif von 300 % bezahlen, für das zweite Grundstück, das 127 m von der Straße entfernt lag, mußte ein Zuschlag von 300 % bezahlt werden, also ein Komforttarif von 400 %. Während also beim sogenannten Komforttarif 3 eine zusätzliche Entfernung von 85 m zu einem Zuschlag von 100 % führt, haben die BSR im ersten Fall bei den 108 m für weitere 8 m zusätzliche 100 % Zuschlag verlangt, für 27 m zusätzliche 200 %.

Daß diese Tarife nicht mehr billigem Ermessen entsprechen, liegt auf der Hand.
Da die Berliner Stadtreinigungsbetriebe Monopolbetriebe sind und ein Grundstückseigentümer überhaupt keine andere Möglichkeit hat, Hausmüll zu beseitigen, liegt es nahe, derartige Tariffestsetzungen der BSR unter § 138 BGB zu subsumieren. Danach sind Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstoßen, nichtig. Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage … sich für eine Leistung Vermögensvorteile gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zur Leistung stehen.

All diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein bei den von den Stadtreinigungsbetrieben verlangten „Komforttarifen“ bei Entfernungen von mehr als 100 m von der Straßenbegrenzungslinie.

Es handelt sich im übrigen auch nicht um den Ausrutscher eines kleineren Mitarbeiters, sondern um das Ergebnis einer internen Anweisung des Vorstandes Abfall, die aber offenbar auch sehr bewußt der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden ist. Wir haben den BSR-Vorstand auf den gesamten Vorgang angesprochen. Ergebnis: Man habe selber schon „Bauchschmerzen“ gehabt mit der Regelung, und die betroffenen Eigentümer sollten Anträge auf Herabsetzung stellen.

Wir meinen, daß die betroffenen Eigentümer die bisher zuviel gezahlten Gebühren zurückfordern sollten. Dabei können als billigem Ermessen entsprechende Zuschläge so kalkuliert werden, daß man sich an den Komfortzuschlägen im Bereich von 15 bis 100 m orientiert.
Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe sollten mit Fristsetzung aufgefordert werden, die überzahlten Beträge zurückzureichen. Ansonsten sollte man den Klageweg beschreiten.