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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Räumung – selbst wenn das JobCenter die Miete zahlt
Vorsicht bei einer Vollstreckung vor Rechtskraft des Urteils
31.05.2021 (GE 8/2021, S. 470) Wartet der Vermieter die Rechtskraft eines nur vorläufig vollstreckbaren Räumungsurteils nicht ab, trägt er vollständig die Gefahr einer unberechtigten Vollstreckung; auf die Richtigkeit des aufhebenden oder abändernden Urteils kommt es nicht an. Ein Schadensersatzanspruch des Mieters aus unberechtigter Räumungsvollstreckung scheidet auch nicht von vornherein deshalb aus, weil die Miete für die neue Wohnung – wie für die vorherige – vom JobCenter gezahlt wird.
Der Fall: Die Kläger (ehemalige Mieter), deren Miete für die bisherige wie auch die Miete für die jetzige Wohnung vom JobCenter gezahlt wird, haben die Beklagten u. a. auf Ersatz der Mietdifferenz zwischen ihrer jetzigen und ihrer früheren Wohnung verklagt, nachdem die Beklagten aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Räumungsurteil des AG die Räumung durchgeführt haben; in der Berufungsinstanz hatte das Landgericht Berlin das AG-Urteil abgeändert und die Räumungsklage abgewiesen.

Das Urteil: Der Vermieter ist dem Mieter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Mieter durch die Räumungsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil entsteht, wenn dieses aufgehoben oder abgeändert wird, wobei es gleichgültig ist, ob das aufhebende oder abändernde Urteil richtig ist oder nicht. Wer aus einem nur für vorläufig vollstreckbaren Urteil vollstreckt, trägt alleine die Gefahr einer unberechtigten Vollstreckung.
Den Klägern ist durch die Vollstreckung ein Schaden entstanden. Infolge der Räumung haben sie eine neue Wohnung mieten müssen, deren Miete höher war als die bisherige. Der Schadensersatzanspruch lässt sich auch nicht damit verneinen, dass die Miete für die neue Wohnung – wie für die vorherige – vom JobCenter gezahlt wird.
Die zivil- und sozialrechtlichen Leistungsbeziehungen zwischen Vermieter und Mieter einerseits und zwischen Mieter und JobCenter andererseits sind voneinander unabhängig. Selbst eine Direktzahlung des JobCenters an den Vermieter ändert nichts daran, dass Anspruchsinhaber in der Leistungsbeziehung JobCenter/Mieter der Mieter bleibt, und im mietvertraglichen Verhältnis zum Vermieter bleibt die Zahlung der Miete eine Leistung des Mieters.
Außerdem können etwaige Schadenersatzzahlungen der Beklagten als Einkommen zu berücksichtigen sein und zu einer Reduzierung der laufenden Zahlungen des JobCenters führen. Ansprüche der Kläger auf von der Allgemeinheit finanzierte JobCenter-Leistungen führen jedoch nicht zu einer Entlastung der Beklagten als Schädiger.
Art und Umfang des Ersatzanspruchs richten sich nach §§ 249 ff. BGB, wobei der geltend gemachte Schaden auf die Zwangsvollstreckung zurückzuführen sein muss.
Nach § 249 Abs. 1 BGB hat der Schädiger den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre; nach § 251 Abs. 1 BGB kann an die Stelle der Naturalrestitution Wertersatz treten, wofür sich die Kläger entschieden hatten.
Wird wie im vorliegenden Fall die Differenz zwischen der bisherigen und der neuen Miete verlangt, ist diese Differenz ersatzfähig, wenn die neue Wohnung nach Ausstattung, Zuschnitt, Lage oder Größe mit der bisherigen Wohnung vergleichbar ist; nicht erstattungsfähig ist die Differenz, wenn (und soweit) sie auf einem höheren Wohnwert beruht.
Ist der Mietdifferenzschaden zwischen den Parteien streitig, muss er durch einen mit dem örtlichen Mietmarkt vertrauten Sachverständigen ermittelt werden. Dabei darf man zur Ermittlung der Höhe des Schadens nicht lediglich die „neue“ Miete mit der im „alten“ Mietverhältnis geschuldeten vergleichen und eine auf die Größe der alten Wohnung hochgerechnete Differenz als Schaden in Ansatz bringen. Auch aus dem Umstand allein, dass die Kläger nunmehr eine höhere Miete als zuvor zu zahlen haben, folgt auch dann nicht zwingend ein Schaden. Vor allem die Wohnwertunterschiede sind von Bedeutung, nicht aber ein abweichender Stromverbrauch, der maßgeblich durch das individuelle Verbrauchsverhalten der Kläger bestimmt wird und auch nicht durch die unberechtigte Räumung verursacht worden ist.
Auf Basis einer am Mietspiegel orientierten Punktebewertung kommen Kammer und Gutachter zur Auffassung, dass als Ausgleich für die höhere Wertigkeit der neuen Wohnung die Miete der bisherigen Wohnung um 22 % zu erhöhen ist und als Schadensersatz die Differenz zwischen dieser fiktiv erhöhten Miete für die bisherige Wohnung und der Miete für die neue Wohnung zu zahlen ist. Daraus ergibt sich folgende Berechnung:
Bisherige Miete: 5,95 €/m²
Wertaufschlag (5,95 €/m² x 0,22): 1,31 €/m²
Fiktive Gesamtmiete: 7,26 €/m²
Miete neue Wohnung: 8,24 €m²
Schadensersatz für den geltend gemachten Zeitraum (März 2014 bis Mai 2015): (8,24 €/m² ./. 7,26 €/m²) = 0,98 €/m² x 71 m2 Wohnfläche = monatlich 69,58 € x 15 Monate) = 1.043,70 €.
In Bezug auf diesen Schaden ist die Räumung auch kausal gewesen. In diesem Zusammenhang keine Rolle gespielt hat die Tatsache, dass es noch einen weiteren vollstreckbaren Titel gegen die Kläger gegeben hat; vorliegend ist nicht aus diesem weiteren Titel, sondern aus dem Versäumnisurteil vollstreckt worden.
Der Schadensersatzanspruch entfällt auch nicht deshalb, weil die Kläger in dem Rechtsstreit nicht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt haben. Zwar kann der Verzicht auf ein mögliches Rechtsmittel als Verschulden gegen sich selbst anzusehen sein mit der Folge, dass ein Schadensersatzanspruch entfallen kann. Doch sind die Beklagten hier zur Vollstreckung aufgrund eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils berechtigt gewesen, und das Risiko, dass das Urteil, aus dem Urteil vollstreckt wird, aufgehoben oder abgeändert wird, liegt beim Vollstreckenden. Zudem haben die Kläger hier Sicherheit zur Abwendung der vorläufigen Vollstreckung geleistet und Berufung eingelegt.
Schließlich: Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht deshalb (zumindest teilweise) ausgeschlossen, weil die Beklagten im Jahre 2015 die Miete erhöhen wollten. Dass eine Mieterhöhung erklärt wurde, ist nicht vorgetragen. Eine „ins Auge gefasste Möglichkeit“ einer Erhöhung allein lässt den Schaden nicht entfallen.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2020, Seite 506 und in unserer Datenbank.


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