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Streupflicht und Schadensersatz
Wer haftet: Eigentümer, Winterdienst-Unternehmen, Gemeinde, Mieter?
26.02.2014 (GE 4/14, 232) Jedes Jahr stürzen tausende Fußgänger aufgrund von Schnee und Glätte. Nach solchen Unfällen stellt sich die Frage nach Schadensersatzansprüchen und danach, ob jemand seiner Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen ist. Dies betrifft insbesondere Hauseigentümer, jedoch unter Umständen auch Mieter. Im Folgenden soll beleuchtet werden, wer von der Räum- und Streupflicht betroffen ist und wann diese so weit verletzt wurde, dass Schadensersatzansprüche bestehen.

Streupflicht und Schadensersatz

Wer ist zum Streuen/zumWinterdienst verpflichtet?

In Berlin ist dies konkret im Straßenreinigungsgesetz festgelegt (www.berlin.de/ ba-lichtenberg/buergerservice/ordnung/ ordnung002.html). Dort ist in § 4 geregelt, dass die Anlieger verpflichtet sind, jeweils die Fußwege und Bürgersteige vor ihren Grundstücken zu reinigen und dort auch den Winterdienst durchzuführen.Bereits hier ist jedoch Vorsicht geboten, nicht immer ist es eindeutig, zu welchem Grundstück ein Fußgängerweg gehört. Zur Sicherheit kann das aber bei dem für ganz Berlin zuständigen Bezirksamt Lichtenberg erfragt werden.Innerhalb von Grundstücken, also z. B. auf Innenhöfen, trifft den Hauseigentümer diese Pflicht. Oftmals wird ein Winterdienst damit beauftragt, das Schneeräumen und Streuen zu übernehmen. Dennoch haftet meistens auch der Eigentümer im Falle eines Sturzes.In der Praxis kommt es häufig zu der Situation, dass der Hauseigentümer den Geschädigten an den Winterdienst verweist, mit dem Argument, dass der Winterdienst die Haftung übernehme. Der Winterdienst wiederum verweist auf seine Versicherung und sagt dem Geschädigten, er solle sich an diese halten.Schadensersatzpflichtig ist jedoch meistens weiterhin auch der Eigentümer, egal, ob er einen Winterdienst oder eine Versicherung hat. Denn der Eigentümer oder Anlieger kann die Verpflichtung zwar auf ein Winterdienstunternehmen übertragen (BGH, Urteil vom 22. Januar 2008 - VI ZR 126/07-, GE 2008, 405), er hat jedoch strenge Überwachungspflichten. Er muss regelmäßig prüfen, ob der beauftragte Winterdienst tatsächlich seine Pflichten wahrnimmt. Ebenso verhält es sich, wenn eine Gemeinde oder das Land Berlin seine Pflichten auf ein Winterdienstunternehmen überträgt (BGH, Urteil vom 11. Juni 1992 - III ZR 134/91 -, BGHZ 118, 368 = NJW 1992, 2476).Das Gleiche gilt auch für den Fall, dass der Vermieter einen Mieter mit der Durchführung beauftragt hat (BGH, Urteil vom 27. November 1984 - VI ZR 49/83). In diesen Fällen besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit für den Hauseigentümer, sich durch die Beauftragung eines Dritten zu entlasten. Jedoch nur, wenn der Eigentümer auch weiterhin regelmäßig überprüft, ob der jeweils Beauftragte den Winterdienst auch durchführt. Nur, wenn der Eigentümer einerseits jemanden beauftragt hat, den Winterdienst vorzunehmen, und gleichzeitig regelmäßig prüft, ob der Beauftragte auch tatsächlich streut und Schnee räumt, haftet er selbst nicht mehr.

Ein Vermieter kann auch Mieter mit dem Winterdienst beauftragen. Dafür genügt es allerdings nicht, einfach in der Hausordnung festzulegen, dass die Mieter diese Arbeiten durchführen. Erforderlich ist eine konkrete, vertragliche Vereinbarung mit dem Mieter.

In der Praxis wird es dem Eigentümer selten gelingen, nachzuweisen, dass er regelmäßig geprüft hat, ob der Winterdienst tatsächlich gestreut hat. Der Vermieter müsste zu seiner Entlastung zumindest stichprobenartig regelmäßig überprüft haben, ob der Winterdienst durchgeführt wurde. Hat er das nicht getan, so haftet er aufgrund der Verletzung seiner Überwachungspflicht (BGH, Urteil vom 22. Januar 2008 - VI ZR 126/07-, GE 2008, 405).

Es empfiehlt sich für den Hauseigentümer auch noch aus einem anderen Grund, die Durchführung des Winterdienstes zu überprüfen. Nach aktueller Rechtsprechung ist der Auftrag zur Durchführung des Winterdienstes ein Werkvertrag, der Auftraggeber kann daher die Vergütung mindern, wenn der Winterdienst nicht ordnungsgemäß von dem jeweiligen Unternehmen durchgeführt wird (BGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - VII ZR 355/12 -, GE 2013, 1061).

Oftmals trifft die Räumpflicht jedoch die jeweiligen öffentlichen Stellen bzw. Bezirke. Auch diese sind verpflichtet, gegebenenfalls zu prüfen, ob ein von ihnen beauftragter Winterdienst seine Arbeit macht. Tun sie dies nicht, so bestehen möglicherweise Amtshaftungsansprüche gegen den Staat oder die Stadt.

Was umfasst der Winterdienst?

Auf Bürgersteigen muss in der Regel ein schnee- und eisfreier Streifen, auf dem zwei Fußgänger vorsichtig aneinander vorbeikommen, d. h. 1 m bis 1,2 m breit, geschaffen werden (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - III ZR 8/03). Für Berlin ist in § 3 Straßenreinigungsgesetz festgelegt, dass teilweise sogar ein 1,5 m bis 3 m breiter Streifen gestreut werden muss.

Es besteht jedoch keine umfassende Streu- und Räumpflicht für Radwege. Radfahrer müssen im Zweifelsfall die gestreuten Fußwege mitbenutzen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - III ZR 8/03).

Im Normalfall genügt es, diesen Streifen des Fußweges zu streuen, damit keine Rutschgefahr mehr besteht.Die Pflicht zur Durchführung des Winterdienstes setzt immer ein, wenn eine Gefährdung besteht, wenn es also zu Glätte durch Schnee oder Eis kommt. Dabei ist jedoch eine angemessene Reaktionszeit des Verpflichteten zu berücksichtigen. Außerdem ist der Winterdienst – abgesehen von Ausnahmefällen – nur zur normalen Verkehrszeit durchzuführen. Diese ist üblicherweise zwischen 7 Uhr morgens und 20 Uhr abends, an Orten mit viel Verkehrs- aufkommen kann die Pflicht sogar bis 22 Uhr bestehen, z. B. vor Restaurants (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1984 - VI ZR 125/83). Sonntags beginnt die Pflicht jedoch erst ab 9 Uhr (BGH, Urteil vom 12. Juni 2012 - VI ZR 138/11 -, GE 2012, 1035).

Zudem besteht die Verpflichtung nur, wenn Maßnahmen auch sinnvoll sind. Bei starkem, anhaltendem Schneefall z. B. würde das Streuen von Streugut nichts nützen, dann gilt die Verpflichtung erst, wenn der Schneefall aufhört oder zumindest deutlich schwächer wird. Das Gleiche gilt bei überfrierender Nässe (BGH, Urteil vom 27. November 1984 - VI ZR 49/83).

Bei starkem Schneefall besteht neben der Streupflicht auch die Pflicht, den Schnee zur Seite zu räumen, damit der Fußweg wieder genutzt werden kann.

Wann besteht ein Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch?

Ein Schadensersatzanspruch besteht, wenn es zu einem Sturz aufgrund von Schnee oder Eis gekommen ist, und dies dadurch verursacht wurde, dass der Winterdienst nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Außerdem muss es natürlich zu einem Schaden gekommen sein. Das sind z. B. die üblichen Verletzungen, wie ein Oberschenkelbruch, Handgelenksbruch, Armbruch, Bänderdehnungen, Zerrungen, verstauchte Knöchel oder Kopfverletzungen infolge des Sturzes.Darüber hinaus können jedoch auch andere Schadenspositionen in Betracht kommen. So z. B. der berühmte Haushaltsführungsschaden, wenn der Geschädigte aufgrund der Verletzung nicht in der Lage ist, seinen Haushalt zu führen und dafür eine professionelle Hilfe braucht. Zudem jede Form von Behandlungskosten, Physiotherapie, Arztbesuche, Operationskosten usw. Gerade ein glättebedingter Sturz kann zu erheblichen Verletzungen führen, die die Gesundheit des Geschädigten teilweise langfristig oder sogar für immer beeinträchtigen.

Problematisch ist – wie bei allen Rechtsstreitigkeiten – meist die Beweislage. Die Beweislast für die Umstände des Sturzes und insbesondere für den nicht durchgeführten Winterdienst trägt nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Geschädigte (BGH, Urteil vom 12. Juni 2012 - VI ZR 138/11 -, GE 2012, 1035). Wenn möglich, ist es daher ratsam, im Falle eines Sturzes einen Zeugen dazu zu rufen, der sich insbesondere den Zustand des Bodens ansieht und die Qualität der Räum- und Streumaßnahmen einprägt.

Eine wichtige Rolle spielt auch das Wetter des Unglückstages, also ob es geschneit hat, und wenn ja, wie lange und wie anhaltend, denn während starken Schneefalls besteht die Pflicht zur Durchführung des Winterdienstes nicht (BGH, Urteil vom 22. November 1965 - III ZR 32/65). Sinnvoll ist es, Fotos von dem Boden zum Zeitpunkt des Sturzes zu machen. Dies ist wichtig, um die genaue Stelle des Sturzes zu dokumentieren. Manchmal kann es problematisch sein, zu bestimmen, welcher Anlieger für welchen Teil des Fußgängerweges zuständig ist. Dann ist es wichtig, mit Hilfe von Fotomaterial den exakten Ort nachzuweisen.

Wie ist der Schadensersatzanspruch am Besten durchzusetzen?

Zunächst sollte ermittelt werden, wer eigentlich für den Winterdienst am Ort des Sturzes zuständig war. Dies kann über das Bezirksamt Lichtenberg herausgefunden werden. Dann sollten der Sturz und seine Folgen dem jeweils Verpflichteten mitgeteilt werden. Meistens wird dann auf die Versicherung oder die Firma, die den Winterdienst durchführen sollte, verwiesen. Es ist sinnvoll, sich dann bereits frühzeitig anwaltlich beraten zu lassen, denn Versicherungen zahlen selten freiwillig und in der angemessenen Höhe Schmerzensgeld. Es ist wichtig, die normalerweise dreijährige Verjährungsfrist im Auge zu behalten. Es kommt vor, dass der Schriftwechsel mit einer Versicherung sich über einen sehr langen Zeitraum hinzieht, ohne dass die Ansprüche eindeutig abgelehnt oder eindeutig anerkannt werden. In diesen Fällen muss unbedingt vor Ablauf der Verjährungsfrist das Klageverfahren durchgeführt werden.
Autor: RA Tim Zirngast