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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Sachverständigengutachten zur ortsüblichen Miete contra qualifizierten oder auch einfachen Mietspiegel
Mieterhöhung – ZK 67 des Landgerichts Berlin macht eine weitere Front auf
19.06.2019 (GE 10/2019, S. 631) Das Berufungsgericht (Landgericht) darf die ortsübliche Vergleichsmiete auch dann auf Grundlage eines (einfachen) Mietspiegels bestimmen, wenn das erstinstanzliche Gericht sie im ersten Rechtszug auf Grundlage eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ermittelt hat. Das meint jedenfalls die 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin.
Der Fall: Der Vermieter begehrte die Zustimmung zu einer Mietanhebung um monatlich 23,17 €; der Mieter stimmte nicht zu. Der Vermieter erhob daraufhin Klage. Das AG (Spandau) holte ein Sachverständigengutachten ein und verurteilte den Mieter zur Zustimmung. Das führte zur Berufung des Mieters zum Landgericht.

Das Urteil: Das LG Berlin (ZK 67) wies die Klage ab. Das Berufungsgericht habe die ortsübliche Vergleichsmiete auf der Grundlage des Mietspiegels 2017 bestimmen dürfen und müssen, obwohl das AG seine Entscheidung auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten über die ortsübliche Vergleichsmiete gestützt habe. Das Berufungsgericht wäre an die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen nur dann gebunden, wenn keine konkrete Anhaltspunkte Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen und deshalb keine erneute Feststellung gebieten. Dies gelte grundsätzlich auch für erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden seien.
Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt gewesen, da die Kammer nicht überzeugt sei, dass die vom erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen ermittelte Miete der ortsüblichen Vergleichsmiete der Wohnung entspreche.
Die Beweiserhebung und Beweiswürdigung des AGs binde die Kammer schon deshalb nicht, weil das AG sich nicht mit den konkreten Feststellungen des Sachverständigen und den vom beklagten Mieter gegen das Gutachten erhobenen Einwänden auseinandersetzt habe. Das AG hätte sich jedenfalls wegen der vom Beklagten erhobenen Einwände nicht „im Wesentlichen begründungslos“ an das eingeholte Sachverständigengutachten halten dürfen, sondern sich ein eigenes Urteil auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen bilden müssen.
Zweifelhaft sei auch, dass das AG die ortsübliche Vergleichsmiete allein auf Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens ermittelt habe, obwohl sich der Beklagte zu seinen Gunsten auf den qualifizierten Berliner Mietspiegel 2017 berufen habe.
Berufe sich eine Streitpartei auf die vom Gesetzgeber geschaffene Beweiserleichterung des § 558d Abs. 3 BGB – danach wird gesetzlich vermutet, dass der qualifizierte Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergibt –, seien die Gerichte nicht befugt, zu deren Lasten von den sich aus dem Mietspiegel ergebenden Werten abzuweichen, solange nicht die Gegenpartei den Beweis des Gegenteils führe, also nachweise, dass der Mietspiegel kein qualifizierter sei.
Auch angesichts dessen stelle das Sachverständigengutachten keine hinreichende Grundlage für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete dar.
Im Übrigen sei der Sachverständige auch noch von einer unzutreffenden Ausstattung der streitbefangenen Wohnung ausgegangen. So sei die Wohnung – abweichend von den Feststellungen des Sachverständigen – aufgrund einer Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag als eine solche zu behandeln, die weder mit einer Kochmöglichkeit noch mit einer Spüle ausgestattet sei. Diese Wohnungsausstattung habe der Vermieter im Berufungstermin ausdrücklich unstreitig gestellt. Ähnliches gelte für den in der Küche befindlichen Terrazzoboden als wohnwerterhöhendes Merkmal. Das treffe auch für die sachverständige Bewertung des Wohnungsumfeldes als „neutral“ zu, da der Mieter eine erhebliche Fluglärmbeeinträchtigung behauptet und auch der Sachverständige festgestellt hatte, dass sich die streitgegenständliche Wohnung „tendenziell im Bereich störender Lärmemissionen“ befinde und zudem nicht näher definierten „erhöhten Störeinflüssen“ ausgesetzt sei.
Die Kammer sei nicht gehalten gewesen, den Sachverständigen zu den Mängeln eines Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 ZPO anzuhören oder gar gemäß § 412 ZPO ein neuerliches Gutachten einzuholen, da die Entscheidung des AGs auf einer richterlichen Schätzung der ortsüblichen Vergleichsmiete beruht habe. In diesem Fall sei das Berufungsgericht befugt, den Prozessstoff als Grundlage der nach § 529 ZPO berücksichtigungsfähigen Tatsachen ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig nach allen Richtungen von neuem zu prüfen und unter Heranziehung der für geeignet erachteten Schätzungsgrundlage zu bewerten.
Selbst wenn es die erstinstanzliche Entscheidung für vertretbar halte, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, dürfe es nach seinem Ermessen eine eigene Bewertung vornehmen.
Die Bestimmung der ortsüblichen Miete durch das AG habe auf einer Schätzung beruht, selbst wenn dabei das Strengbeweismittel eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zugrunde gelegt worden sei. Denn bei der zwischen den Parteien streitigen Anwendbarkeit des Mietspiegels gehe es nicht um die Vermeidung einer Schätzung, sondern um die Frage, auf welcher Grundlage zu schätzen sei. Dass das vom Sachverständigen angewandte Vergleichswertverfahren ebenso auf einer – und zudem „schlichten“ – Schätzung beruhe, ergebe sich aus dem Gutachten selbst. Der Sachverständige habe dort ausdrücklich bestätigt, dass bei dem von ihm angewandten Verfahren eine „statistische Unsicherheit“ verbliebe, die nicht zu einer wissenschaftlich exakten Wertermittlung führe, sondern „vergleichbar mit der Orientierungshilfe zum Mietspiegel“ lediglich ein bloßer Näherungswert sei.
Deshalb schätze die Kammer die Höhe der ortsüblichen Miete in ständiger Rechtsprechung unter Zugrundelegung des Berliner Mietspiegels 2017, was einem Sachverständigengutachten vorzuziehen sei. Die Überlegenheit nicht nur des qualifizierten, sondern auch des „einfachen“ Mietspiegels ergebe sich bereits daraus, dass der Sachverständige regelmäßig über kein derart breites und repräsentatives Datenmaterial verfüge, wie dies die Gemeinde in Zusammenarbeit mit den Interessenverbänden zusammentrage. Der Mietspiegel orientiere sich zudem an einem objektiven Maßstab, der einen repräsentativen Querschnitt der üblichen in der Gemeinde gezahlten Entgelte darstellen solle. Das gelte auch für den Berliner Mietspiegel 2017.
Die vom Sachverständigen angewandte Bewertungsmethode führe zu keinen genaueren oder gar richtigeren Ergebnissen, da sie im Wesentlichen nicht nur von einer nur unzureichend qualifizierbaren „sachverständigen Erfahrung“, sondern zudem durch die Verwendung eines „Grobrasters“ beeinflusst sei, die jeweils auch nach den Ausführungen des Sachverständigen eine nicht unerhebliche statistische Bewertungsunsicherheit zur Folge hätten. Es komme hinzu, dass die Vergleichbarkeit der vom Sachverständigen zum individuellen Vergleich herangezogenen Wohnungen nicht hinreichend verlässlich festgestellt werden könne, da die Küchen der angegebenen Vergleichswohnungen überwiegend mit Spüle und Herd und zum Teil sogar mit einer Einbauküche ausgestattet seien, während die streitgegenständliche Wohnung eine davon negativ abweichende Ausstattung aufweise.
Schließlich spreche auch der Grundsatz der Prozessökonomie für die Verwendung des Mietspiegels. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das AG habe Kosten von 2.821,48 € verursacht. Angesichts des „zweifelhaften Beweiswerts des Gutachtens“, der nahezu einjährigen Verfahrensdauer in erster Instanz und der im Streit stehenden Mieterhöhungssumme von monatlich 23,17 € laufe eine solche Handhabung dem Grundsatz der Prozessökonomie in jeder Hinsicht zuwider.
Die Kammer lasse es im Rahmen ihrer Schätzung dahinstehen, ob der Berliner Mietspiegel 2017 ein qualifizierter sei. Er könne nach der gefestigten und von der Kammer geteilten Rechtsprechung des BGH zumindest als einfacher Mietspiegel im Sinne des § 558c Abs. 1 BGB zu Überzeugungsbildung des Gerichts von der Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete herangezogen werden. Gemessen an diesen Grundsätzen sei dem Mietspiegel 2017 als jedenfalls einfachem Mietspiegel eine ausreichende Indizwirkung zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete beizumessen. Die Voraussetzungen der gesetzeskonformen Erstellung des Berliner Mietspiegels 2017 seien gegeben.
Die Revision werde nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordere. Die Voraussetzungen, unter denen ein Mietspiegel als Grundlage einer Schätzung nach § 287 ZPO herangezogen werden könne, seien höchstrichterlich geklärt (BGH - VIII ZR 245/17 -, GE 2019, 377). Von dieser Rechtsprechung weiche die Kammer nicht ab. Abweichende Entscheidungen der ZK 63 des LG Berlin würden keine Zulassung der Revision gebieten, da sie die Berliner Mietspiegel 2009 und 2015 beträfen, die auf anderen Datengrundlagen beruhten als der Mietspiegel 2017.

Anmerkung: 1. Die im Leitsatz zu 1. zu Befugnissen der Gerichte im Zustimmungsprozess zur Mieterhöhung vertretene Ansicht ist kritisch zu hinterfragen und nach hier vertretener Ansicht kaum zu halten. Im Gesetz ist dazu nichts zu finden. Lediglich findet sich in § 558 a Abs. 3 BGB die Regelung, dass bei einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558d Abs. 1 BGB), bei dem die Vorschrift des § 558d Abs. 2 BGB eingehalten ist, der Vermieter in seinem Mieterhöhungsverlangen diese Angaben für die Wohnung auch dann mitteilen muss, wenn er die Mieterhöhung auf ein anderes Begründungsmittel nach Abs. 2 stützt. Ansonsten ist das Gericht, das über das Mieterhöhungsverlangen zu entscheiden hat, in seiner Entscheidung frei, ob es den qualifizierten Mietspiegel anwendet oder ein anderes Begründungsmittel, so auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens, vorzieht, weil es Zweifel an der Qualifizierung des Mietspiegels hat. Andernfalls müsste sich auch die ZK 67 an ihren Leitsatz halten und dürfte nicht – einfach – die Daten des Berliner Mietspiegels 2017, der als qualifizierter Mietspiegel bezeichnet wird, als einfachen Mietspiegel einsetzen.
Im Übrigen gibt die ZK 67 für ihre Ansicht keinen ausreichenden Beleg. Die genannte Entscheidung des BGH aus 2004 stammt zwar vom VIII. Senat des BGH (VIII ZR 186/03) zu einer Eigentumsvermutung eines früheren Besitzers. Diese Vermutung hat nichts mit der Vermutung des § 558d Abs. 3 BGB zu tun.
2. Die ZK 67 des Landgerichts Berlin beweist wieder einmal ihre Scheu vor einer Revisionszulassung. Sie weist zwar auf ältere divergierende Entscheidungen der ZK 63 des Landgerichts Berlin hin, vergisst jedoch eine neuere Entscheidung dieser Kammer vom 26. März 2019 - 63 S2 130/16, GE 2019, 536. Alle diese Entscheidungen betreffen zwar nicht den Mietspiegel 2017, der natürlich aufgrund der sich ständig verändernden Mieten auf anderen Daten beruht. Vorliegend sind jedoch die anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze zweifelhaft, was sich auf sämtliche Berliner Mietspiegel bezieht. Unter diesen Voraussetzungen hätte die Kammer die Revision zulassen müssen.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2019, Seite 662 und in unserer Datenbank.
Autor: Klaus Schach


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