Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

News  →  Kurz notiert


Streit um den Anbau von Solarkollektoren am Balkon
Bauliche Veränderung: Reicht zum Verständnis des Begriffes die Legaldefinition?
20.10.2025 (GE 17/2025, S. 846) Der Gesetzgeber zeigt sich manchmal seinem Bürger gegenüber gleichsam gnädig, und definiert einen Begriff, den er einsetzt. So ist es mit dem Begriff der „baulichen Veränderung“. Hier ist in § 20 Abs. 1 WEG Folgendes zu lesen: Es seien „Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen)“. Man könnte also meinen, was keine Erhaltungsmaßnahme mehr ist (= nach § 13 Abs. 2 WEG Maßnahmen, die einer ordnungsmäßigen Instandhaltung und Instandsetzung dienen, im Kern also Wartungen und Reparaturen), sei eine bauliche Veränderung. So kann es aber nicht sein! Denn zum einen kann man das gemeinschaftliche Eigentum auch gebrauchen, indem man beispielsweise auf eine Fläche, die allen gehört, einen Schirm oder einen Topf stellt. Dann baut man nicht – oder? Und zum anderen bedarf es wohl einer gewissen Dauerhaftigkeit, um von „Bauen“ sprechen zu können. Was gilt, ist sehr umstritten. Nun hat der BGH die wichtigsten Fragen für die Praxis entschieden.
Der Fall: Wohnungseigentümer B errichtet eine Solaranlage (Anlage). Es wird vom Landgericht nicht festgestellt, ob er die Anlage an der Balkonbrüstung oder an einer auf dem Balkon stehenden Konstruktion montiert hat. Beim BGH ist daher neben einer prozessualen Frage (entgegenstehende Rechtskraft?) und der Frage, ob das WEG in der Version vor dem 1. Dezember 2020 oder nach dem 30. November 2020 anwendbar ist, vor allem zu klären, ob es für den Begriff der baulichen Veränderung auf einen Eingriff in die Substanz des gemeinschaftlichen Eigentums ankommt.
Dabei muss man für die weitere Lösung allerdings unterstellen, was der BGH leider übersieht, dass der Balkonraum gemeinschaftliches Eigentum ist. Wäre der Balkonraum Sondereigentum, wäre nämlich § 13 Abs. 2 WEG und nicht § 20 Abs. 1 WEG anwendbar, wäre die Anlage dort montiert worden. Für den Begriff änderte sich zwar nichts. § 20 WEG wäre aber nur mit der Maßgabe entsprechend anwendbar, dass es keiner Gestattung bedarf, soweit keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst.

Das Urteil: Der BGH sieht keine Rechtskraftprobleme. Da er selbst keine Feststellungen treffen kann, löst er den Fall aufgrund der unzureichenden LG-Vorarbeit alternativ auf der Grundlage des „alten“ und des „neuen“ Rechts.
Für das neue Recht muss er klären, ob eine bauliche Veränderung einen Substanzeingriff voraussetzt. Diese Frage verneint er. Er meint, eine bauliche Veränderung könne auch bei einer sonstigen auf Dauer angelegten Maßnahme, die das optische Erscheinungsbild der Wohnungseigentumsanlage wesentlich verändere, gegeben sein. Zur Begründung führt er an, der Wortlaut des § 20 Abs. 1 WEG sei nicht eindeutig oder abschließend. Das Anknüpfen an eine „bauliche“ Veränderung deute zwar darauf hin, dass auf den Baukörper eingewirkt werden müsse. Zwingend sei ein solches Verständnis aber nicht. Klar sei lediglich, dass von einer baulichen „Veränderung“ nicht die Rede sein könne, wenn ein Wohnungseigentümer das gemeinschaftliche Eigentum nur vorübergehend in einer bestimmten Weise nutze und zu diesem Zweck einen Gegenstand wie beispielsweise tagsüber einen Sonnenschirm aufstellen möchte (= es bedarf also einer gewissen Dauerhaftigkeit). Systematische Überlegungen, nämlich § 5 Abs. 1 WEG (sic!) sprächen hingegen für ein weites Begriffsverständnis. Entscheidend seien aber Sinn und Zweck von § 20 WEG. Sein Schutzkonzept könne „nicht sinnvoll“ von einem Substanzeingriff abhängig gemacht werden. Denn dann gebe es Abgrenzungsschwierigkeiten und Zufallsergebnisse. Im Fall sei das optische Erscheinungsbild der Wohnungseigentumsanlage wesentlich verändert worden. Es liege daher – so oder so – eine rechtswidrige bauliche Veränderung vor, denn es gebe keine Gestattung. Das LG-Urteil sei mithin aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Sei altes Recht anwendbar, müsse der Begriff der baulichen Veränderung nicht definiert werden. Hier sei entscheidend, ob es eine erhebliche Beeinträchtigung des optischen Gesamteindrucks der Wohnungseigentumsanlage und also einen nicht hinzunehmenden Nachteil gebe. Dies sei zu bejahen. Auch in diesem Falle sei die Berufung also zurückzuweisen.

Anmerkung: Wichtig sind bei dieser Ent­scheidung weder die Lösung des Rechtskrafträtsels, die indes wenigstens „hemdsärmelig“ anmutet (ein längere Zeit nicht vollzogener Titel soll einem Titel gleichstehen, der verloren gegangen ist: wirklich?), noch die Lösung, welches Recht anwendbar ist (das wird letztlich nicht geklärt, nur die Frage, wie man die Lösung finden würde).
Wirklich wichtig ist hingegen der Streit, wann eine bauliche Veränderung vorliegt. Diesen stellt der BGH bei der Rn. 18 dar. Außerdem weist er dort darauf hin, dass der Gesetzgeber die Frage, was der Begriff meint, ausdrücklich nicht entscheiden wollte. Wenn das aber so ist, kann man das Gesetz nicht nach dem Willen des Gesetzgebers auslegen und seine Zwecke für entscheidend erklären. Den gibt es dann nicht. Vielmehr muss der Richter nach bestem Wissen und Gewissen selbst entscheiden, was die Politik eben nicht geschafft hat (= er wird Ersatzgesetzgeber). Diese Freiheit macht Karlsruhe nicht deutlich. Dort behauptet man vielmehr, einen fremden Willen zu erkennen, statt klar zu sagen, so sehe man selbst es eben.
Die BGH-Lösung ist natürlich vertretbar. Ihr werden viele folgen. Mich selbst überzeugt sie allerdings nicht. Denn die behaupteten „Abgrenzungsschwierigkeiten“ und „Zufallsergebnisse“ gibt es nicht, wenn man auf die Substanz und ein Bauen abstellt.
Der Fall kam im Übrigen aus Berlin (LG Berlin II, GE 2024, 360). Dieses irrte, wie der BGH mit der Entscheidung Rn. 10 auch klärt, und was Gegenstand des ersten amtlichen Leitsatzes ist, es komme für die Frage, welches Recht anwendbar ist, auf die Entfernung von Pflanzen und damit die Sichtbarkeit der baulichen Veränderung an. Denn es kommt natürlich auf die Vornahme der baulichen Veränderung an.
Ferner irrte Berlin, aber mit guten Gründen, dass man auch im aktuellen Recht nach § 242 BGB auf einen Gestattungsbeschluss letztlich verzichten kann. Hier hatte der BGH mittlerweile aber geklärt, dass dem eben nicht so ist (BGH, GE 2025, 447).

Den Wortlaut finden Sie in GE 2025, Seite 868 und in unserer Datenbank.
Autor: VRiKG Dr. Oliver Elzer


Links: