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Wegen Mietmängeln: Neues vom Zurückbehaltungsrecht
06.12.2000 (GE 23/2000, 1585) Der Fall (angelehnt an LG Saarbrücken NZM 1999, 757): Mieter M. schuldet eine Bruttokaltmiete von 610 DM. Er zeigt dem Vermieter an, daß die Toilettenspülung defekt ist. Die voraussichtlichen Instandsetzungskosten betragen ca. 250 DM. Der Schaden wird nicht beseitigt. M. errechnet sich einen Minderungsbetrag von 5 % (also 30,50 DM) und ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe des Vierfachen des Minderungsbetrages, also 122 DM. Er überweist nur die Restmiete von 457,50 DM, unternimmt aber weiter nichts. Nach zwei Jahren kündigt V. das Mietverhältnis unter Berufung auf § 554 BGB fristlos.
1 Neben den Gewährleistungsansprüchen der §§ 537 ff. BGB steht dem Mieter bei Mängeln auch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB zu. Die Rechtsprechung ist der grundlegenden Entscheidung des BGH (NJW 1982, 2242) gefolgt; auch in der Literatur wird nur vereinzelt ein Zurückbehaltungsrecht grundsätzlich verneint (MüKo-Voelskow Rdn. 7 Vor § 537; Lammel, Wohnraummietrecht Rdn. 5 zu § 537).

2 Obwohl die Entscheidung des BGH schon 1982 veröffentlicht wurde, spielte zunächst das Zurückbehaltungsrecht neben dem Minderungsrecht in der Rechtsprechung keine Rolle, obwohl es für die Frage des Verzugs von Amts wegen zu berücksichtigen ist, denn nach einhelliger Auffassung genügt schon das objektive Bestehen des Zurückbehaltungsrechts, ohne daß sich der Mieter also darauf berufen müßte (vgl. Beuermann GE 1994, 362 m. w. N.).

3 Etwa seit 1990 vertreten - soweit ersichtlich - alle Mietberufungskammern des Landgerichts Berlin die Auffassung, der Mieter könne neben der Minderung ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe des Drei- bis Fünffachen des Minderungsbetrages geltend machen (z. B. LG Berlin GE 1990, 705). Auf die Höhe der Beseitigungskosten soll es nicht ankommen (so aber LG Saarbrücken und LG Bonn; vgl. Nies NZM 2000, 1134 Anm. 8).

4 Damit kann bei erheblichen Mängeln der Mieter die Mietzahlungen völlig einstellen, da etwa bei einer Minderungsquote von 25 % das Zurückbehaltungsrecht die restlichen 75 % der Miete erfaßt. Bleibt der Vermieter untätig, kann sich dies über einen längeren Zeitraum hinziehen, wobei die grundsätzliche Verpflichtung des Mieters, nach Behebung des Mangels die einbehaltene Miete nachzuzahlen, wirtschaftlich ohne Bedeutung sein kann (vgl. LG München NZM 2000, 87: „Möglichkeit für den Mieter, monatelang vorübergehend kostenlos zu wohnen”).

5 Der Hinweis, der Vermieter habe dies schließlich selbst zu vertreten, wenn er den Mangel nicht beseitigt, ist nur auf den ersten Blick plausibel. Insbesondere dann, wenn sich der Einbehalt über einen längeren Zeitraum erstreckt und die Mängelbeseitigungskosten weit übersteigt, sind die Relationen zwischen Leistung (des Vermieters) und Gegenleistung (des Mieters) so verschoben, daß eine Korrektur geboten erscheint.

6 Dazu kommt ein bisher in der Rechtsprechung kaum erörterter Aspekt. Üblicherweise wird entsprechend § 322 Abs. 1 BGB angenommen, das Zurückbehaltungsrecht des Mieters führe dazu, daß er zur Zahlung Zug um Zug gegen Beseitigung der Mängel zu verurteilen sei. In der Regel trifft dies allerdings nicht zu, denn der Vermieter ist vorleistungspflichtig, da er die Mietsache während des Mietverhältnisses in einem zum vertragsmäßigen Gebrauche geeigneten Zustand halten muß (§ 536 BGB). Ist die Regelung des § 551 BGB nicht (wirksam) abbedungen worden, folgt schon daraus die Vorleistungspflicht des Vermieters (Palandt-Heinrichs, 59. Aufl. Rdn. 16 zu § 320 BGB). Auch im übrigen ergibt sich zumindest für die Folgemonate nach Auftreten des Mangels und dessen Anzeige eine Vorleistungspflicht des Vermieters. Die Folge ist dann, daß eine Zahlungsklage mangels Fälligkeit des Anspruchs abzuweisen ist (BGHZ 61, 44), sofern nicht der Vermieter dem Mieter erfolglos die Mangelbeseitigung angeboten hatte (vgl. Beuermann GE 1994, 362).

7 In der neueren Rechtsprechung ist ein Trend festzustellen, das Zurückbehaltungsrecht des Mieters einzuschränken. So wird angenommen, bei einer vorbehaltlosen Mietzahlung über einen längeren Zeitraum verliere der Mieter nicht nur sein Minderungsrecht, sondern auch ein Zurückbehaltungsrecht (OLG Hamm ZMR 2000, 93; LG Düsseldorf DWW 1999, 184; vgl. auch Wichert ZMR 2000, 65). Eine solche Lösung erscheint allerdings fragwürdig, denn der Mangelbeseitigungsanspruch des Mieters erlischt nicht durch mehrfach vorbehaltlose Mietzahlung (so noch OLG Hamm GE 1996, 186); für den Ausschluß des Erfüllungsanspruchs, der nur ausnahmsweise eintritt, ist „größte Zurückhaltung geboten” (BGH GE 1997, 1165).

8 Einen originellen Lösungsvorschlag hat das OLG Frankfurt/Main (NZM 2000, 186) gemacht. Es meint, das Zurückbehaltungsrecht entfalle dann, wenn durch Zeitablauf die Mangelbeseitigung für diesen Zeitraum unmöglich werde. Der Mieter könne daher über den jeweiligen Monat hinaus nach dessen Ablauf kein Zurückbehaltungsrecht mehr geltend machen. Wäre diese Auffassung richtig, würde sich das Zurückbehaltungsrecht nur dahingehend auswirken, daß statt am Monatsanfang die Miete am Monatsende (voll) zu zahlen ist. Der Zweck des § 320 BGB, den Vermieter zum Tätigwerden über das Druckmittel des Zurückbehaltungsrechts zu veranlassen (BGH NJW 1982, 2242), wäre verfehlt.

9 Auch das LG München (NZM 2000, 87) meint, das Zurückbehaltungsrecht sei weder nach der Minderungsquote noch nach den Reparaturkosten zu bemessen, sondern nach „objektiven Kriterien im Einzelfall”. Welche das sein sollen, läßt das Gericht offen und meint, anders als bei einem Irrtum über die Minderungshöhe komme ein verzugausschließender Irrtum des Mieters über ein Zurückbehaltungsrecht nicht in Betracht (a. A. z. B. LG Berlin GE 1998, 617). Auch hierfür fehlt eine Begründung.

10 Das Landgericht Berlin (MM 1996, 449) meint, ein Mieter, der sich vorprozessual nur auf Minderung berufen habe, könne dazu ein Zurückbehaltungsrecht nicht geltend machen. Ähnlich wie das OLG Frankfurt/Main geht das LG Berlin von einer Unmöglichkeit durch Zeitablauf aus, da sich eine ungestörte Nutzung nachträglich nicht mehr herstellen lasse. Daß ein Zurückbehaltungsrecht automatisch besteht, ohne daß der Mieter sich darauf berufen muß, wird nicht erwähnt.

11 Andere Gerichte nehmen eine Korrektur über Treu und Glauben vor, worauf § 320 Abs. 2 BGB ausdrücklich verweist. So entfällt ein Zurückbehaltungsrecht für den Mieter, an dessen Zahlungsfähig- und -willigkeit Zweifel bestehen (LG Braunschweig ZMR 1999, 827). Hat der Mieter den Mangel nicht angezeigt, ist nach § 545 BGB an sich nur das Minderungsrecht ausgeschlossen. Auch das Zurückbehaltungsrecht soll jedoch dann entfallen (LG Berlin GE 1998, 617).

Eigene Stellungnahme
12 Grundsätzlich besteht ein Zurückbehaltungsrecht des Mieters auch neben den Gewährleistungsansprüchen. Es entsteht fortlaufend für jeden Mietzahlungszeitraum, bis der Mangel beseitigt ist. Grundsätzlich erscheint auch die Bemessung nach dem Minderungsbetrag zutreffend, denn die Gegenleistung des Vermieters im Sinne des § 320 BGB ist nicht die Reparatur (wie im Werkvertrag), sondern die Überlassung und Erhaltung im mangelfreien Zustand.

14 Gleichwohl können die Reparaturkosten nicht völlig beiseite gelassen werden; dies erschiene „kaum sachgerecht” (Kraemer WuM 2000, 517). Aus § 320 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 242 BGB ist daher zu folgern, daß bei Mieteinbehalt über einen längeren Zeitraum insgesamt das Dreifache der voraussichtlichen Reparaturkosten nicht überschritten werden darf. Behält der Mieter trotzdem weiter einen Teil der Miete ein, kann er sich nicht auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum berufen. Der vorsichtige Mieter wird im eigenen Interesse nicht nur den Mangel anzeigen, sondern auch die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts, während der vorsichtige Vermieter nicht nur nach Beseitigung des Mangels die Zahlungen anmahnt (LG Berlin GE 1995, 821), sondern auch den Mieter darüber informiert, daß die voraussichtlichen Reparaturkosten inzwischen weit überschritten sind.

Ergebnis
Die Räumungsklage von V. ist begründet, denn der von M. einbehaltene Betrag überschreitet das Dreifache der Mangelbeseitigungskosten bei weitem; M. ist mit mehr als zwei Monatsmieten in Verzug.
Autor: RiAG Rudolf Beuermann