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Zahlungsanspruch der Betreiber von Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften gegen öffentliche Hand
BGH hält den Rechtsweg bei den Sozialgerichten für gegeben
07.07.2021 (GE 11/2021, S. 671) Ob ein Vermieter aus der Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers einen einklagbaren Anspruch hat und welcher Rechtsweg eröffnet ist, wird von den Gerichten unterschiedlich beurteilt. Das Kammergericht hatte gemeint, es handele sich um eine privatrechtliche Selbstverpflichtung, für die der ordentliche Rechtsweg gegeben sei (KG vom 11. Juni 2019 - 11 W 2/19 -, GE 2019, 917). Der BGH hatte bereits in einer früheren Entscheidung angedeutet, dass er eher den Weg zu den Sozialgerichten für den gegebenen hält (GE 2020, 1492). Jetzt entscheidet er sich endgültig: Für den Zahlungsanspruch, den ein Betreiber von Obdachlosenunterkünften aus einem an ihn gerichteten, die Beherbergung eines Flüchtlings betreffenden „Kostenübernahmeschein“ eines öffentlichen Leistungsträgers ableitet, ist in der Regel der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben.
Der Fall: Die Klägerin betreibt in Berlin sechs Beherbergungsstätten für Wohnungslose. Über eine tägliche Belegungsmeldung wurden die freien Plätze in den Obdachlosenunterkünften u. a. den JobCentern mitgeteilt. Diese wiesen den Beherbergungsstätten der Klägerin dann je nach Bedarf Flüchtlinge oder Asylbewerber zu. Für vier Beherbergungsstätten schlossen die Parteien weitgehend einheitliche Betreiberverträge. Darin verpflichtete sich die Klägerin, eine Gemeinschaftsunterkunft mit einer bestimmten Kapazität zur vorübergehenden Unterbringung u. a. von Flüchtlingen und Asylbewerbern zur Verfügung zu stellen, und der Beklagte verpflichtete sich, für jede eingewiesene Person während der Gültigkeit einer Kostenübernahmeerklärung einen bestimmten Tagessatz zu entrichten. Mit Schreiben vom 21. Juni 2017 kündigte das Land Berlin sämtliche Betreiberverträge fristlos. Mit der Klage nimmt die Klägerin das Land Berlin für die Beherbergung von Flüchtlingen in den Monaten September bis Dezember 2017 auf Entgeltzahlung in Höhe von insgesamt 145.684,62 € in Anspruch. Die Parteien streiten im vorliegenden Zwischenverfahren darüber, ob für die Klage der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Sozialgerichten gegeben ist. LG und KG haben den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Der BGH ist anderer Auffassung.

Der Beschluss: Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es – wie hier – an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der von Rechtssätzen des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird. Entscheidend ist demnach die wahre Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs.
Grundsätzlich kann die von einem öffentlichen Leistungsträger an einen Unterkunftsanbieter gerichtete rechtsverbindliche Erklärung, die Kosten für die Unterkunft einer leistungsberechtigten Person (Hilfeempfänger) zu übernehmen, eine öffentlich-rechtliche oder eine privatrechtliche Erklärung darstellen. Dass ein Anspruch je nach den Umständen des Einzelfalls privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sein kann, bedeutet aber nicht, dass eine feie Wahl zwischen den in Betracht kommenden Rechtswegen besteht.
Im Streitfall sind die Zahlungsansprüche der Klägerin gegen das Land Berlin wegen der Unterbringung von Flüchtlingen als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren.
Soweit die Klägerin ihre Zahlungsansprüche auf die – dem Land Berlin zuzurechnenden – Erklärungen in den Kostenübernahmescheinen des JobCenters stützt, ist von einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit auszugehen, weil der Rechtsinhalt dieser etwaigen Ansprüche maßgeblich von Rechtssätzen des öffentlichen Rechts, namentlich durch die Vorschriften des SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende), geprägt wird.
Die Betreiberverträge sind als öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB X einzuordnen. Vertragsgegenstand ist gemäß § 1 dieser Verträge der Betrieb einer Gemeinschaftsunterkunft zur vorübergehenden Unterbringung von – u. a. – Flüchtlingen und Asylbewerbern durch die Klägerin, wobei die Belegung der Unterkunftsplätze durch den Beklagten bzw. dessen Dienststellen erfolgt. Die Klägerin ist gemäß § 2 der Verträge verpflichtet, die Gemeinschaftsunterkunft in einem vertragsgemäß geeigneten Zustand zu betreiben. Ihrem Zweck nach stehen die Verträge danach in enger, unlösbarer Beziehung zur Erfüllung der zweifelsohne öffentlichen Aufgabe, die ordnungsgemäße Unterbringung (u. a.) von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu gewährleisten. Der öffentlich-rechtliche Charakter der Verträge wird besonders deutlich an der Berechtigung des Beklagten, einseitig zu bestimmen, dass die Gemeinschaftsunterkunft vollständig oder in Teilen als Aufnahmeeinrichtung nach § 44 AsylG genutzt wird, oder auch einseitig die Qualitätsanforderungen an den Betrieb und die Ausstattung der Unterkunft zu ändern.
Für die Einordnung der Betreiberverträge als öffentlich-rechtlich spricht ferner, dass Verträge, in denen ein öffentlicher Leistungsträger mit einem (privaten) Leistungserbringer – wie hier – Regelungen über den Inhalt, den Umfang und die Qualität der zu erbringenden Leistungen sowie über die Vergütung trifft, regelmäßig als öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB X angesehen werden.
Demgegenüber tritt eine in Teilen zivilrechtliche Ausdrucksweise in den Betreiberverträgen in den Hintergrund.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2021, Seite 693 und in unserer Datenbank.


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