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Mieterhöhungsverlangen bei einer Bruttomiete ohne Aufschlüsselung des Betriebskostenanteils
Vor dem 18. Juni 2019 gestellt, erstmals zu zahlen danach
07.09.2020 (GE 16/2020, S. 1022) Verlangt der Vermieter Zustimmung zur Bruttomieterhöhung, ist es jedenfalls dann, wenn die begehrte Bruttokaltmiete unter dem Spannenunterwert des einschlägigen Mietspiegelfeldes liegt, unschädlich, dass in dem Mieterhöhungsverlangen eine ausdrückliche Angabe bzw. Berechnung der in der Miete enthaltenen Betriebskosten fehlt. § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln steht einem vor dem Senatsbeschluss vom 18. Juni 2019 zugegangenen Mieterhöhungsverlangen, dessen Wirkung der Vertragsänderung erst nach dem Stichtag eintritt, nicht entgegen.
Der Fall: Die Klägerin verlangte mit Mieterhöhungsverlangen vom 12. Juni 2019 von der Beklagten Zustimmung zu einer Erhöhung der Bruttokaltmiete für ihre Wohnung mit Wirkung ab 1. September 2019. Die Beklagten halten das Mieterhöhungsverlangen bereits formell für unwirksam, weil unklar geblieben sei, ob (unzulässigerweise) eine Änderung der Mietstruktur vorgenommen worden und die – hier unterbliebene – Angabe des Betriebskostenanteils zwingend gewesen sei, um die Vergleichbarkeit mit dem Berliner Mietspiegel herzustellen, der nur Nettokaltmieten ausweise. Das AG Neukölln hatte die Beklagte zur Zustimmung verurteilt, ihre Berufung blieb erfolglos.

Das Urteil: Ob ein Mieterhöhungsverlangen formell unwirksam sei, wenn der Vermieter damit weitere Änderungen des Mietvertrages – wie eine Änderung der Mietstruktur – anstrebe, könne hier offenbleiben. Durch ein Mieterhöhungsverlangen werde hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Mietstruktur nicht geändert werden solle. Bei einer etwa bereits außergerichtlich erteilten Zustimmung wäre das Erhöhungsverlangen auch ungeeignet, eine solche herbeizuführen. Es sei ein neuer Quadratmeterpreis von 2,83 € (x 86,88 m2 = 245,87 €) genannt worden, der ersichtlich von der genannten Ausgangsmiete abweiche; folgerichtig sei nachfolgend die verlangte Miete auch ausdrücklich als Bruttokaltmiete bezeichnet und in der Folgezeile als ab 1. September 2019 geschuldete Gesamtmiete aufgeführt worden.
Unschädlich sei, dass in dem Mieterhöhungsverlangen eine ausdrückliche Angabe bzw. Berechnung der in der Miete enthaltenen Betriebskosten fehle. Dieser Angaben bedürfe es nicht, wenn die begehrte Bruttokaltmiete – wie hier – unter dem Spannenunterwert des unstreitig zugrunde zu legenden Mietspiegelfeldes liege.
§ 3 Abs. 1 MietenWoG stehe dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Das Mieterhöhungsverlangen datiere vom 12. Juni 2019. Die Kammer habe bereits entschieden, dass § 3 Abs. 1 MietenWoG einem Mieterhöhungsverlangen nicht entgegensteht, dessen Mieterhöhungszeitpunkt vor dem definierten Stichtag liegt (vgl. LG Berlin [ZK 65], GE 2020, 875). Die Kammer habe in diesem Verfahren wegen der abweichenden Auffassung einer anderen Kammer des LG (noch) die Revision zugelassen. Inzwischen ist die Entscheidung des BGH vom 29. April 2020 (VIII ZR 355/18, GE 2020, 798) veröffentlicht, aus der sich ergibt, dass der für Wohnraummietsachen zuständige VIII. Senat des BGH die Rechtsfrage wie die Kammer auch beantwortet habe.
Die Kammer sei der Auffassung, dass diese Erwägungen auch griffen, wenn das Mieterhöhungsverlangen vor dem Stichtag gestellt worden ist, die Wirkung der Vertragsänderung wegen der dem Mieter zustehenden Überlegungs- und Zustimmungsfrist aber erst nach dem Stichtag eintritt.
Ein Mieterhöhungsverlangen, das vor dem Senatsbeschluss vom 18. Juni 2019 gestellt wurde, dessen Mieterhöhungszeitpunkt nach dem Stichtag liege, sei nicht anders zu beurteilen als ein solches, dessen Mieterhöhungszeitpunkt vor dem Stichtag liege, denn in beiden Fällen sei das Mieterhöhungsverlangen in Unkenntnis des Senatsbeschlusses gestellt worden.
Der Landesgesetzgeber gehe in der Begründung des Gesetzentwurfes davon aus, dass (erst) ab dem 18. Juni 2019 mit dem Beschluss der „Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz (Mietendeckel)“ durch den Senat und dessen – eben deshalb veranlasster – Veröffentlichung öffentlich bekannt war, dass der Tag des Senatsbeschlusses als Anknüpfungspunkt für das künftige in § 3 Abs. 1 MietenWoG geregelte Verbot dienen solle. Frühestens ab diesem Zeitpunkt seien Inhalte der beabsichtigten Regelungen in ihren Umrissen vorhersehbar gewesen.
Auch erst mit dem Senatsbeschluss sei die zuständige Senatsverwaltung mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes beauftragt und damit die Einleitung des (förmlichen) Gesetzgebungsverfahrens für einen „Mietendeckel“ konkret in Aussicht gestellt worden. Im Zeitpunkt des Senatsbeschlusses vom 18. Juni 2019 habe es noch nicht einmal einen Referentenentwurf gegeben, sondern erst Ende August 2019.
Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, so die Kammer, sei es nicht vertretbar, an den Beginn der allgemeinen (politischen) Diskussion einer Gesetzesregelung so weitreichende Rechtsfolgen zu knüpfen wie hier – ein an den Vermieter gerichtetes Verbot, seinen Anspruch aus geltenden Vorschriften des sozialen Wohnraummietrechts des BGB zu verfolgen. Eben dies sei – den Gesetzesmaterialien zufolge – auch nicht der Sinn und Zweck der Stichtagsregelung gewesen. Zudem habe der Landesgesetzgeber sich ausdrücklich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen bewegen wollen, die der Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Verhältnismäßigkeitsprinzip ihm auch bei unterstellter Annahme einer unechten Rückwirkung setzten.

Anmerkung: Ganz so, wie die Kammer jetzt ihre eigene bisherige Entscheidungspraxis ins Licht setzt, war es nun doch nicht. Sowohl in der von Kammer hier zitierten Entscheidung vom 27. Mai 2020 - 65 S 233/19 - (GE 2020, 875) als auch in ihrer Entscheidung vom 10. Juni 2020 - 65 S 55/20 - (GE 2020, 876) hatte sie gefordert, das Mieterhöhungsverlangen müsse „deutlich“ vor dem 18. Juni liegen. In unserer Anmerkung zu beiden Entscheidungen hatten wir geschrieben, dass die Urteile uns „ratlos machen“, denn was sei ein „deutlich“ vor dem 18. Juni ausgesprochenes Mieterhöhungsverlangen und was ein „in Unkenntnis des Senatsbeschlusses an den Mieter gerichtetes“? „Deutlich“ sei an beiden Aussagen nichts!
Das hat die Kammer jetzt korrigiert, jedenfalls verstehen wir die Entscheidung so, dass jedes (auch noch kurz) vor dem Stichtag 18. Juni 2019 gestellte Mieterhöhungsverlangen unabhängig von seinem Wirkungszeitpunkt (Mieterhöhungszeitpunkt) zustimmungspflichtig ist, sofern die formellen und materiellen (Wartefrist, Kappungsgrenze, ortsübliche Miete) Voraussetzungen eingehalten sind.
Aber auch wenn in diesem Akt der Vorhang zu ist, bleiben viele Fragen offen. Beispielsweise die, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, dem Vermieter die durch eine nach dem Stichtag wirksam gewordene Mieterhöhung zwar nicht rückwirkend, aber ab Inkrafttreten des Mietendeckelgesetzes wieder zu entziehen. D. B.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2020, Seite 1055 und in unserer Datenbank.


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